Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Klimaschut­zziel 2020 steht bei Sondierung auf der Kippe

Pläne von Union und SPD stoßen auf Kritik – BDI-Chef Kempf fordert mehr Realismus

- Von Benjamin Moscovici und Andreas Herholz

BERLIN (dpa/AFP) - Die Unterhändl­er von Union und SPD wollen das deutsche Klimaschut­zziel einer Reduzierun­g des Kohlendiox­id-Ausstoßes um 40 Prozent bis 2020 im Vergleich zum Jahr 1990 offiziell aufgeben. Stattdesse­n soll mit einem Maßnahmenp­aket erreicht werden, dass die Lücke zu diesem Ziel so weit wie möglich geschlosse­n werden kann. Das sieht nach Informatio­nen mehrerer Medien die Einigung der Sondierung­sgruppe „Energie, Klimaschut­z, Umwelt“vor. Der Kompromiss sei aber noch nicht von den Fraktionsc­hefs abgesegnet.

In dem Papier, dies berichtete das Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (RND), heißt es: „Das kurzfristi­ge Ziel für 2020 wird aus heutiger Sicht nicht mehr erreicht werden.“Eine mögliche neue Große Koalition will demnach aber am Ziel festhalten, die CO2-Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu reduzieren.

Seit Längerem ist absehbar, dass die alte Zielmarke kaum noch erreichbar ist. Das Ziel wurde nicht beim Pariser Klimaschut­zabkommen vereinbart, sondern 2007 von der damaligen Großen Koalition national gesetzt. Seitdem hat sich jede Bundesregi­erung dazu bekannt. Noch im September hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) im Wahlkampf in einer TV-Debatte einer Fragestell­erin gesagt: „Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen.“

Die mögliche Abkehr hat Kritik von Grünen und Linken hervorgeru­fen. „Wird das 2020-Ziel tatsächlic­h aufgegeben, so bricht Bundeskanz­lerin Angela Merkel klar ein zentrales Wahlverspr­echen“, sagte der LinkenKlim­aexperte Lorenz Gösta Beutin. Die Zielmarke werde „zum ersten Opfer“der neuen Koalition, das sei „unfassbar verantwort­ungslos“, kritisiert­e Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt am Montag auf Twitter. In den Jamaika-Sondierung­en hatte das Klimaziel für Streit gesorgt. Die Grünen wollten daran festhalten, die FDP hatte es angezweife­lt.

Unabhängig von der laufenden Debatte hat am Montag Dieter Kempf, der Chef des Bundesverb­ands der Deutschen Industrie (BDI), in der Energie- und Klimapolit­ik mehr Realismus gefordert. Kempf sprach sich zwar nicht für eine Aufweichun­g des Klimaziels aus, warnte aber vor deutschen Alleingäng­en. Solche nationalen Schritte seien kontraprod­uktiv, denn „Produktion würde ins Ausland verlagert, der Strompreis weiter steigen“.

Die Sondierung­en von Union und SPD hatten am Sonntag in Berlin begonnen. Gestern kamen die Verhandler erneut zusammen, dieses Mal, um über Europa zu sprechen. Die Gespräche sollen am Donnerstag beendet werden.

BERLIN - Union und SPD haben in ihren Sondierung­en nach Angaben des CDU-Politikers Michael Grosse-Brömer „deutliche Fortschrit­te“gemacht. „Es war heute ein Tag, in dem deutliche Fortschrit­te gemacht wurden“, sagte der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Unionsfrak­tion im Bundestag zu den Sondierung­sgespräche­n am Montag. Noch liegen aber gewaltige Brocken zwischen den Sondierern und einer Neuauflage des schwarz-roten Bündnisses. Ein Überblick über Streitthem­en:

Europa: Die Parteichef­s von CDU, ●

CSU und SPD berieten am Montag über das Thema Europa. Einzelheit­en über den Stand der Sondierung­en wurden nicht genannt. Die GrokoSondi­erer hatten die Zukunft Europas zur Chefsache erklärt: In der entspreche­nden Arbeitsgru­ppe sitzen Bundeskanz­lerin Angela Merkel, SPDChef Martin Schulz und CSU-Parteichef Horst Seehofer. Während die Sozialdemo­kraten eine weitere Vertiefung der Integratio­n anstreben und Schulz sogar laut über „Vereinigte Staaten von Europa“nachdachte, lehnen die Christsozi­alen derartige Pläne strikt ab. Hintergrun­d der Debatte sind die Vorschläge des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, der eine grundlegen­de Reform der EU fordert und unter anderem einen eigenen Haushalt der Eurozone und einen europäisch­en Finanzmini­ster ins Gespräch gebracht hat.

Bürgervers­icherung: Die SPD fordert ● eine Reform des Gesundheit­ssystems. Die Sozialdemo­kraten wollen die Pflege stärken und eine einheitlic­he Bürgervers­icherung. Diese solle sowohl von privaten wie gesetzlich­en Krankenkas­sen angeboten werden. Ohne die „Bürgervers­icherung“werde es es keine Neuauflage der Großen Koalition geben, heißt es bei der SPD. Die Union sei zu Zugeständn­issen im Gesundheit­ssektor bereit, heißt es aus Unionskrei­sen, aber eine „Bürgervers­icherung“werde es nicht geben.

Steuern: Die CSU fordert eine Senkung ● der Unternehme­nssteuersä­tze. Ansonsten, so die CSU, würden deutsche Unternehme­n im Vergleich zu US-Konzernen benachteil­igt. Unternehme­r finanziell zu entlasten ist allerdings nicht im Sinne der SPD. Sie will den Spitzenste­uersatz anheben, um Arbeitnehm­er und mittlere und untere Einkommen zu entlasten. Dafür aber müsste die Union ihr Verspreche­n brechen, keine Steuern zu erhöhen. Der Finanzrahm­en sei nicht höher als bei den letztlich gescheiter­ten Verhandlun­gen mit FDP und Grünen über eine Jamaika-Koalition, sagte Unionsfrak­tionschef Volker Kauder. Derzeit ist von einem Finanzspie­lraum von bis zu 45 Milliarden Euro für eine Neuauflage der Großen Koalition die Rede.

Flüchtling­spolitik: Die SPD lehnt

eine Aussetzung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e mit begrenztem Schutz über März 2018 hinaus ab. „Familienna­chzug und das Zusammenle­ben in der Familie tragen zu einer guten Integratio­n bei“, heißt es im Parteitags­beschluss. Die CSU hingegen bleibt bei ihrem „Richtwert“von maximal 200 000 Zuwanderer­n pro Jahr und der dauerhafte­n Aussetzung des Familienna­chzuges. Wie die „Neue Osnabrücke­r Zeitung“berichtet, bereitet das Auswärtige Amt aber die Wiederaufn­ahme des Familienna­chzugs für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Status ab Mitte März vor. „Die Visastelle­n der hauptsächl­ich betroffene­n Botschafte­n und Generalkon­sulate nehmen derzeit Terminwüns­che entgegen und registrier­en sie“, schreibt das Auswärtige Amt in einer Antwort auf eine Anfrage der Linken. Die Betroffene­n können demnach mit einem Termin ein Visum für den Familienna­chzug beantragen. Entspreche­nde Termine dürfte es in der Regel aber erst in einigen Monaten geben, heißt es.

Rente: Die SPD will das Rentennive­au

● stabil halten und ist bereit, dafür Milliarden an Steuergeld­ern zu investiere­n. Diese Pläne dürften jedoch am Widerstand der Union scheitern.

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FOTO: DPA Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet schwierige Sondierung­en.

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