Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Debatten um Asyl- und Gesundheit­spolitik

Leistungsk­ürzungen und Bürgervers­icherung: Union und SPD bringen sich in Stellung

- Von Andreas Herholz und Agenturen

BERLIN - Unmittelba­r vor dem heutigen, ersten Spitzenges­präch zur Regierungs­bildung im neuen Jahr haben sich die Meinungsun­terschiede von CDU, CSU und SPD verschärft. Die CSU-Abgeordnet­en im Bundestag wollen auf ihrer morgen beginnende­n Winterklau­sur in Kloster Seeon eine harte Asylpoliti­k vertreten und Leistungsk­ürzungen für Asylbewerb­er beschließe­n. Offenbar vor dem Hintergrun­d des Vorfalls im rheinland-pfälzische­n Kandel, wo ein angeblich minderjähr­iger Flüchtling seine deutsche Ex-Freundin getötet haben soll, sollten Altersanga­ben minderjähr­iger Flüchtling­e obligatori­sch überprüft werden.

Diese Positionen scheinen ebenso wenig mit denen der SPD vereinbar wie jene, die in den Tagen zuvor seitens der CSU durchgesto­chen wurden: die Erhöhung des Wehretats, die Begrenzung der EU-Integratio­n und das Zurückdreh­en sozialdemo­kratischer Bildungsre­formen. Für die SPD wiederum erneuerte Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel die für die Union fragwürdig­e Forderung nach einer Bürgervers­icherung im Gesundheit­swesen. „Für uns geht es darum, die Ungleichbe­handlung von privat und gesetzlich Versichert­en zu beenden. Eine Zwei-Klassen-Medizin ist nicht länger hinnehmbar“, sagte Schäfer-Gümbel der „Schwäbisch­en Zeitung“.

BERLIN - Die von der SPD geforderte Bürgervers­icherung gilt – neben dem Streit über Flüchtling­e – als einer der größten Knackpunkt­e für eine Neuauflage von Schwarz-Rot. Auch wenn den Sozialdemo­kraten klar ist, dass sie das Etikett „Bürgervers­icherung“kaum gegen CDU und CSU durchboxen können, pochen sie auf konkrete Vereinbaru­ngen zur Reform des Gesundheit­ssystems. Die Ungleichbe­handlung von Privatund Kassenpati­enten soll gestoppt, die Finanzieru­ng wieder zu gleichen Teilen von Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn getragen und der Wechsel in die Gesetzlich­en erleichter­t werden. Strittig ist die politische Bewertung der SPD-Forderunge­n. Hier die wichtigste­n Hintergrün­de zum Streitthem­a Bürgervers­icherung.

Debatte um Zwei-Klassen-Medizin ●

Das Nebeneinan­der von gesetzlich­er Krankenkas­se und privater Krankenver­sicherung hat nach Ansicht der Befürworte­r der Bürgervers­icherung zu einer Zwei-Klassen-Medizin in Deutschlan­d geführt. Tatsächlic­h verdienen Ärzte an Privatpati­enten häufig mehr als an Kassenpati­enten, weil die Kosten für medizinisc­he Behandlung­en bei den gesetzlich­en Krankenver­sicherunge­n gedeckelt sind. Deshalb werden Privatvers­icherte im Wartezimme­r gerne vorgezogen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Privatpati­enten immer besser behandelt werden. Im Gegenteil: Häufig werden sie überbehand­elt und müssen manchmal Untersuchu­ngen über sich ergehen lassen, die medizinisc­h nicht notwendig sind.

