Von Schiller bis zum „Hennadäpper“
Erbacher Vorleserinnen unterhalten Senioren mit Geschichten, Liedern und Gedichten
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ERBACH - Alle 14 Tage, immer mittwochs, ist im Erbacher Seniorenzentrum in der Brühlstraße Vorlesezeit. Dann besuchen Petronilla Hermann, Helga Pentz oder Brigitte Kalin die Bewohner und unterhalten sie mit Geschichten, Liedern und Gedichten. Manchmal gibt es etwas Süßes oder Anschauungsmaterial.
Vorlesen heißt bei den drei engagierten Damen, die ihre ehrenamtliche Tätigkeit teilweise schon 15 Jahre lang ausüben, eben nicht nur stur Wörter aus einem Buch aneinanderreihen. Jede Vorleserin hat ihren ganz eigenen Stil, wählt ihren Lesestoff alleine aus und plant den einstündigen Auftritt. „Wichtig ist es, die Leute auf die eine oder andere Art abzuholen“, erklärt Helga Pentz. Das geschehe mit Hilfe von Texten, die das traditionelle Leben in der Region zum Thema haben, aber auch damit, dass Themen mit aktuellem Bezug, wie beispielsweise Fasnet, Fastenzeit oder Weihnachten, in den Stücken vorkommen. Gerade diese lebensnahen Beispiele sorgen für tolle Interaktionen zwischen den Bewohnern und den Vorlesern. Wie sich eine Vorlesestunde entwickle, das könne man vorher nie so ganz genau sagen, sind sich die drei Damen einig.
Gelesen, beziehungsweise vorgetragen, wird alles mögliche. Wünsche äußern die Senioren eher selten, aber auch das komme vor. Geschichten aus aller Herren Länder gesellen sich beim Vorlesenachmittag zu klassischen deutschen Gedichten von Schiller, Goethe oder Lessing. „Ich habe mal einen Text über die Kartoffelernte in früherer Zeit gelesen. Danach hat ein Zuhörer aus seiner Kindheit erzählt und auf einmal war der Vorlesenachmittag eine große Gesprächsrunde, in der die Besucher allerlei lustige Anekdoten, aber auch ernste Geschichten zur Kartoffelernte ausgetauscht haben“, berichtet Petronilla Hermann von ihren Erfahrungen.
So unterschiedlich wie der Ablauf der Vorlesestunden und die Herkunft der Texte, ist auch das Publikum. Manchmal kämen viele, manchmal wenige. Die Zahl der Teilnehmer schwankt von sechs bis 30. Da jeder willkommen ist, der gerne zuhören möchte, kommt es sogar vor, dass Kinder und Enkelkinder von Bewohnern zu den Vorleseterminen kommen. Entstanden sind die Nachmittage aus einer Initiative des ehemaligen Bürgermeisters Paul Roth, welcher der Ansicht war, dass sich nach dem Bau viele Institutionen und Vereine ins Seniorenzentrum einbringen sollten. Zu Beginn war Stadtbücherei-Leiterin Marianne Schneider die Vorleserin für die Senioren. Eines der ersten Bücher, aus denen sie las, war „Hennadäpper“, in dem Autor Martin Eichhorn Geschichten aus den Sechziger Jahren erzählt. Mit der Zeit wurde ihre Arbeit in der Stadtbücherei immer zeitintensiver und deshalb holte sie sich erst Unterstützung mit ins Boot, bevor sie das Projekt ganz in die fähigen Hände ihrer Nachfolger weitergab.
Neben dem reinen Vortragen der Texte ist das Gespräch mit den Bewohnern und die persönliche Zuwendung sehr wichtig, betont Brigitte Kalin. „Wir nehmen das ernst, was die Senioren sagen und das merken sie.“Und obwohl die Resonanz im großen und ganzen immer recht positiv sei, gefällt naturgemäß manches besser als anderes. Es handle sich eben nicht um eine homogene Gruppe, wie beispielsweise bei Schülern einer Schulklasse. Das gehe beim Alter los und ende beim Wissensstand. Heute gängige englische Begriffe sind für viele ältere Mitbürger, welche die Sprache nie gelernt hätten, unverständlich. Gleiches gelte für ausländische Namen, erklären die Vorleserinnen. „Das sind Erfahrungswerte, die wir gesammelt haben. Manchmal schreibe ich dann Texte etwas um oder passe sie so an, dass sie für die Zuhörer verständlich sind“, sagt Helga Pentz, die sich, wie ihre beiden Mitstreiterinnen, nicht einfach ein Buch schnappt und vorliest, sondern die Stunde ausführlich plant.
Davon profitieren nicht nur die Teilnehmer, die so ab und zu in den Genuss einer kleinen selbstgebackenen Leckerei, frischen Blumen oder duftenden Denkanstößen kommen. Auch die Vorleserinnen bekommen ein großes Geschenk, wie sie selbst sagen. „Man spürt die große Dankbarkeit der Menschen und ihre Freude an unseren Nachmittagen. Das macht einen selber dann auch froh und glücklich“, stellen die drei Erbacher Vorleserinnen unisono fest. Zur Fröhlichkeit gehöre untrennbar der Gesang. Deswegen wird bei den Nachmittagen nicht nur gelesen und sich ausgetauscht. Wenn es passt, stimmen Vorleserin und Publikum zusammen auch gerne das eine oder andere Lied an.