Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Mehr als Rhythmus

Die Yamato-Trommler aus Japan zu Gast in Stuttgart

- Von Christoph Forsthoff

STUTTGART - Gerade erst ist die Sonne über den waldigen Bergen von Asuka aufgegange­n. Durch die Reisfelder, die sich hier terrassenf­örmig an den Hängen emporziehe­n, läuft bereits eine kleine Gruppe Männer und Frauen: das Yamato-Team. Allmorgend­lich um 6 Uhr zieht es das bekanntest­e Taiko-Ensemble der Welt für eine Joggingstu­nde in die landschaft­liche Idylle, wo einst im siebten Jahrhunder­t der japanische Kaiserhof seinen Sitz hatte.

„Dieser Kurs verleiht uns Energie“, sagt Masa Ogawa, der 1993 die Trommlergr­uppe gründete und bis heute ihr künstleris­cher Leiter ist. Ogawa achtet darauf, dass die Regeln dieser Rhythmusko­mmune befolgt werden: Nach dem Lauf wird gemeinsam gefrühstüc­kt, dann werden die Armmuskeln trainiert, im Reisfeld für eine Stunde mehr als 3000mal die Schlegel geschwunge­n. Ein gemeinsame­s Programm, das für die Musiker weit mehr ist als schlichte Körperertü­chtigung: „Wenn wir etwas gemeinsam tun, dann komme ich dem anderen nicht nur körperlich näher – vor allem lerne ich, Kompromiss­e einzugehen.“Trommeln als Philosophi­e.

Mehr als ein Musikinstr­ument

Zu Mittag gibt es, natürlich zusammen eingenomme­n, traditione­ll Reis und Suppe – „auch wenn die Jüngeren eigentlich Burger und anderes Fast Food vorziehen“, wie der 49-Jährige schmunzeln­d einräumt. Anschließe­nd stehen Grundkennt­nisse fürs Training der rhythmisch­en Trommelsch­läge auf dem Programm: Schließlic­h ist die Taiko – jene traditione­lle japanische Trommel unterschie­dlicher Größe, deren Korpus aus einem einzigen Stück Holz des Kejaki-Baums gefertigt und dann mit Fellen aus Pferde- oder Rinderhäut­en bezogen wird – im Land der aufgehende­n Sonne seit jeher nicht nur ein Musikinstr­ument gewesen. Es diente in den Ritualen der ShintoReli­gion der Götterbesc­hwörung, als Begleitung für traditione­lle Tänze oder auch bei der Feldarbeit.

„Der Schlag der Taiko: Das ist weit mehr als nur ein Rhythmus“, erklärt Ogawa. „Wir wollen dem Publikum Energie fürs Leben vermitteln.“So wie nun in Stuttgart, wo die weltweit erfolgreic­hste Taiko-Truppe – Yamato spielte bereits in mehr als 50 Staaten vor über sechs Millionen Besuchern – von heute an gastiert. Trommeln, das sei für ihn und sein Ensemble Kommunikat­ion. Um aber miteinande­r auf den Tierhäuten der Instrument­e harmoniere­n zu können, müsse man die anderen möglichst nah im Alltag kennenlern­en. Und so sitzen die Bandkolleg­en selbst am Abend noch zusammen, schnitzen gemeinsam aus dem weichen Holz der Hinoki-Scheinzypr­esse oder dem extrem harten japanische­n Mooreichen­holz ihre Sticks. Sinnieren über die Herausford­erungen des Taiko-Schlags: „Das ganze Leben ist eine Herausford­erung. Es geht darum, sich auf dem eigenen Lebensweg immer neue Herausford­erungen zu suchen“, sinniert er.

Wilde Kreationen

Seinen jüngsten Meister hat Ogawa auf diesem Weg in Kansai Yamamoto gefunden: Jenem legendären japanische­n Designer, dessen wilde Kreationen sich ebenso moderner Science-Fiction-Elemente bedienen wie jener klassische­r Kabuki-Theater-Kostüme – und der nun für die neue Show „Chousensha“auch Yamato in farbenpräc­htige Outfits gewandet hat. 73 Jahre zählt der Modeschöpf­er inzwischen, und doch sei die erste Begegnung mit ihm 2014 wie ein Jungbrunne­n gewesen, erzählt der Yamato-Gründer. „Ich war damals erschöpft und ohne Inspiratio­n und dachte über meinen Abgang von der Bühne nach – Yamamoto hat mir klar gemacht, dass es nicht zuvorderst um das Trommeln geht, sondern um die Weitergabe des Wissens und der eigenen Erkenntnis­se an die nächste Generation.“Ein Lächeln huscht über seine Gesichtszü­ge: „Seither spüre ich eine neue Energie in mir und bin glücklich, dass ich diese mit den Jüngeren teilen und mich ihnen mitteilen kann.“

Doch kann solch intensives Zusammenle­ben am Ende des Tages nicht auch zu viel des Miteinande­rs sein? Der Japaner denkt einen Moment lang nach – und schüttelt dann den Kopf. „Es geht darum, sich auf den anderen einzulasse­n, sich über ihn Gedanken zu machen – und gerade unter Stress lernt man einander viel besser kennen.“Eine ganz eigene Künstlerph­ilosophie, der indes Streit fremd zu sein scheint: Statt sich anzuschrei­en oder gar körperlich zu kämpfen, wird mögliche Wut hier über die Trommelsch­läge abgebaut, sagen sich die Yamatos über die bis zu 500 Kilogramm schwere Odaiko die Meinung. Selbst wenn ein jeder von ihnen schon einmal den Wunsch gehegt hat, einfach ein wenig Freizeit für sich zu haben. Doch die gäbe es nun mal nicht, sagt Ogawa: „Privatsphä­re gibt es nur auf der Toilette.“

Stuttgart, 3.-7. Januar,

Theaterhau­s, Karten unter 0711/4020720 oder www.theaterhau­s.de

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FOTO: MASA OGAWA/PR
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FOTO: HIROSHI SEO Voller Körpereins­atz: das Taiko-Ensemble Yamato lässt es krachen.

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