SPD fällt auf Rekordtief
Designierte Parteichefin Nahles greift Gabriel an
BERLIN (dpa) - Knapp eine Woche vor ihrem Mitgliederentscheid über eine neue Große Koalition ist die SPD in der Wählergunst auf ein Rekordtief abgesackt. In einer Umfrage von Infratest Dimap für den ARDDeutschlandtrend Extra kommen die Sozialdemokraten nur noch auf 16 Prozent. Das sind zwei Punkte weniger als Anfang Februar. Der Wert ist der schlechteste, den die SPD in einer Umfrage bisher erzielt hat. Dass Andrea Nahles als neue Parteivorsitzende das Ruder herumreißt, glaubt nur ein Drittel der Befragten, knapp die Hälfte traut ihr das nicht zu.
Nahles rief den amtierenden Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) indes zum Verzicht auf Werbung in eigener Sache auf. „Es ist jetzt nicht die Zeit, dass Einzelne eine Kampagne für sich selbst starten“, sagte die für den SPD-Vorsitz nominierte Politikerin dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Das Verhältnis der beiden gilt als belastet.
●
●
BERLIN - Sigmar Gabriel (SPD) ist zurück, der geschäftsführende Außenminister funkt wieder auf allen Kanälen. Die Freilassung Deniz Yücels ist sein jüngster Coup, den er am Freitag maximal auszuschlachten sucht. Er habe sich zwei Mal mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen, „um eine Beschleunigung der Verfahren zu erreichen“, verkündet Gabriel vor laufenden Kameras im Scheinwerferlicht der Münchner Sicherheitskonferenz. Süffisant dankt er Kanzlerin Angela Merkel (CDU), „die mich hat arbeiten lassen“. Gabriels Botschaft: Deniz in Freiheit – das ist vor allem mein Verdienst.
Plötzlich spürt der Chefdiplomat wieder Aufwind im Kampf um sein Amt und seine politische Zukunft. Gerade zehn Tage ist es her, da stand Gabriel vor dem Scherbenhaufen seiner Karriere. Martin Schulz hatte mit Andrea Nahles einen Deal vereinbart. Er wollte ihr den SPD-Chefposten überlassen, sich aber Gabriels Job als Außenminister in einer neuen Großen Koalition sichern. Der Amtsinhaber war stinksauer, fühlte sich ausgebotet, schmollte, sagte alle Termine ab und trat Schulz verbal in die Hacken.
Die persönliche Attacke gegen Schulz – Gabriel ließ seiner Wut freien Lauf und brachte sich damit im Führungszirkel der Partei um die allerletzten Sympathien. Einen Tag später sollte sich das Blatt wenden: Schulz musste unter massivem Druck seine Außenamtspläne begraben. „Hätte Gabriel am Vortag die Klappe gehalten, dann hätte er wieder eine echte Chance gehabt, Außenminister zu bleiben“, sagte ein Spitzengenosse noch Anfang der Woche. Aber so? Für die designierte Parteichefin Andrea Nahles und den kommissarischen Vorsitzenden Olaf Scholz ist Gabriel ein rotes Tuch, sie wollen ihn unbedingt loswerden und haben Präsidium und Vorstand hinter sich. Als selbstherrlicher Vorsitzender mit Diva-Allüren, der die Partei immer wieder vor den Kopf gestoßen hatte, hat Gabriel verbrannte Erde hinterlassen. Seine Attacke gegen Schulz war für Nahles die Steilvorlage, um Gabriel aufs Abstellgleis zu schieben.
Gehässigkeit zum Scherz erklärt
Aber Gabriel wäre nicht Gabriel, würde er die Waffen strecken. Kaum witterte er nach dem Schulz-Abgang wieder die Chance, seinen Posten zu retten, erklärte er seine Gehässigkeit zum misslungenen Scherz, bat Schulz erst per SMS und dann persönlich um Verzeihung und setzte sich wieder ins Flugzeug, um auf internationalem Parkett zu glänzen: In Belgrad ließ er sich vom serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic mit Lob überschütten. Es folgte die öffentliche Beichte in der Wochenzeitung „Die Zeit“, dann ein staatstragender Gastbeitrag zur Weltlage samt Mahnung an die eigenen Leute, dringend eine Regierung zu bilden, in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Am Freitag die höchste Kamerapräsenz auf der Münchner Sicherheitskonferenz – dabei hatte er seinen Auftritt vor einer Woche noch abgesagt. Das alles gekrönt von der Yücel-Freilassung und einer Umfrage: Fast 54 Prozent der Deutschen wünschen sich Gabriel weiter als Außenminister. Die Alternativkandidaten der SPD, Justizminister Heiko Maas und Familienministerin Katarina Barley, landen abgeschlagen bei 13 beziehungsweise sieben Prozent. „Ich finde, auf so ein Pfund sollte nicht verzichtet werden“, gibt der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, selbst SPD-Mitglied, Gabriel massive Rückendeckung.
Die SPD-Führungsriege will erst nach dem Mitgliederentscheid am 4. März entscheiden, wen sie ins Kabinett schickt. Vor einer Woche hätte Nahles Gabriel noch leicht loswerden können. Aber jetzt, nachdem Gabriel wieder voll durchgestartet ist?
Der designierten Parteivorsitzenden platzte am Freitag der Kragen. „Es ist jetzt nicht die Zeit, dass Einzelne eine Kampagne für sich selbst starten“, zeigte Andrea Nahles Gabriel die Gelbe Karte. Sie versucht, den Höhenflug des populären Ministers auszubremsen. „Die Mitglieder der SPD haben die Faxen dicke von den ewigen Personaldebatten“, will Nahles die Frage abbügeln, wer nächster Außenminister werden soll.