Türkische Offensive ein Fall für die Nato
Der Moscheeverband soll zum Gebet für den Sieg türkischer Soldaten aufgerufen haben
BERLIN (dpa) - Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat die Nato aufgefordert, sich mit der türkischen Offensive in Syrien zu befassen. Darum habe er Generalsekretär Jens Stoltenberg gebeten, sagte Gabriel in Berlin. Die Armee des Nato-Mitglieds Türkei war am Sonntag in Nordsyrien einmarschiert, um die kurdische Miliz YPG zu bekämpfen. Außerdem kündigte Gabriel an, dass die Bundesregierung die von der Türkei gewünschte Nachrüstung der „Leopard 2“-Kampfpanzer vorerst nicht genehmigen werde.
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BONN (KNA) - Kirchen, in denen für den Sieg deutscher Waffen gebetet wird – das ist zum Glück lange her. Stattdessen wird in Moscheen in Deutschland für einen Sieg türkischer Soldaten bei ihrer Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien gebetet.
Nach dem Skandal um die Bespitzelung vermeintlicher Anhänger der Gülenbewegung durch Imame gerät der deutsch-türkische Moscheeverband Ditib erneut in die Kritik. Prediger der Ditib sollen am vergangenen Wochenende die Gläubigen aufgefordert haben, die 48. Sure im Koran zu rezitieren. Auf Türkisch heißt sie „Fetih-Sure“, auf Deutsch bedeutet das so viel wie „Der Sieg“.
Politiker und Religionsexperten befürchten, dass der sich zuspitzende Konflikt auch auf Deutschland überschwappen und die Moscheen dabei eine unrühmliche Rolle spielen könnten. Schon in den vergangenen Tagen gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken am Flughafen Hannover und Anschläge auf zwei Moscheen.
Ditib dementiert Vorwürfe
Die Ditib wies die Vorwürfe am Mittwoch zurück. Welche Gebete gesprochen würden, entschieden die Gemeinden selbst, so der Dachverband in Köln. Entsprechend der Grundprinzipien des Islam werde in diesen Tagen für Frieden gebetet.
Etwas anders äußert sich Mustafa Yeneroglu, Mitglied der türkischen Regierungspartei AKP und der Parlamentarischen Versammlung des Europarats: Er habe selbst erlebt, dass, nachdem deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen seien, in den Kirchen auch für den Schutz und für die gefallenen Soldaten gebetet worden sei, sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk.
Allerdings ist das die halbe Wahrheit. Richtig ist, dass die Aufforderung zum Gebet nicht von der Ditib, sondern von der staatlichen Religionsbehörde Diyanet in Ankara ausging und über den Religionsattaché der türkischen Botschaft in Berlin an die Ditib-Gemeinden weitergeleitet wurde. Die Imame der Ditib-Gemeinden sind türkische Staatsbeamte und der Diyanet unterstellt.
Auch für den Sieg wurde gebetet, wie Moscheegemeinden im Internet dokumentierten. Man werde dafür beten, dass „unsere heldenhafte Armee und unsere heldenhaften Soldaten siegreich sein werden“, schrieb etwa ein Imam im baden-württembergischen Bad Wurzach. Auch der Religionsattaché der türkischen Botschaft in Berlin, Ahmet Fuat Candir, rief auf seiner Facebook-Seite auf, für den Sieg zu beten. Die Einträge wurden mittlerweile gelöscht.
Die türkische Religionsbehörde Diyanet selber veröffentlichte auf ihrer Homepage ein Video, in dem ihr Chef Ali Erbas darum bat, Allah möge seinen irdischen Truppen durch Engelsscharen beistehen. Er pries den Märtyrertod und erklärte: „Wir werden unseren Dschihad überall führen.“Politiker und Religionsexperten sind empört: Wolfgang Bosbach (CDU) stellte die Frage, ob Ditib „weiterhin als staatlicher Partner akzeptabel ist“. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), erklärte: „Dieser ausländische Einfluss auf die islamischen Gemeinden in Deutschland ist inakzeptabel.“
Der Leiter der Christlich-Islamischen Begegnungsund Dokumentationsstelle der Deutschen Bischofskonferenz (Cibedo), Timo Güzelmansur, erklärte auf domradio.de, es sei „verheerend, wenn religiöse Organisationen kriegerische Auseinandersetzungen befürworten“. Auch der Islamwissenschaftler Wilfried Buchta warf Ditib und Diyanet am Donnerstag im Deutschlandfunk einen Missbrauch der Religion für Kriegspropaganda vor.
Buchta und Güzelmansur betonten, der Aufruf zum Heiligen Krieg sei völlig verfehlt. Denn eigentlich spiele Religion in dem Konflikt kaum eine Rolle, da sowohl Türken als auch Kurden zum sunnitischen Islam gehörten. Buchta hielt der Regierung Erdogan vor, sich immer mehr in Richtung einer islamistischen Präsidialdiktatur zu entwickeln. Die Religion werde aus Machtgründen instrumentalisiert.
Güzelmansur warnte vor einem Überschwappen des Konflikts nach Deutschland. Buchta forderte die deutschen Behörden auf, „gegen diese plumpe Kriegspropaganda der Ditib-Gemeinden entschlossen und hart“einzugreifen. Kriegspropaganda sei mit der Rolle von Religion in demokratischen, säkular organisierten Staaten unvereinbar. Die Zusage Gabriels erfolgte aber vor der türkischen Offensive in Nordsyrien, die am vergangenen Samstag mit Luftangriffen begann. Am Sonntag folgte der Einmarsch türkischer Truppen. Vier Tage später verständigte sich am Donnerstag Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Gabriel darauf, nicht über die „Leopard“Nachrüstung zu entscheiden, bis eine neue Bundesregierung im Amt ist. Gabriel begründete das nach dem Gespräch mit Merkel damit, dass die Rüstungsexporte in Koalitionsverhandlungen eine „herausragende Rolle“spielen werden.
Die Entscheidung könnte zu einer neuen Belastung der deutsch-türkischen Beziehungen führen, die Gabriel und Cavusoglu gerade erst auf den Weg der Entspannung gebracht haben. Cavusoglu äußerte sich am Donnerstag überrascht über die Berichte über eine Aussetzung der Leopard-Nachrüstung. „Von einer Aussetzung oder Annullierung ist keine Rede“, sagte er der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. „Es hätte sich eine Kommission bezüglich der Leopard-Panzer versammeln sollen. Diese Versammlung der Kommission wurde verschoben.“Mit Kommission kann er eigentlich nur den Bundessicherheitsrat meinen, der über deutsche Rüstungsexporte entscheidet. Dem Gremium gehören Merkel, Gabriel und weitere Minister an.
Angesichts der Spannungen in den deutsch-türkischen Beziehungen hatte die Bundesregierung die Genehmigung von Rüstungsexporten in die Türkei im vergangenen Jahr zwar eingeschränkt, aber nicht gestoppt. 2017 wurden Geschäfte im Wert von 34,2 Millionen Euro genehmigt.