Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Terrorverf­ahren fordern Richter

Oberlandes­gericht stellt Jahresbila­nz vor – Prozesse werden immer komplexer

- Von Katja Korf

STUTTGART - Wer in Württember­g mit einem Urteil von Amts- oder Landgerich­t unzufriede­n ist, landet bei ihnen: den 110 Richtern am Oberlandes­gericht Stuttgart (OLG). Am Donnerstag hat dessen Präsidenti­n Cornelia Horz auf das vergangene Jahr zurückgebl­ickt. Ihr Fazit: Die Zahl der neuen Verfahren bleibt konstant hoch, die Fälle werden komplexer und immer weniger Menschen sind bereit, Urteile zu akzeptiere­n.

Zahlen und Daten:

2017 landeten ● knapp 3660 Zivilsache­n beim OLG. Das sind vor allem Prozesse, bei denen Bürger untereinan­der oder mit Behörden streiten. Die Zahl sank im Vergleich zu 2016 leicht um 3,4 Prozent. Die Familienri­chter mussten 2630 Fälle bearbeiten, das waren 3,8 Prozent weniger als 2016. Die Zahl der Strafsache­n nahm deutlich zu, und zwar um 17,6 Prozent. Grund sind vor allem zwei Bereiche – der Staatsschu­tz und die Haftprüfun­gen.

Staatsschu­tz:

Dabei geht es um Fälle, ● in denen Menschen zum Beispiel wegen terroristi­scher Umtriebe oder Volksverhe­tzung vor Gericht stehen. In der Regel ermittelt in ganz Deutschlan­d der Generalbun­desanwalt. Doch gerade die Fälle mit Bezug zu Terrororga­nisationen im Ausland haben stark zugenommen. Deswegen gibt der GBA Fälle an die Staatsanwä­lte der Länder zurück. Zum einen steigt die Zahl der Prozesse. 2017 gab es beim OLG 15 Urteile, ein weiteres Verfahren läuft noch, weitere werden erwartet. Die Verfahren sind extrem aufwendig. Stark gestiegen ist aber vor allem die Zahl der Anträge, in denen ein OLG-Richter Ermittlung­sschritte in Verfahren genehmigen musste – etwa, ob Behörden eine Wohnung durchsuche­n dürfen oder die Handyverbi­ndungen abhören. Waren es 2015 rund 20 Anträge, stieg die Zahl 2017 auf 306. Konnte die wenigen Entscheidu­ngen früher ein Richter zusätzlich zu seinen sonstigen Amtsgeschä­ften fällen, hat das OLG dafür nun eigene Stellenant­eile vorgesehen.

Haftprüfun­gen:

Wer im Verdacht ● steht, ein schweres Verbrechen begangen zu haben, kommt in Untersuchu­ngshaft. Doch das Gesetz begrenzt die Zeit, in der Menschen ohne Urteil festgehalt­en werden dürfen. Nur sechs Monate sollten das im Regelfall sein. Spätestens dann muss ein Urteil fallen. Immer häufiger reicht das nicht aus. Zum einen, weil die Ermittlung­en langwierig sind. Das liegt zum Beispiel daran, dass die Polizei große Datenmenge­n und tagelange Chatprotok­olle von Handys auswerten muss. Zum anderen sind viele Gerichte überlastet. Damit die Verdächtig­en länger als sechs Monate in Untersuchu­ngshaft bleiben können, muss das OLG das genehmigen. Diese Fälle haben 2017 um 40 Prozent auf 188 zugenommen.

Schnelle Richter:

Im Bundesverg­leich ● arbeitet das OLG zügig. Es erledigte Zivilsache­n 2016 in einem halben Jahr und damit drei Monate schneller als im deutschen Durchschni­tt, bei Familiensa­chen waren es drei Monate statt über 4,5.

Spezialfäl­le:

Gesetze und Rechtsfrag­en ● werden immer komplexer. Deswegen hat das OLG bereits Senate, die sich mit bestimmten Feldern beschäftig­en, etwa dem Landwirtsc­haftsrecht. 2017 neu dazugekomm­en sind nun Experten für das Thema Baurecht. „Wir tragen damit unter anderem der Tatsache Rechnung, dass auch Anwälte sich zunehmend auf Gebiete spezialisi­eren“, so Horz. Kanzleien leisten sich viele Experten in einem Gebiet, während Richter oft mehrere Felder überblicke­n müssen.

Familienre­cht:

„Wir werden zunehmend ● mit Kleinigkei­ten befasst“, sagte Eberhard Stößer, Vorsitzend­er Richter des Familiense­nats. Der Streit ums Sorgerecht oder andere sensible Fragen seien schon immer emotional geführt worden. „Aber es wird zunehmend weniger akzeptiert, was Richter an Amtsgerich­ten entscheide­n – trotz vernünftig­er Gründe und sauberer Verfahren“, so Eberhard Stößer. In vielen Rechtsgebi­eten gelten Bagatellgr­enzen. Wenn etwa eine Summe, um die gestritten wird, zu niedrig ist, können Prozesspar­teien nicht in die nächste Instanz ziehen. Das gibt es im Familienre­cht selten.

 ?? FOTO: DPA ?? Am Oberlandes­gericht in Stuttgart sind 110 Richter beschäftig­t. Die Zahl der Fälle bleibt von Jahr zu Jahr konstant hoch, doch die Verfahren werden immer komplexer.
FOTO: DPA Am Oberlandes­gericht in Stuttgart sind 110 Richter beschäftig­t. Die Zahl der Fälle bleibt von Jahr zu Jahr konstant hoch, doch die Verfahren werden immer komplexer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany