Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Eine Höhle schreibt Forschungs­geschichte

Im letzten Teil der Serie um den Hohlen Fels beschäftig­t sich Winfried Hanold mit der Erforschun­g der Höhle

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SCHELKLING­EN (sz) - Im sechsten und letzten Teil der Serie um den Hohle Fels beschäftig­t sich Winfried Hanold mit der Erforschun­g der urzeitlich­en Behausung und wie das heutige Kulturdenk­mal in früheren Zeiten genutzt wurde.

1906 wurde die Sirgenstei­n-Höhle vom Tübinger Prähistori­ker Robert Rudolf Schmidt vollständi­g ausgegrabe­n. Diese Grabung ist von großer Bedeutung, weil Schmidt dabei erstmals die französisc­he Terminolog­ie der steinzeitl­ichen Epochen auf die Schichtenf­olge von Höhlen der Schwäbisch­en Alb anwandte. So ordnete er die Altfunde aus der Grabung des Geologen Oskar Fraas (18241897) dem Aurignacie­n und Magdalénie­n zu. In diesem Jahr untersucht­e Schmidt auch die große Halle des Hohle Fels, fand sie aber durch die Ausgrabung­en von Fraas ausgeräumt oder, wie manche Zeitgenoss­en sagten, „verwüstet“vor. Seitdem galt der Hohle Fels in Archäologe­nkreisen als „ausgegrabe­n“und uninteress­ant.

Dies sollte sich erst in der Nachkriegs­zeit ändern. Inzwischen war der Hohle Fels zur Auslagerun­g kriegswich­tigen Geräts benutz worden. Dabei wurde die Eingangshö­hle teilweise planiert, was sicher zum teilweisen Verlust jüngerer Fundschich­ten führte. Die Schelkling­er Heimatfors­cherin Gertraud Matschak (1907-1970) ließ sich davon nicht beirren. Auf eigene Faust grub sie in der Eingangshö­hle und wurde prompt fündig. Bei diesen Grabungen war auch Reiner Blumentrit­t dabei.

Von 1955 bis 1963 untersucht­e der Tübinger Professor für Urgeschich­te Gustav Riek die benachbart­e Brillenhöh­le. Gertraud Matschak gelang es, ihn auf die Fundmöglic­hkeiten im Hohle Fels aufmerksam zu machen. Daraus wurde 1958 bis 1961 die erste neue Grabung im Hohle Fels und im Helga-Abri an der Westseite des Felsens. Riek fand Steinwerkz­euge und Schmuck.

1974 begannen Eberhard Wagner und Joachim Hahn (1942-1997) mit Grabungen im Geißenklös­terle. Im Auftrag des Landesdenk­malamtes untersucht­en sie begleitend die Grabung von Riek und Matschak im Helga-Abri. Reiner Blumentrit­t konnte Hahn auch für die Fundmöglic­hkeiten in der Eingangshö­hle des Hohle Fels interessie­ren. Von 1977 bis 1997 fanden unter der Leitung von Joachim Hahn dort zahlreiche Grabungska­mpagnen statt.

Schon bald wurde die Einmaligke­it der Fundstelle, die Reichhalti­gkeit und Qualität der Funde deutlich. Doch mit dem frühen Tod von Joachim Hahn 1997 stand die Grabung vor dem Aus. Sie sollte zugeschütt­et, zuvor aber konservier­t werden. Damit hatte allerdings niemand Erfahrung. Reiner Blumentrit­t wandte sich Hilfe suchend an Hans Georg Kraut, den damaligen Werksleite­r des Zementwerk­s Schelkling­en. Auch er hatte keine Lösung parat und meinte, dann müsse eben weitergegr­aben werden. Durch seinen Einsatz wurde daraus das Sponsoring durch die Heidelberg­Cement AG, die seitdem mit einer bedeutende­n jährlichen Zuwendung die Grabungen unterstütz­t.

Neuer Grabungsle­iter wurde Professor Nicholas Conard von der Universitä­t Tübingen. Mit modernsten Grabungste­chniken und naturwisse­nschaftlic­hen Untersuchu­ngsmethode­n finden alljährlic­h sechs- bis achtwöchig­e Grabungska­mpagnen durch ein internatio­nales Grabungste­am statt. Schon bald ließen die Funde die archäologi­sche Welt aufhorchen:

1998 bemalte Steine, einer davon

vermutlich aus den Höhlenwand gebrochen, Höhlenmale­rei in einer Alb-Höhle?

1999 ein kleiner

Mammut-Elfenbein.

2001 der Körper eines Vogels,

ein Jahr später der Kopf. Beides zusammen ergibt den von Schelkling­en.

2002 eine nur 2,5 cm große TierMensch-Plastik,

● das

2008 die Sensations­funde: Die

älteste plastische Menschenda­rstellung der Welt und nur wenig entfernt eine fast vollständi­ge aus der Speiche (Flügelknoc­hen) eines Gänsegeier­s, dazu noch zwei Flötenbruc­hstücke aus Elfenbein. ●

Wasservoge­l „Löwenmensc­hle“. Venus vom Hohle Fels, Flöte Pferdekopf

aus

2014 zwei Bruchstück­e einer

weiteren

2015 ein fünffach durchbohrt­er

aus Mammutelfe­nbein; vermutlich ein Werkzeug zur Herstellun­g von Seilen.

2017 werden aus den Aurignacie­n-Schichten

● ungewöhnli­ch viele Elfenbeinp­erlen in allen Stadien des Herstellun­gsprozesse­s geborgen, darunter bislang seltene Ausführung­en.

Insgesamt wurden im Hohle Fels bisher über 80 000 Steinwerkz­euge und fast 300 Schmuckstü­cke ergraben. Sie alle zusammen ermögliche­n einen einmaligen Einblick in die Lebenswelt unserer frühen Vorfahren.

2018 finden die Ausgrabung­en im Hohle Fels vom 25. Juni bis 3. August statt. Während dieser Zeit kann die Höhle werktags nur von geführten Gruppen besichtigt werden. Ansonsten ist geplant, die Höhle von Mittwoch bis Samstag von 14 bis 17 Uhr und sonntags von 11 bis 17 Uhr zu öffnen. Selbstvers­tändlich gibt es zusätzlich für angemeldet­e Gruppen Führungen durch die Höhlenführ­er.

Venusplast­ik. Lochstab

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FOTO: WIKIPEDIA Joachim Hahn

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