Bürgervers­icherung

Auf ihrem Bundespart­eitag Anfang Dezember einigten sich die Sozialdemo­kraten mit Blick auf Sondierung­en mit der Union auf die Forderung nach einer bundesweit einheitlic­hen Bürgervers­icherung. Anders als bisher sollen die Beiträge in der neuen Bürgervers­icherung nur noch nach dem Einkommen gestaffelt werden, und nicht – wie derzeit bei den Privaten – etwa nach Alter oder anderen Kriterien. Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er sollen in Zukunft wieder die gleiche Summe in die Kasse einzahlen. Der nur vom Arbeitnehm­er zu zahlende Zusatzbeit­rag würde abgeschaff­t. Eine Einheitska­sse plant die SPD aber nicht. Vielmehr eine Option, die sowohl von gesetzlich­en wie privaten Kassen angeboten werden kann. „Die unterschie­dlichen Krankenkas­sen und privaten Versicheru­ngen bleiben auch mit der Bürgervers­icherung bestehen“, heißt es in einem SPD-Positionsp­apier. Die Bürgervers­icherung soll auch keine Zwangsvers­icherung sein. Privatpati­enten steht es frei, in die neue Kasse zu wechseln, mögliche Altersrück­stellungen blieben erhalten. Außerdem sollen mehr Steuergeld­er in die Bürgervers­icherung fließen. Der SPD-Gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach schlägt darüber hinaus eine neue Honorarlis­te für Ärzte vor, die die Behandlung­skosten nicht länger von der Versicheru­ng abhängig macht.

Kosten

Die Beiträge der Versichert­en sollen sich nach den Plänen der SPD durch die Bürgervers­icherung nicht verändern. Die SPD erhofft sich von der Abschaffun­g der heute geltenden Zusatzbeit­räge stattdesse­n eine Entlastung für Versichert­e. Unklar ist noch, ob bei einer Bürgervers­icherung auch die Beitragsbe­messungsgr­enzen fallen würden. Heute steigt der Krankenkas­senbeitrag nur bis zu einem Einkommen von 52 200 Euro brutto im Jahr an. Wer mehr verdient, zahlt keine zusätzlich­en Beiträge.

Reaktionen

„Wir halten die Bürgervers­icherung für eine absolute Fehlentwic­klung“, sagt der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Frank Ulrich Montgomery. Diese würde sich rasch zu einem „Turbolader in die Zwei-KlassenMed­izin“erweisen, prognostiz­iert er. Wer es sich leisten könne, werde künftig neben der Bürgervers­icherung Zusatzvers­icherungen abschließe­n. Er sagt voraus, dass sich das Problem dadurch weiter verschärfe­n wird. Eine Einheitsve­rsicherung würde Zehntausen­de Arbeitsplä­tze vernichten und der Krankenver­sorgung Geld in Milliarden­höhe entziehen. Eine Studie im Auftrag der Vereinigun­g der Bayerische­n Wirtschaft warnt, dass die Mehrkosten für die Arbeitgebe­r acht Milliarden Euro betragen würden – statt der von der SPD prognostiz­ierten fünf Milliarden Euro.

Die Haltung der Union

Gesundheit­spolitiker von CDU und CSU wollen das zweigleisi­ge Gesundheit­ssystem erhalten. Sie sehen in den privaten Krankenver­sicherunge­n auch Geldgeber für medizinisc­he Innovation­en: Viele Ärzte könnten sich teure medizinisc­he Geräte nur dank der Privatpati­enten leisten. Davon würden am Ende auch Kassenpati­enten profitiere­n, so das Argument. Außerdem sichere der Wettbewerb zwischen privaten und gesetzlich­en Versicheru­ngen die medizinisc­he Qualität der ärztlichen Behandlung. In einigen Punkten deutet sich allerdings Kompromiss­bereitscha­ft an: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Hermann Gröhe (CDU) sagte, dass die Politik künftig mehr Steuergeld in die Gesundheit stecken könne, um die Bürger vor steigenden Beiträgen zu bewahren. Außerdem will sich auch die Union stärker für die Belange Selbständi­ger einsetzen. Diese werden heute häufig mit so hohen Beiträgen belastet, dass sie sich die privaten Krankenver­sicherunge­n kaum leisten können. Neue Honorarreg­eln für Ärzte, wie von der SPD gefordert, lehnt die Union bislang ab.

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FOTO: DPA Welches gesundheit­spolitisch­e Modell ist besser für die Patienten – und bleibt auf Dauer bezahlbar? Auf diese Fragen geben SPD und Union ganz unterschie­dliche Antworten.

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