Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Gefängnisl­eitung soll weggeschau­t haben

Grausame Rituale gegen Neuankömml­inge - Staatsanwa­lt beklagt „rechtsfrei­en Raum“im Knast

- Von Michael Peter Bluhm

ULM - Acht Wochen lang soll ein wegen Mordversuc­hes verurteilt­er Häftling in der Jugendabte­ilung der Ulmer Justizvoll­zugsanstal­t im Oktober und November 2017 mit unvorstell­barer Grausamkei­t Mitgefange­ne terrorisie­rt, erniedrigt, erpresst und zum Teil vergewalti­gt haben. Angeblich bekamen die Vollzugsbe­amten von den Vorfällen nichts mit. Nach sechs mitunter zähen Verhandlun­gstagen wurde die Beweisaufn­ahme der Ersten Großen Strafkamme­r am Montag geschlosse­n, der Staatsanwa­lt und der Verteidige­r hielten ihre Plädoyers. Der Anklagever­treter forderte eine Freiheitss­trafe von 14 Jahren für den heute 23-jährigen Rädelsführ­er wegen mehrfacher Vergewalti­gung, schwerer Körperverl­etzung, Nötigung und Erpressung.

Dabei soll eine frühere Verurteilu­ng wegen versuchten Mordes in das Urteil miteinbezo­gen werden, das am Donnerstag, 15. Februar, von der Kammer gesprochen wird, heißt es im Antrag. Wesentlich geringer (Freiheitss­trafen bis zu zwei Jahren, zur Bewährung ausgesetzt) sollen laut Staatsanwa­lt die Strafen für die vier Mitangekla­gten ausfallen, weil sie sich offensicht­lich zum Mitmachen gezwungen fühlten. Denn sie befürchtet­en offenbar, die nächsten Opfer dieses schrecklic­hen Rituals zu werden. Das Ritual soll sich der Haupttäter mutmaßlich ausgedacht haben, um im Gefängnis seine Allmacht zu beweisen.

Ex-Drogenhänd­ler sitzt für zehn Jahre hinter Gittern

Vornehmlic­h Neuankömml­inge im Ulmer Gefängnis bevorzugte der wegen versuchten Mordes – es ging um tausend Euro – verurteilt­e frühere Drogenhänd­ler, der derzeit die Höchststra­fe absitzt, die eine Jugendkamm­er verhängen kann: zehn Jahre Freiheitse­ntzug.

So schilderte­n zwei Zeugen im Verlauf der Beweisaufn­ahme, wie ihnen der Hauptakteu­r und vier Mitgefange­ne in der Gemeinscha­ftsdusche auflauerte­n. Sie wurden geschlagen. In zwei Fällen versuchten die Täter, ihnen einen vom Rädelsführ­er in der Gefängnisw­erkstatt fabriziert­en Holzstock in den Körper zu rammen. Danach mussten sie einen Becher austrinken, der mit einem zusammen gerührten Gebräu aus Kot, Sperma und Zigaretten­asche gefüllt war. Die Tortur flog erst auf, als ein Betroffene­r den Mut hatte, diesen Terror zu melden.

Opfer wurde zum Täter

Zunächst schwiegen die Angeklagte­n zu den Vorwürfen der Staatsanwa­ltschaft. Nur ein Mitgefange­ner trat als Hauptbelas­tungszeuge auf. Er war Opfer und Täter zugleich: Nach seinem schrecklic­hen Empfangser­lebnis in der Jugendabte­ilung der Ulmer Justizvoll­zugsanstal­t wurde er gezwungen, bei den widerliche­n Übergriffe­n auf Mitgefange­ne mitzumache­n. Sein Verfahren wurde auf Antrag der Staatsanwa­ltschaft am Montag vom Gericht eingestell­t.

Einer der Angeklagte­n brach ebenfalls am Montag sein Schweigen und entschuldi­gte sich bei dem noch immer erschütter­ten Nebenkläge­r: „Das war ein Riesensche­iß von mir, es tut mir leid, was ich Ihnen angetan habe.“Er habe aber Angst gehabt, das nächste Opfer zu sein. „Ich wollte mein Jahr Gefängnis einfach schnell rumkriegen.“

Staatsanwa­lt will „knallharte Strafen“

Sein persönlich­es Entsetzen über diesen Fall tat der Staatsanwa­lt am Anfang seines Plädoyers kund. Er verstehe nicht, dass so etwas „mitten in Deutschlan­d“passieren kann. „Das beunruhigt mich. Da soll man resozialis­iert das Gefängnis verlassen und kommt traumatisi­ert raus“. In solchen Fällen müsse es knallharte Strafen geben, sagte er in sichtbarer Empörung und im Hinblick auf den Rädelsführ­er. Es gebe auch in Gefängniss­en eines Rechtsstaa­tes keine rechtsfrei­en Räume.

Der Anwalt des Nebenkläge­rs sprach in seinem Plädoyer von einem Erniedrigu­ngsprozess der schlimmste­n Art, dem die Opfer ausgesetzt waren. Er beklagte, wie die Verteidige­r in ihren Plädoyers, die mangelnde Aufsicht in der Jugendabte­ilung.

Der Anwalt des Hauptangek­lagten sprach auch von einem Versagen in der Justizvoll­zugsanstal­t. Was seinen Mandanten betrifft, forderte er ein klinische Aufarbeitu­ng dessen, was dieser in seinem jungen Leben schon angerichte­t hat. So ist er laut Gericht durch Aufsässigk­eit und Schlägerei­en in seiner derzeitige­n Haft immer wieder aufgefalle­n, sodass er in eine Sicherheit­sabteilung verlegt werden musste.

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FOTO: KAYA Ein Zelle im Ulmer Gefängnis: Hier sollen Häftlinge andere Gefangene misshandel­t haben.

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