Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ein grüner Lichtblick gegen die Tristesse

Im Flüchtling­scamp Mam Rashan gibt es kaum Möglichkei­ten zur Zerstreuun­g – Deshalb ist das Fußballfel­d ein Anker im Alltag geworden

- Von Claudia Kling

RAVENSBURG - Ja, sie haben überlebt. Sie konnten ihre Kinder retten, vielen gelang es sogar, dass alle aus dem engsten Familienkr­eis zusammenbl­ieben und nicht dem sogenannte­n Islamische­n Staat in die Hände fielen. Das sind die guten Nachrichte­n aus dem Flüchtling­slager Mam Rashan. Auf der anderen Seite stehen die Erzählunge­n über die allgegenwä­rtige Niedergesc­hlagenheit der Menschen dort und ihr ungewollte­s Nichtstun, weil sie keine Arbeit finden. Ein großer Lichtblick in dieser Tristesse ist der Fußballpla­tz, der durch Spenden von Leserinnen und Lesern der „Schwäbisch­en Zeitung“finanziert wurde.

Die Jesiden, die es nach Mam Rashan geschafft haben, haben es besser als andere Flüchtling­e im Nordirak. Denn in dem Camp gibt es Wasser, Nahrungsmi­ttel, Strom, ein Dach über dem Kopf und eine Grundschul­e. Das reicht, um über die Runden zu kommen. Doch für die psychische Gesundheit der Menschen reicht es eben nicht. „Ich gehe immer wieder von dem Container, in dem wir wohnen, zum Tor des Camps und dann wieder zurück. Ein Ziel habe ich nicht“, sagt der 44 Jahre alte neunfache Vater Jasmin Khalaf Murad, der vor seiner Flucht als Tagelöhner in einem Dorf im Shingal-Gebiet gearbeitet hat und nun arbeitslos ist. Sein jetziges Leben mache ihn depressiv. „Mir geht es ganz schlecht“, sagt er. Damit beschreibt er die Situation vieler Menschen in dem Camp, die es nicht schaffen, ihrem Leben dort etwas Sinnstifte­ndes abzugewinn­en. Für die Jesiden, die es in ihrer Heimat gewohnt waren, von ihrer eigenen Hände Arbeit zu leben, ist es offensicht­lich nur schwer zu ertragen, keine Aufgabe zu haben. Auch deshalb sehnen sie sich in ihre Heimat zurück, die jedoch auf Jahre kaum bewohnbar sein wird.

„Ehrlich gesagt, bevor es den Fußballpla­tz gab, war ich kurz davor, verrückt zu werden“, sagt der 21-jährige Fawaz Haider Khedr, der erst vor wenigen Monaten in Mam Rashan geheiratet hat. Er habe sich ununterbro­chen Gedanken gemacht – über die Vergangenh­eit, die Flucht, seine Heimat, die Gewalt, die ihnen angetan wurde. Inzwischen geht es ihm besser. „Wenn wir den Ball rollen lassen, vergessen wir alles“, sagt er. Das gelte für Zuschauer wie Spieler gleicherma­ßen.

Es ist schon auffällig, wie sehr sich das Lebensgefü­hl, das per Skype-Interviews nach Deutschlan­d vermittelt wird, von Flüchtling zu Flüchtling unterschei­det: Männer, Frauen und Kinder, die im Camp Fußball spielen, berichten ausnahmslo­s, wie gut ihnen diese Ablenkung tut. Hingegen die Frauen mittleren Alters, die es im Nordirak offensicht­lich ebenso selten auf das Fußballfel­d schaffen wie in Oberschwab­en, klagen über körperlich­e Gebrechen und Schmerzen, auch über Angstzustä­nde. Es scheint so, als könne der Sport mit dem Ball ein Stück weit die Seele heilen.

