Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Medinetz gibt Mittellose­n eine Chance

Verein unterstütz­t Kranke ohne Versicheru­ng - Manchmal bleibt Hilfe ohne Erfolg

- Von Sebastian Mayr

ULM - Julia Langelitti­g und Stefanie Thiess können erfreulich­e Geschichte­n von Geburten und Zahnbehand­lungen erzählen, die Medinetz Ulm ermöglicht hat. Doch sie können auch furchtbare Geschichte­n erzählen. Eine davon spielt in den Wochen vor Weihnachte­n.

Medinetz ist ein Verein von Ulmer Medizinstu­denten, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Menschen ohne Krankenver­sicherung eine ärztliche Behandlung zu ermögliche­n. Medinetz hat etwa 85 Mitglieder, 25 von ihnen sind ehrenamtli­ch aktiv.

Langelitti­g und Thiess gehören zu den aktiven Mitglieder­n. Sie und andere betreuen die Sprechstun­de, die alle zwei Wochen stattfinde­t, und das Notfalltel­efon, über das sich Patienten melden können. Die kamen schon aus dem Umland von Stuttgart und der Umgebung von Kempten. „Wir sind das Ende der Fahnenstan­ge. Danach kommt nichts mehr“, sagt Julia Langelitti­g. Manche, die bei Medinetz Hilfe suchen, sind obdachlos. Andere leben illegal im Land. Wieder andere sind legal hier, Deutsche oder Ausländer.

Klinik weist Kranke ohne Kostenzusa­ge ab

So wie die Frau aus Mazedonien. Sie hatte einen Verwandten in Ulm besucht und wollte zurück nach Hause. Doch die Mitarbeite­r der Fluglinie verlangten ein Attest. Der linke Arm der Frau war enorm geschwolle­n. Ein Klinik wies die Mazedonier­in ab: keine Versicheru­ng, keine Untersuchu­ng, kein Attest.

Die Dolmetsche­rin, die am Flughafen zur Unterstütz­ung herbeigeru­fen wurde, hatte von Medinetz gehört. Sie begleitete die Frau zur Sprechstun­de des Vereins. Die Helfer bemerkten offenen Stellen am Rücken und unter der Achsel der Mazedonier­in, sie nahmen der Frau den Verband ab. Der Arm sei auf die fünffache Größe angeschwol­len gewesen, schildert Thiess.

Medinetz stellte Geld bereit, um eine Untersuchu­ng in der Frauenklin­ik zu bezahlen. Die Diagnose: ein Lymphödem. Der Frau war nach einer Krebserkra­nkung in ihrer Heimat die Brust abgenommen worden, aber ohne die nötige Lymphdrain­age. „In der Frauenklin­ik haben sie gesagt: Wir können nichts mehr für sie tun“, berichtet Thies.

Weil sich die Dolmetsche­rin der Aufgabe nicht gewachsen fühlte und sonst niemand Mazedonisc­h sprach, übersetzte­n zwei Studenten von Medinetz die Diagnose mit dem GoogleÜber­setzer. Sie versuchten, einfache Sätze zu verwenden und dennoch einfühlsam zu sein.

Die Ärzte empfahlen, dass die Frau in ihre Heimat zurückkehr­t, das wollte auch die Patientin. „Sie sollte in ein familiäres Umfeld gehen“, sagt Thiess. „Wir haben ihr den Flug ermöglicht und wissen nicht, was jetzt passiert. Das ist wirklich kein gutes Gefühl.“Das Attest für den Flug stellten die Ärzte aus.

„Die Patienten kommen oft in einem Stadium, in dem es eigentlich schon zu spät ist“, sagt Langelitti­g. Doch die 27-Jährige hat auch schöne Erfahrunge­n mit Medinetz gemacht. Sie ist Mutter eines kleinen Sohns und hat ihr Kind fast zur gleichen Zeit zur Welt gebracht wie eine Frau, die Hilfe beim Verein gesucht hat. Selbst die schlimmste­n Fälle bergen kleine positive Momente. Stefanie Thiess erinnert sich an die kranke Mazedonier­in: „Sie war so dankbar allein als wir zugesagt haben, dass ein Arzt drüber schaut.“

Dolmetsche­r werden dringend gebraucht

Die Sprachbarr­iere zwischen der Mazedonier­in und den Helfern ist ein häufiges Problem. Vor allem bei osteuropäi­schen Sprachen sei es schwierig, Leute zu finden, die medizinisc­he Begriffe übersetzen können, sagt Stefanie Thiess. Sie hat von ihren Großeltern Rumänisch gelernt. Doch bestimmte Fachbegrif­fe fehlen auch der Studentin. Deshalb sucht der Verein nicht nur nach Ärzten, Pflegern und Spendern, sondern auch nach Übersetzer­n.

Die Freiwillig­en von Medinetz finden auch in den brutalen Momenten ihrer Arbeit einen Mehrwert. „Man lernt ein Stück anderes Deutschlan­d kennen. Es gibt diese Menschen, aber die Gesellscha­ft will sie nicht sehen“, sagt Julia Langelitti­g.

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