Gefängnisleitung soll weggeschaut haben
Grausame Rituale gegen Neuankömmlinge - Staatsanwalt beklagt „rechtsfreien Raum“im Knast
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ULM - Acht Wochen lang soll ein wegen Mordversuches verurteilter Häftling in der Jugendabteilung der Ulmer Justizvollzugsanstalt im Oktober und November 2017 mit unvorstellbarer Grausamkeit Mitgefangene terrorisiert, erniedrigt, erpresst und zum Teil vergewaltigt haben. Angeblich bekamen die Vollzugsbeamten von den Vorfällen nichts mit. Nach sechs mitunter zähen Verhandlungstagen wurde die Beweisaufnahme der Ersten Großen Strafkammer am Montag geschlossen, der Staatsanwalt und der Verteidiger hielten ihre Plädoyers. Der Anklagevertreter forderte eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren für den heute 23-jährigen Rädelsführer wegen mehrfacher Vergewaltigung, schwerer Körperverletzung, Nötigung und Erpressung.
Dabei soll eine frühere Verurteilung wegen versuchten Mordes in das Urteil miteinbezogen werden, das am Donnerstag, 15. Februar, von der Kammer gesprochen wird, heißt es im Antrag. Wesentlich geringer (Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren, zur Bewährung ausgesetzt) sollen laut Staatsanwalt die Strafen für die vier Mitangeklagten ausfallen, weil sie sich offensichtlich zum Mitmachen gezwungen fühlten. Denn sie befürchteten offenbar, die nächsten Opfer dieses schrecklichen Rituals zu werden. Das Ritual soll sich der Haupttäter mutmaßlich ausgedacht haben, um im Gefängnis seine Allmacht zu beweisen.
Ex-Drogenhändler sitzt für zehn Jahre hinter Gittern
Vornehmlich Neuankömmlinge im Ulmer Gefängnis bevorzugte der wegen versuchten Mordes – es ging um tausend Euro – verurteilte frühere Drogenhändler, der derzeit die Höchststrafe absitzt, die eine Jugendkammer verhängen kann: zehn Jahre Freiheitsentzug.
So schilderten zwei Zeugen im Verlauf der Beweisaufnahme, wie ihnen der Hauptakteur und vier Mitgefangene in der Gemeinschaftsdusche auflauerten. Sie wurden geschlagen. In zwei Fällen versuchten die Täter, ihnen einen vom Rädelsführer in der Gefängniswerkstatt fabrizierten Holzstock in den Körper zu rammen. Danach mussten sie einen Becher austrinken, der mit einem zusammen gerührten Gebräu aus Kot, Sperma und Zigarettenasche gefüllt war. Die Tortur flog erst auf, als ein Betroffener den Mut hatte, diesen Terror zu melden.
Opfer wurde zum Täter
Zunächst schwiegen die Angeklagten zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft. Nur ein Mitgefangener trat als Hauptbelastungszeuge auf. Er war Opfer und Täter zugleich: Nach seinem schrecklichen Empfangserlebnis in der Jugendabteilung der Ulmer Justizvollzugsanstalt wurde er gezwungen, bei den widerlichen Übergriffen auf Mitgefangene mitzumachen. Sein Verfahren wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft am Montag vom Gericht eingestellt.
Einer der Angeklagten brach ebenfalls am Montag sein Schweigen und entschuldigte sich bei dem noch immer erschütterten Nebenkläger: „Das war ein Riesenscheiß von mir, es tut mir leid, was ich Ihnen angetan habe.“Er habe aber Angst gehabt, das nächste Opfer zu sein. „Ich wollte mein Jahr Gefängnis einfach schnell rumkriegen.“
Staatsanwalt will „knallharte Strafen“
Sein persönliches Entsetzen über diesen Fall tat der Staatsanwalt am Anfang seines Plädoyers kund. Er verstehe nicht, dass so etwas „mitten in Deutschland“passieren kann. „Das beunruhigt mich. Da soll man resozialisiert das Gefängnis verlassen und kommt traumatisiert raus“. In solchen Fällen müsse es knallharte Strafen geben, sagte er in sichtbarer Empörung und im Hinblick auf den Rädelsführer. Es gebe auch in Gefängnissen eines Rechtsstaates keine rechtsfreien Räume.
Der Anwalt des Nebenklägers sprach in seinem Plädoyer von einem Erniedrigungsprozess der schlimmsten Art, dem die Opfer ausgesetzt waren. Er beklagte, wie die Verteidiger in ihren Plädoyers, die mangelnde Aufsicht in der Jugendabteilung.
Der Anwalt des Hauptangeklagten sprach auch von einem Versagen in der Justizvollzugsanstalt. Was seinen Mandanten betrifft, forderte er ein klinische Aufarbeitung dessen, was dieser in seinem jungen Leben schon angerichtet hat. So ist er laut Gericht durch Aufsässigkeit und Schlägereien in seiner derzeitigen Haft immer wieder aufgefallen, sodass er in eine Sicherheitsabteilung verlegt werden musste.