Streit um Sinn von Bannwäldern
Studie: Artenvielfalt in bewirtschaftetem Forst nicht schlechter – Kritik von Umweltverbänden
STUTTGART (tja) - Mit seinem Plan, zunächst keine Bannwälder mehr in Baden-Württemberg auszuweisen, stößt Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk (CDU) auf Kritik bei Naturschützern und seinem Kabinettskollegen Franz Untersteller (Grüne). Der Umweltminister will Hauks Argumenten nicht folgen. Der CDU-Minister lässt derzeit mit Studien klären, ob die unbewirtschafteten Wälder tatsächlich besser für den Artenschutz sind.
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STUTTGART - Weniger Bäume fällen, mehr Wälder schützen: Das ist aus
Sicht von Naturschützern notwendig, um die Artenvielfalt zu erhalten. Das Land hat sich deswegen verpflichtet, zehn Prozent seiner Waldfläche nicht zu bewirtschaften. Ein Ziel, das noch nicht erreicht ist. Doch Landwirtschaftsminister Peter Hauk (CDU), Herr des Staatsforstes, will zunächst nicht mehr Wälder für die Holzwirtschaft sperren. Naturschutzverbände protestieren, der grüne Koalitionspartner ist irritiert.
Der Wald soll Heimat sein für möglichst viele Tiere und Pflanzen. Auch seltene Arten sollen sich dort ausbreiten oder wieder ansiedeln. Die Biodiversität also soll hoch sein, diesem Ziel hat sich das Land verschrieben. Am Sinn zweifelt auch Hauk nicht, aber am gemeinhin verfolgten Weg. Der sieht vor, ein Zehntel aller Wälder nicht mehr zu bewirtschaften. Damit, so die Logik, könnten sich Flora und Fauna ungestört entwickeln, was wiederum gut sei für die Artenvielfalt.
Der Landwirtschaftsminister zweifelt jedoch an dieser Gleichung. Er beruft sich auf Professor Christian Ammer von der Universität Göttingen. Der Forstwissenschaftler hat eine eigene Studie durchgeführt und Untersuchungen anderer Kollegen ausgewertet. Er kommt zu dem Schluss: Geschützte Wälder sind gut für die Artenvielfalt, aber unbewirtschaftete sind nicht zwangsläufig schlechter. Deswegen will Hauk nun wissen, was im Staatsforst gilt. Der macht 40 Prozent aller Wälder in Baden-Württemberg aus. Bis eine vom Ministerium angestoßene Studie fertig ist, will Hauk keine weiteren Bannwälder ausweisen.
Seltene Arten im Totholz
Kritiker verweisen zum einen darauf, dass Ammers Aussagen sich vor allem auf Pflanzen bezögen. Bei Moosen, Pilzen, Bakterien und Tieren dagegen sei die Lage eindeutig: Sie fühlten sich im geschützten Wald wohler als im bewirtschafteten. Zum anderen gehe es nicht um die Zahl der Arten. Wichtig sei vielmehr, ob sehr seltene Pflanzen und Tiere in einem Wald vorkommen. Der Nationalpark Schwarzwald etwa hat seine geschützten Wälder untersucht. Über 100 neue Käferarten wurden im Totholz entdeckt. „Viele der Arten sind nur in diesem Naturraum anzutreffen, fünf wurden sogar zum ersten Mal in Deutschland nachgewiesen“, so ein Sprecher von Umweltminister Franz Untersteller (Grüne).
Jüngere Arbeiten von Ammer aber versuchen, diese Kritik zu entkräften. Ein Zwischenfazit zu einer Untersuchung von Buchenwäldern fällt so aus: „Unsere Untersuchungen sprechen bislang nicht dafür, dass sich eine forstliche Bewirtschaftung mit ausreichend Totholz auf Landschaftsebene negativ auf die aktuelle Biodiversität von Buchenwäldern auswirkt.“Das gelte auch für seltene Arten, darunter zahlreiche
Tiere.
Umweltminister Untersteller hält wenig davon, zunächst keine weiteren Bannwälder mehr auszuweisen. „Aus unserer
Sicht ist ein Moratorium vor dem Hintergrund des Klimawandels und des Artensterbens keine Alternative“, sagt sein Sprecher – und widerspricht damit Hauks Plänen. Das Umweltministerium verweist auf geltende Absprachen und Verträge. Sowohl in der Naturschutzstrategie des Landes als auch im Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU sei das Ziel verankert, bis 2020 zehn
Prozent der
Wälder im
Staatswald nicht mehr zu bewirtschaften.
Reinhold
Pix, Forstexperte der Grünen im Landtag, verweist noch auf einen anderen Faktor: „Im
Staatswald gibt es nach wie vor ein großes Potenzial an Waldflächen, deren Erschließung teurer ist als der
Gewinn, der damit zu erzielen ist.“Sprich: Es ist günstiger, diese Flächen sich selbst zu überlassen, als
Bäume zu fällen und Holz zu verkaufen. Pix setzt auf einen Sinneswandel im Landwirtschaftsministerium: „Wir sind dazu mit dem Koalitionspartner im Gespräch und optimistisch, dass wir eine gute Lösung finden.“
Johannes Enssle, Chef des Naturschutzverbands Nabu, sieht Ammers Arbeit von dem Minister und Diplom- Forstwirt Hauk fehlinterpretiert. Sie würde im Gegenteil zeigen, dass erst die Mischung aus bewirtschaftetem und geschütztem Wald notwendig sei für eine möglichst große Artenvielfalt. „Minister Hauk will Zeit kaufen, um die vereinbarten Schutzquoten im Wald nicht bis 2020 umsetzen zu müssen“, glaubt Enssle. „Der Minister sollte noch mal die Schulbank als Forstwirt drücken, wenn er solche Thesen aufstellt.“
Auch Brigitte Dahlbender vom Bund für Umwelt und Naturschutz hält Hauks Vorstoß für politisch motiviert. Laut geltender Verträge müsse Hauk bis 2020 noch 2500 Hektar als Bannwald ausweisen. Ihr Verdacht: Der Minister blockiere, weil der Holzverkauf dem Staatshaushalt gutes Geld bringe. „Es wäre ein Armutszeugnis für ein reiches Bundesland wie Baden-Württemberg, wenn es wegen wirtschaftlicher Argumente seinen nationalen und internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen würde“, sagt Dahlbender. Darüber hinaus breche Hauk den Koalitionsvertrag mit den Grünen. „Wenn Hauk hier eine Kehrtwende vollzieht, ist das ein Vertragsbruch, der auch den Ministerpräsidenten interessieren sollte“, meint Dahlbender.