Je größer, desto Norwegen
Weshalb Trainer Alexander Stöckls Quartett die Skiflug-WM in Oberstdorf dominiert hat
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OBERSTDORF - Als Daniel-André Tande seine jetzt doppelweltmeisterliche Pflicht getan hatte, als Norwegens Team-Gold durch seinen Sicherheitsflug auf 202,5 Meter Tatsache geworden war, schwenkte die Videowand-Kamera für einen Augenblick in Richtung Trainerturm. Man sah eine Faust, man sah jemanden seine Anspannung herausbrüllen. Man sah Alexander Stöckl. Im März 2011 hat der heute 44-Jährige aus Sankt Johann in Tirol die Nachfolge Mika Kojonkoskis als Skisprung-Richtliniengeber in „Norges Skiforbund“angetreten. Die Medaillen von Oberstdorf waren die fünfte und sechste, die seine Sportler bei Titelkämpfen vom ganz großen Bakken gewannen. Norwegens Weltcup-Bilanz, Flug, in den sechseinhalb gemeinsamen Wintern: drei Siege, zwei zweite, zwei dritte Ränge im Team, dazu zwei Siege, neun zweite sowie sechs dritte Plätze solo.
Ein Skifliegerland! Spötter hatten es verschrien, gleich als Alexander Stöckl zur Heim-WM 2012 in Vikersund den Text des offiziellen Songs beigesteuert hat: „Flying into The Future“. Das Lied aber wurde Programm. Was weniger etwas mit der Stöckl’schen Vergangenheit auf den Flugschanzen dieser Welt zu tun hat (bestes Resultat war da ein 15. Rang 1993 am Kulm) als mit der Skisprungkultur und -ausbildung in Norwegen. Schon junge Springer trainierten auf großen Schanzen, seien dabei auch oft mit heiklen Windverhältnissen konfrontiert. „Sie lernen also früh, mit Luftkräften umzugehen.“Mut ist da Begleiter – Respekt auch – eines offensiven, aggressiven Springens. „Sie holen im Flug viel raus.“
Roar Ljøkelsøy bestätigt das lächelnd. Skiflug-Weltmeister 2004 und 2006 war der Mann aus Orkdal, in Einzel- und Teamwettbewerb jeweils. Flug-Gold mal vier, da drängt sich die Frage auf nach dem Erfolgsrezept. Seit vergangener Saison gehört Roar Ljøkelsøy zum Trainerstab des Deutschen Skiverbandes, der 41-Jährige soll seine Expertise vor allem in Sachen Skifliegen einbringen. Tut er seither, besonders intensiv in der Zusammenarbeit mit Richard Freitag.
Der war mit Bronze und anderntags dem höchsten Punkte-Ertrag im Mannschaftsfliegen einer der stabilsten WM-Starter von der Heini-Klopfer-Schanze. Auch, erklärt Roar Ljøkelsøy, weil er es mehr und mehr verstehe, „die Geschwindigkeit mitzunehmen“. In die Flugphase, in der auch marginale Änderungen von Technik und Position mächtig Meter bringen. Da vor allem, im Spiel mit dem Wind, liegt die hohe Qualität der Norweger. Also, so Alexander Stöckl, muss gelten: Das System schließt schnell, wir verlieren wenig Speed. Dann nämlich könnten die Johansson, Stjernen, Forfang, Tande ihre Stärken effektiv ausspielen. Motto: „Je größer, desto besser.“
Klingt plausibel, nachvollziehbar. Und ist doch so komplex. Robert Johansson am Sonntagabend: „Es ist schwer zu sagen, was unser Geheimnis ist.“Ein Geheimnis, das allenfalls „kleine Fehler“(so Alexander Stöckl) zugelassen hatte bei acht Luftfahrten. Das es erlaubte, Anders Fannemel zuschauen zu lassen, weil der Weiten- weltrekordler a. D. meist mehrere Versuche braucht, um den Rhythmus einer Schanze aufzunehmen. In Oberstdorf war er, bei windbedingt nur einem Trainingsflug, aus dem norwegischen Quintett der am frühsten Gelandete ... Ein Geheimnis auch, das das Fehlen von Kenneth Gangnes verkraften ließ, des Skiflug-WM-Zweiten von 2016. Er hat im November den bereits vierten (!) Kreuzbandriss seiner Karriere erlitten.
Ein Geheimnis schließlich, das Gold brachte. Und Werner Schuster ins Grübeln. „Zu einer Skiflugnation wie Norwegen“, sprach der deutsche Bundestrainer, „fehlt uns in der Breite noch bissl was.“Trotz Roar Ljøkelsøy? Dem Viermal-Weltmeister, der so bemerkenswert entspannt fokussiert sein kann? Werner Schuster: „Was er sagt, hat Hand und Fuß.“Fliegen allerdings, „das müssen sie schon selber“.