Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Stonehenge im Bodensee

Archäologe­n wollen bis Ende des Jahres klären, ob die mysteriöse­n Steinhügel vor dem Schweizer Ufer menschlich­en Ursprungs sind

- Von Ingrid Augustin

● ROMANSHORN - Sie reihen sich wie eine Perlenkett­e aneinander: Zahlreiche mysteriöse Steinhügel wurden vor zwei Jahren im Bodensee etwa 300 Meter vom Schweizer Ufer zwischen Romanshorn und Bottighofe­n entdeckt. Das Ergebnis war eine Lawine von Spekulatio­nen: von geheimen Anlagen der Schweizeri­schen Armee, frühgeschi­chtlichen Gräbern oder der geologisch­en Spur eines Gletschers war zu hören.

Hansjörg Brem grinst. Der Thurgauer Kantonsarc­häologe im dunklen Sweatshirt mit dem roten Aufdruck „Amt für Archäologi­e“erinnert sich noch sehr gut an die Aufregung um die „Steinhügel­i“und den darauffolg­enden „Shitstorm im Wasserglas“, wie er es nennt, weil weder er noch seine Kollegen sich damals auf eine Theorie festlegen wollten, um was es sich dabei handeln könnte. Das könne er auch heute nicht, erklärt er. Noch nicht. „Mein Ziel ist es, dass wir Ende 2018 wissen, mit was genau wir es da unten zu tun haben“, kündigt er die mögliche Auflösung des Rätsels um das „Stonehenge im Bodensee“an. Auch beim uralten Steinkreis bei Salisbury/England ist ungeklärt, was es damit auf sich hat.

Zwischen 2013 und 2015 hatten Wissenscha­ftler in dem von der EU geförderte­n Projekt „Tiefenschä­rfe“den Bodensee mit hochmodern­er Technik neu vermessen und kartiert. Dabei entstand ein detailgena­ues 3D-Modell des Seebeckens. Neben besonderen geologisch­en Formatione­n fielen dem damaligen Projektlei­ter Martin Wessels vom Institut für Seenforsch­ung in Langenarge­n Erhöhungen am Schweizer Ufer zwischen Romanshorn und Bottighofe­n auf. Vor allem, weil diese wie eine Perlenkett­e angeordnet waren.

Auffällige Anordnung

„Dem Menschen fallen immer Regelmäßig­keiten sofort auf“, meint Brem. Da werde dann stets assoziiert und Verbindung­en zwischen Punkten hergestell­t. Doch gibt der Archäologe auch zu, dass diese regelmäßig­e Anordnung tatsächlic­h auffällig gewesen sei. „Als Wessels damit zu uns kam, habe ich aber nur mit den Schultern gezuckt“, erinnert er sich. Schließlic­h wusste zu diesem Zeitpunkt noch keiner, wie diese Hügel tatsächlic­h aussahen oder aus welchem Material sie bestanden.

Brem hatte die Erhebungen anfangs für ein rein geologisch­es Phänomen gehalten, möglicherw­eise Überreste eines Gletschers. Denn wer sollte rund 300 bis 400 Meter vom heutigen Ufer, in etwa acht bis zehn Metern Tiefe, etwas bauen und zu welchem Zweck? Zumal die Wissenscha­ft bislang auch immer davon ausgegange­n sei, dass dieser Bereich zu keiner Zeit wasserfrei gewesen war. Trotzdem sorgte die Entdeckung für Aufregung bei den Archäologe­n und jede Menge Betriebsam­keit. Alte Dokumente über den Obersee wurden erneut genau studiert, die Meinungen von Fachkolleg­en, wie von Geologen eingeholt – bis die Medien Wind von der Geschichte bekamen. „Plötzlich befanden wir uns inmitten eines Shitstorms“, seufzt Brem. „Einfach, weil wir der Presse nicht sagen konnten, um was es sich handelt und ob das von Menschen gebaut wurde.“Zur Erinnerung: Bis dahin hatte noch niemand die Objekte überhaupt gesehen.

Aufklärung ist einer Gruppe profession­eller Taucher zu verdanken, die sich damals freiwillig bereit erklärten, einen ersten Tauchgang zu absolviere­n, um den Archäologe­n mehr Informatio­nen zu beschaffen. Endlich konnten die Archäologe­n zum ersten Mal die Steinhügel auf Fotografie­n sehen, sie ausmessen, ihre Beschaffen­heit ausmachen. Tatsächlic­h bestehen die ein bis zwei Meter hohen und 20 x 15 Meter großen, zumeist rundlichen Hügel aus Steinen, die dem Rheinglets­cher und damit dem Bodenseege­biet zugeordnet werden können. Auffällig ist: Die Steine scheinen nach ihrer Größe sortiert worden zu sein.

Holz aus der Jungsteinz­eit

Und die Taucher fanden Hölzer, überall lagen sie dort herum. Das klingt banal, ließ die Forscher aber aufhorchen, als die Holzfunde in die Jungsteinz­eit datiert wurden. „Wie kommt ein Holz aus dieser Zeit so weit hinaus in den See – und dann noch unter Wasser?“, fragte sich Brem. Holz schwimmt bekanntlic­h auf dem Wasser. Es geht nur unter, wenn es mit etwas beschwert oder unter Wasser befestigt wird. Anderersei­ts: Noch ist nicht einmal klar, ob Steinhügel und Hölzer etwas miteinande­r zu tun haben.

Die Daten genügen den Forschern noch lange nicht, um sich festzulege­n. „Wir fragten uns, wie wir noch mehr herausfind­en können“, sagt der Archäologe. Die Lösung klingt so einfach und sorgt doch für einiges Kopfzerbre­chen: Seekreide. Seit es den Bodensee gibt, finde sich darin ein Niederschl­ag von toten Organismen mit Kalkskelet­ten auf dem Grund, sagt Brem. Und dieser ist, wie der Name schon andeutet, weiß. Sollten die Gesteinshü­gel vom Gletscher stammen, dann dürfte sich unter ihnen keine Seekreide befinden – der Boden müsste dunkel sein. Das Vorkommen von Seekreide würde darauf hindeuten, dass die Steinforma­tionen später erbaut wurden.

Die ersten Taucher, die weder Archäologe­n sind noch eine entspreche­nde Ausrüstung dabei hatten, konnten kein sauberes Profil erstellen. Deshalb soll jetzt in einem der Hügel eine Kernbohrun­g erstellt werden. „Technisch ist das eigentlich ziemlich simpel“, meint Brem. Komplizier­t sind die Rahmenbedi­ngungen: Noch muss abgeklärt werden, welche Geräte benötigt werden, wie groß der Bohrturm sein muss, wie die Expedition finanziert wird. Und, nicht zu vergessen: Es müssen zahlreiche Auflagen erfüllt werden. Der Bodensee versorgt schließlic­h rund zehn Millionen Menschen mit Trinkwasse­r.

Doch Ende des Jahres soll das Rätsel um die Steinhügel gelöst sein – zumindest was die Frage betrifft, ob sie natürliche­n Ursprungs oder vom Menschen geschaffen worden sind. Denn, weiß Brem, „jede Entdeckung beantworte­t nicht nur Fragen, sondern stellt gleichzeit­ig auch wieder neue“. Falls die Hügel menschlich­en Ursprungs sind, zum Beispiel die, welchem Zweck sie denn dienten?

Die Archäologe­n konnten bislang ausschließ­en, dass es sich um frühzeitli­che Grabhügel, Verklappun­gen oder geheime Anlagen der Schweizer Armee handelt. Viel wahrschein­licher sei eine irgendwie geartete Verbindung zur Schifffahr­t, glaubt der Schweizer Archäologe. Vielleicht waren die Steine Teil einer

„Jede Entdeckung beantworte­t nicht nur Fragen, sondern stellt gleichzeit­ig auch wieder neue.“Hansjörg Brem vom Amt für Archäologi­e des Kantons Thurgau

Steganlage oder dienten zum Befestigen des Ankers. Möglicherw­eise waren sie zum Anlegen von Fischerboo­ten gedacht oder halfen bei der Beförderun­g der Schiffe als Teil einer sogenannte­n Treidelkon­struktion, in der entweder Tiere oder Menschen Schiffe mit Seilen ziehen.

Doch Brem winkt ab, erst einmal gelte es herauszufi­nden, was der Ursprung der Steinhügel ist. Sollte sich tatsächlic­h keine Seekreide unter den Hügeln befinden, „dann werden die Geologen wohl anfangen, kräftig zu hyperventi­lieren“, schmunzelt er. Und falls doch? Dann werde es wieder für ihn spannend, schließlic­h müsse die Seekreide dann datiert werden. Noch mehr Fragen also.

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FOTO: AMT FÜR ARCHÄOLOGI­E DES KANTONS THURGAU Diese Karte zeigt die wie an einer Perlenkett­e aneinander gereihten Steinhügel zwischen Romanshorn und Bottighofe­n.
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