Ausdauernder Kämpfer gegen die Große Koalition
Der Juso-Bundesvorsitzende Kevin Kühnert ist das Gesicht des Widerstands
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MANNHEIM - Kevin Kühnert ist ein Mann mit einer Mission. Sie lautet: Nein zu einer neuerlichen Großen Koalition seiner SPD mit der Union. Seit dem 9. Februar ist der Juso-Bundesvorsitzende auf seiner No-GroKo-Tour quer und längs in Deutschland unterwegs, 25 Termine in 14 Tagen. Aus München kommt er gerade. Gleich wird er im Mannheimer Gewerkschaftshaus über seine Haltung debattieren.
Im ICE zwischen Mannheim und Stuttgart läuft an diesem Freitag ein junger Mann mit Baseballkappe an Kühnert vorbei. „Viel Erfolg weiterhin“, sagt er. „Vielen Dank“, antwortet Kühnert lächelnd. Ein paar Dutzend Male am Tag passiere das, sagt Kühnert. Er ist erkältet, seine Augen sind glasig und darunter zeichnen sich Schatten ab. Medikamente halten ihn am Laufen.
An diesem Tag veröffentlicht das ZDF sein neues Politbarometer. Die Forschungsgruppe Wahlen hat herausgefunden, dass eine deutliche Mehrheit der SPD-Anhänger nicht nur eine erneute Große Koalition befürwortet, sondern auch glaubt, dass dies für die Partei der bessere Weg wäre. Kühnert sieht das fundamental anders. „Ein Erneuerungsprozess unserer Partei hat neben einer Regierungsbeteiligung noch nie geklappt.“Dass ein solcher nötig ist, darin sind sich die Pro- und No-GroKo-Lager einig. Und er bezweifelt, dass die SPD in ihrer derzeitigen Lage stark genug ist, die Koalition frühzeitig zu beenden, wenn sie ihre Anliegen nicht umgesetzt bekommt. Kühnert will, dass die SPD in der Opposition erarbeitet, wofür sie steht. Nur durch Erneuerung könne sie wieder unterscheidbar und zukunftsfähig werden.
Noch bis zum 2. März können die knapp 464 000 Mitglieder ihr Votum zum Koalitionsvertrag abgeben. Seit Anfang Januar sind 24 000 Menschen in die SPD eingetreten. „Das ist ein Erfolg von uns“, sagt Kühnert selbstbewusst. Seine Forderung an die Parteimitglieder spickt der Fußballfan mit einer entsprechenden Metapher: „Ganz viele Leute haben Hoffnungen und Erwartungen in die SPD. Die müssen aber ihre Position an der Seitenlinie aufgeben und mit aufs Spielfeld kommen.“Ähnlich drückt er sich kurz darauf in Mannheim aus, wo ihm an die 200 Leute zuhören. Zehn Minuten darf er zunächst seine Argumente vorbringen. Er redet ohne Punkt und Komma, sein Feuer scheint für einen Moment die Erkältung in Schach zu halten.
Erst im November hat Kühnert den Vorsitz der Jusos übernommen. In kürzester Zeit ist der Berliner Student mit dem bubenhaften Aussehen zur Galionsfigur derjenigen Sozialdemokraten geworden, die nicht nochmal mit CDU und CSU regieren wollen. Beim Sonderparteitag in Bonn hatten 44 Prozent der Delegierten gegen Koalitionsverhandlungen mit der Union gestimmt. Seitdem ist er das Gesicht des Widerstands gegen eine erneute GroKo. „Wenn 44 Prozent der Delegierten eine Position vertreten, aber 100 Prozent des Parteivorstands eine andere, dann stimmt etwas nicht“, sagt er. Für die klaren Ansagen, die er in sachlich-ruhigem Ton äußert, lieben ihn die GroKo-Gegner – und die Fernsehkameras auch. Die Mehrheit der Anfragen von Journalisten muss er dieser Tage absagen.
Kühnerts Kritiker zeichnen von ihm gerne das Bild des Grünschnabels, der nicht wisse, was er mit seinem Widerstand anrichtet. In der deutschen Politk gilt er mit seinen 28 Jahren tatsächlich als blutjung. Die Kritik lässt ihn kalt. Er ist unwesentlich jünger als Frederick Brütting, der in Mannheim mit auf dem Podium steht und die GroKo-Befürworter vertritt. Als Brütting ungefähr in Kühnerts Alter war, stand er an der Spitze der baden-württembergischen Jusos. Heute ist er 34, gehört dem SPD-Landesvorstand an und ist seit 2012 Bürgermeister in Heubach auf der Ostalb. Sein junges Alter scheint hingegen keine Rolle in der Diskussion zu spielen.
In der Analyse einig
„In der Analyse sind wir uns einig“, sagt Brütting zum Zustand der Volkspartei SPD, die derzeit in Umfragen unter der 20-Prozent-Marke rangiert. „Aber ich ziehe andere Schlüsse.“Erneuerung unbedingt, aber mit Regierungsbeteiligung. Die Welt sei im Umbruch. „Da ist es besser, wenn wir mitregieren, als wenn wir uns zurückziehen“, sagt Brütting und verweist auf die vielen positiven Inhalte des Koalitionsvertrags.
Was passiert, wenn die SPD-Mitglieder mehrheitlich Nein sagen werden? Diese Frage ist eine der drängendsten unter den Zuhörern. Dann könnte die SPD weiter absacken, die AfD bei Neuwahlen weiter erstarken, befürchten nicht wenige. „Es gibt keinen Automatismus zu Neuwahlen“, sagt Kühnert und bittet, auch an die langfristige Existenz der Partei zu denken. Welcher Weg der richtige sei, wisse niemand. Er spricht von einer „Wette auf die Zukunft“, die beide Lager abschlössen.
Kühnert eilt weiter nach Mainz, zur dritten Veranstaltung an dem Tag. Am Samstagmorgen ist er um 10.30 Uhr in Karlsruhe, seinem zweiten und letzten Stopp in BadenWürttemberg. Was er sich wünscht, wenn seine Tour endet? „Schlaf “, sagt er lächelnd.