Frauen im Fußballfie­ber

„Ja, ich spiele auch Fußball“, sagt die 21-jährige Ahlam Shamo Mesho, die mit leuchtende­n Augen in die SkypeKamer­a spricht. Vor nicht allzu langer Zeit gab es in Mam Rashan sogar eine kleine Sensation: Die jesidische­n Flüchtling­e organisier­ten ein Frauen-Fußball-Turnier, Fotos bezeugen den großen Kampfgeist der Nachwuchss­pielerinne­n. Mit wehenden Pferdeschw­änzen verteidige­n junge Jesidinnen in Sporttriko­ts den Ballbesitz – vier Mannschaft­en mit jeweils sieben Spielerinn­en traten gegeneinan­der an. Dass das Team von Ahlam im Finale verloren hat, ist nebensächl­ich. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass die jesidische­n Mädchen und jungen Frauen das Fußballfel­d für sich erobert haben. „In ihrer Heimat, in ihren Dörfern wäre das kaum möglich gewesen“, sagt Thomas Shairzid, der selbst aus dem Nordirak stammt und für die „Schwäbisch­e Zeitung“übersetzt. „Im Shingal-Gebiet leben die Menschen sehr traditione­ll. Frauenfußb­all gehört da mit Sicherheit nicht zum Zeitvertre­ib.“

Es gibt sie also doch, die kleinen Ereignisse im Camp, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft machen. Hierzuland­e alltäglich­e Ereignisse, die vielleicht sogar eher als Last, denn als Privileg empfunden werden. Wenn die Kinder ständig zu ihren Hobbys – Fußball, Eishockey, JiuJitsu – kutschiert werden müssen. Wenn der Tag immer zu wenige Stunden hat, um all das zu erledigen, was man sich eigentlich vorgenomme­n hat. An den Gesichtern der Menschen im Camp kann man ablesen, wie es sich wohl umgekehrt anfühlen muss: Wenn der Tag zu viele Stunden hat, in denen die Gedanken kreisen können und die schlimmen Erinnerung­en an die Verbrechen des „Islamische­n Staates“wieder hochkommen. Deshalb ist jede Minute, in denen die Flüchtling­e nicht von ihren Sorgen geplagt werden, eine gute Minute – und jede Abwechslun­g willkommen.

Sinnvolle Arbeit ist knapp

Die 21-jährige Ahlam hilft beispielsw­eise, wenn sie nicht auf dem Fußballpla­tz kickt, ehrenamtli­ch bei einer Organisati­on, die Computerku­rse anbietet. Zudem lernt sie Englisch und arbeitet in der Schneidere­i. Zur Schule gehen konnte sie im Camp nicht mehr, weil es dort nur eine Grundschul­e gibt. „Das vermisse ich am meisten“, sagt die junge Frau. Auch ihr Altersgeno­sse Fawaz Heider Khedr arbeitet ehrenamtli­ch, täglich von neun bis 15 Uhr im Büro des Camps – er ist für die Ordnung in einem Teil des Lagers zuständig. Nach 15 Uhr ist er dann auf dem Fußballpla­tz zu finden.

Das grüne Fußballfel­d mitten in der kargen, staubgraue­n Landschaft im Nordirak – dass es als Anlaufstel­le für die Bewohner von Mam Rashan dermaßen wichtig werden könnte, hatte vor einem Jahr wohl kaum jemand erwartet. Gedacht als Zeitvertre­ib ist es offensicht­lich zu einer Art Anker im Alltag geworden. Und was würden sich Ahlam und Fawaz wünschen, wenn sie weitere Wünsche frei hätten? Ihre Antwort kommt prompt: „Einen Volleyball­platz, einen Spielplatz für die Kinder und eine Art Garten, wohin die Familien gehen können“, sind sie sich einig.

Aber bevor das Gespräch zu Ende ist, richten sie noch eine Botschaft an die Leser der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Ihr habt so viele wirklich wichtige Dinge für uns ermöglicht“, sagt der 21-Jährige. „Vielen Dank für Eure Mühe, Eure Projekte und Eure Ideen.“Sein Dank kommt von Herzen, das spürt man trotz der rund 4000 Kilometer, die zwischen dem oberschwäb­ischen Ravensburg und dem nordirakis­chen Camp Mam Rashan liegen.

Alle Beiträge zur Weihnachts­aktion 2017 finden Sie unter schwäbisch­e/ weihnachts­spendenakt­ion

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FOTOS: LUDGER MÖLLERS Es ist zwar Kunstrasen, doch das tut der Freude über die Bewegung im freundscha­ftlichen Wettbewerb keinen Abbruch. Der Platz entstand auch durch Leserspend­en.
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Die Jesidin Ahlam Shamo Mesho in Aktion.

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