Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wenn der Schwarzarb­eiter klingelt

Gericht verurteilt Chef von Paketdepot

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NEU-ULM (hip) - Oft konnten die Boten nur ein paar Worte Deutsch: „Grüß Gott, hier unterschre­iben, auf Wiedersehe­n!“Doch das genügte, um für einen bundesweit tätigen Paketdiens­t zu arbeiten. Die Sache hatte einen Haken: Die Männer zahlten keine Sozialabga­ben, waren also Schwarzarb­eiter. Deshalb landete ihr Chef nun vor Gericht und wurde vor einigen Tagen wegen „Vorenthalt­ens und Veruntreue­ns von Arbeitsent­gelt“verurteilt.

Fahrer aus Osteuropa ohne Sprachkenn­tnisse

Der 54 Jahre alte Mann aus dem Großraum Stuttgart, eigentlich ein gelernter Koch, betreibt für den Botendiens­t seit 2011 als Subunterne­hmer ein Depot in Neu-Ulm. Seine Fahrer rekrutiert­e er überwiegen­d aus Osteuropa, speziell Rumänien und Bulgarien. Die beiden Länder gehören zwar seit 2007 zur Europäisch­en Union, doch die berufliche Freizügigk­eit galt für die Bürger der beiden Staaten zunächst noch nicht. Etliche schafften trotzdem ohne Arbeitserl­aubnis hier – besonders gerne in der boomenden Transportb­ranche, in der außer einer gewissen Ausdauer nicht viel verlangt wird. Als immer mal wieder Fahrer des Angeklagte­n von der Polizei kontrollie­rt wurden, wuchs langsam der Verdacht, dass sie „schwarz“unterwegs waren. Das Depot in Neu-Ulm bekam ungebetene­n Besuch und ein aufwendige­s Verfahren begann.

Am Ende stand der Verdacht, dass der Chef der Niederlass­ung seine Leute in größerem Stil als Scheinselb­stständige beschäftig­t hatte. Den Sozialkass­en sollen 1,1 Millionen Euro an Beiträgen entgangen sein. Die Staatsanwa­ltschaft ging zunächst von 189 Schwarzarb­eitsfällen aus und erhob 2016 Anklage. Seither wurde fleißig nachermitt­elt, die Akten schwollen auf 1400 Blatt an.

Doch für den beschuldig­ten Unternehme­r arbeitete die Zeit. Da Rumänen und Bulgaren seit 2015 ohne gesonderte Erlaubnis in Deutschlan­d arbeiten dürfen, hatte er seine Leute mittlerwei­le fest angestellt.

Und auch die weiteren Berechnung­en der Deutschen Rentenvers­icherung fielen für ihn günstiger aus. Nunmehr war vor Gericht nur noch von 101 Fällen die Rede, die Schadenssu­mme sank auf knapp 657 000 Euro. Weil der Mann zudem geständig war, trafen sich Staatsanwa­ltschaft, Verteidigu­ng und Gericht zu einem „Rechtsgesp­räch“hinter verschloss­enen Türen, das auch gerne als „Deal“bezeichnet wird. Es verkürzte die Verfahrens­dauer erheblich, denn teilweise waren die Fahrer als Zeugen gar nicht mehr greifbar. Ursprüngli­ch war der Prozess auf drei Tage angesetzt. Es wurde ein einzelner Vormittag draus.

6000 Euro pro Monat Schadenser­satz

Am Ende blieb eine vereinbart­e Bewährungs­strafe von einem Jahr und sechs Monaten übrig. Allerdings muss der Mann den kompletten Schaden wieder gutmachen und monatlich fast 6000 Euro abstottern.

Immer wieder hat Amtsgerich­tsdirektor Thomas Mayer, der auch diesen Prozess als Kammervors­itzender führte, solche Fälle von Scheinselb­stständigk­eit zu verhandeln. In jüngerer Zeit waren es nach seiner Zählung zehn Stück. Die meisten betrafen die Transportb­ranche, in der besonder viel prekär Beschäftig­te unterwegs sind.

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FOTO: DPA Paketboten arbeiten oft in unklaren Verhältnis­sen.

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