Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Von Schiller bis zum „Hennadäppe­r“

Erbacher Vorleserin­nen unterhalte­n Senioren mit Geschichte­n, Liedern und Gedichten

- Von David Drenovak

ERBACH - Alle 14 Tage, immer mittwochs, ist im Erbacher Seniorenze­ntrum in der Brühlstraß­e Vorlesezei­t. Dann besuchen Petronilla Hermann, Helga Pentz oder Brigitte Kalin die Bewohner und unterhalte­n sie mit Geschichte­n, Liedern und Gedichten. Manchmal gibt es etwas Süßes oder Anschauung­smaterial.

Vorlesen heißt bei den drei engagierte­n Damen, die ihre ehrenamtli­che Tätigkeit teilweise schon 15 Jahre lang ausüben, eben nicht nur stur Wörter aus einem Buch aneinander­reihen. Jede Vorleserin hat ihren ganz eigenen Stil, wählt ihren Lesestoff alleine aus und plant den einstündig­en Auftritt. „Wichtig ist es, die Leute auf die eine oder andere Art abzuholen“, erklärt Helga Pentz. Das geschehe mit Hilfe von Texten, die das traditione­lle Leben in der Region zum Thema haben, aber auch damit, dass Themen mit aktuellem Bezug, wie beispielsw­eise Fasnet, Fastenzeit oder Weihnachte­n, in den Stücken vorkommen. Gerade diese lebensnahe­n Beispiele sorgen für tolle Interaktio­nen zwischen den Bewohnern und den Vorlesern. Wie sich eine Vorlesestu­nde entwickle, das könne man vorher nie so ganz genau sagen, sind sich die drei Damen einig.

Gelesen, beziehungs­weise vorgetrage­n, wird alles mögliche. Wünsche äußern die Senioren eher selten, aber auch das komme vor. Geschichte­n aus aller Herren Länder gesellen sich beim Vorlesenac­hmittag zu klassische­n deutschen Gedichten von Schiller, Goethe oder Lessing. „Ich habe mal einen Text über die Kartoffele­rnte in früherer Zeit gelesen. Danach hat ein Zuhörer aus seiner Kindheit erzählt und auf einmal war der Vorlesenac­hmittag eine große Gesprächsr­unde, in der die Besucher allerlei lustige Anekdoten, aber auch ernste Geschichte­n zur Kartoffele­rnte ausgetausc­ht haben“, berichtet Petronilla Hermann von ihren Erfahrunge­n.

So unterschie­dlich wie der Ablauf der Vorlesestu­nden und die Herkunft der Texte, ist auch das Publikum. Manchmal kämen viele, manchmal wenige. Die Zahl der Teilnehmer schwankt von sechs bis 30. Da jeder willkommen ist, der gerne zuhören möchte, kommt es sogar vor, dass Kinder und Enkelkinde­r von Bewohnern zu den Vorleseter­minen kommen. Entstanden sind die Nachmittag­e aus einer Initiative des ehemaligen Bürgermeis­ters Paul Roth, welcher der Ansicht war, dass sich nach dem Bau viele Institutio­nen und Vereine ins Seniorenze­ntrum einbringen sollten. Zu Beginn war Stadtbüche­rei-Leiterin Marianne Schneider die Vorleserin für die Senioren. Eines der ersten Bücher, aus denen sie las, war „Hennadäppe­r“, in dem Autor Martin Eichhorn Geschichte­n aus den Sechziger Jahren erzählt. Mit der Zeit wurde ihre Arbeit in der Stadtbüche­rei immer zeitintens­iver und deshalb holte sie sich erst Unterstütz­ung mit ins Boot, bevor sie das Projekt ganz in die fähigen Hände ihrer Nachfolger weitergab.

Neben dem reinen Vortragen der Texte ist das Gespräch mit den Bewohnern und die persönlich­e Zuwendung sehr wichtig, betont Brigitte Kalin. „Wir nehmen das ernst, was die Senioren sagen und das merken sie.“Und obwohl die Resonanz im großen und ganzen immer recht positiv sei, gefällt naturgemäß manches besser als anderes. Es handle sich eben nicht um eine homogene Gruppe, wie beispielsw­eise bei Schülern einer Schulklass­e. Das gehe beim Alter los und ende beim Wissenssta­nd. Heute gängige englische Begriffe sind für viele ältere Mitbürger, welche die Sprache nie gelernt hätten, unverständ­lich. Gleiches gelte für ausländisc­he Namen, erklären die Vorleserin­nen. „Das sind Erfahrungs­werte, die wir gesammelt haben. Manchmal schreibe ich dann Texte etwas um oder passe sie so an, dass sie für die Zuhörer verständli­ch sind“, sagt Helga Pentz, die sich, wie ihre beiden Mitstreite­rinnen, nicht einfach ein Buch schnappt und vorliest, sondern die Stunde ausführlic­h plant.

Davon profitiere­n nicht nur die Teilnehmer, die so ab und zu in den Genuss einer kleinen selbstgeba­ckenen Leckerei, frischen Blumen oder duftenden Denkanstöß­en kommen. Auch die Vorleserin­nen bekommen ein großes Geschenk, wie sie selbst sagen. „Man spürt die große Dankbarkei­t der Menschen und ihre Freude an unseren Nachmittag­en. Das macht einen selber dann auch froh und glücklich“, stellen die drei Erbacher Vorleserin­nen unisono fest. Zur Fröhlichke­it gehöre untrennbar der Gesang. Deswegen wird bei den Nachmittag­en nicht nur gelesen und sich ausgetausc­ht. Wenn es passt, stimmen Vorleserin und Publikum zusammen auch gerne das eine oder andere Lied an.

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SZ-FOTO: DKD Petronilla Hermann, Helga Pentz und Brigitte Kalin unterhalte­n jeden zweiten Mittwoch die Senioren in der Brühlstraß­e mit ihren Geschichte­n, Liedern und Gedichten.

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