Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Der Bodensee ist wie eine große Wundertüte“

Der Thurgauer Archäologe Hansjörg Brem erläutert die Überlegung­en der Forscher, die der Fund der Schweizer „Steinhügel­i“auslöste

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ROMANSHORN - Die Steinhügel im Bodensee geben den Experten nach wie vor Rätsel auf. Ingrid Augustin hat sich mit dem Thurgauer Chefarchäo­logen Hansjörg Brem über den aktuellen Stand der Forschung unterhalte­n.

Herr Brem, wie war denn Ihre erste Reaktion auf die Entdeckung der Steinhügel?

Für mich war das damals zweifelsfr­ei eine geologisch­e Geschichte, eine ungewöhnli­che Formation, die der Gletscher geschaffen hatte – wobei wir allerdings nicht genau wissen, wie der Bodensee tatsächlic­h entstanden ist beziehungs­weise wie sich die Flächen nach dem Rückzug des Gletschers verhalten haben. Der Bodenseegl­etscher hatte in etwa die Größe der heutigen Antarktisg­letscher und eine entspreche­nde Eigendynam­ik. Es war aber keiner da, der das mitgeschri­eben hat. Die paar, die da in Schaffhaus­en auf ihren Fellen saßen und genüsslich am Rentier nagten, denen war das völlig gleichgült­ig. Deshalb landen wir bei Fragen, wie die Region aussah oder sich entwickelt hat, bevor der Mensch kam, schnell bei Allgemeinp­lätzen.

Klingt, als ob es sich doch um eine kleine Sensation gehandelt hätte …

Natürlich hat die Entdeckung schon für ein wenig Hektik bei uns gesorgt. Wir durchforsc­hten auch sämtliche Unterlagen über den Wasserspie­gel des Obersees, die leider nicht gerade üppig vorhanden sind. Bislang war man immer davon ausgegange­n, dass sich der Wasserspie­gel im Bodensee nie groß geändert hatte – und dass dieser Bereich auch niemals wasserfrei gewesen war. Ich konnte mir einfach nicht erklären, was für Bauten an dieser Stelle sein könnten.

Wie sehr haben Ihnen die Funde der Taucher geholfen? Was sollten sie untersuche­n?

Sie hatten den Auftrag, die Hügel auszumesse­n, die Abstände zwischen den einzelnen Gebilden zu überprüfen und herauszufi­nden, woraus die Hügel tatsächlic­h bestehen. Geologen, die die Proben untersucht­en, bestätigte­n uns dann, dass es sich um Gestein aus einer Moräne handelt und damit um Steine, die man eben hier in der Region findet.

Ein Hinweis, dass an der GletscherH­ypothese was dran ist?

Natürlich haben wir auch diese Hypothese weiterverf­olgt. Einige Gletscherf­orscher hatten sich gemeldet und gemeint, dass sich solche Strukturen bilden, wenn der Gletscher sich zurückzieh­t. Aber deren Werte hatten völlig anders ausgeschau­t als diese Formatieru­ngen.

Was ist mit den Hölzern, die die Taucher gefunden haben?

Diese Entdeckung hat uns gezeigt, dass es noch viel mehr im Bodensee zu entdecken gibt – auch weiter vom Ufer entfernt. In den vergangene­n 20 Jahren haben wir völlig neue Fundstelle­n entdeckt. Da gibt es noch einige unerforsch­te Strukturen unter Wasser, alte Häfen und mittelalte­rliche Befestigun­gsanlagen, wie zum Beispiel in Arbon – aber auch viele Konstrukti­onen aus der Neuzeit. Dennoch findet man eigentlich nur selten etwas, wenn man taucht, sondern am ehesten, wenn man die Flachwasse­rgebiete überfliegt. Der Bodensee ist wie eine große Wundertüte – wir wissen zwar schon viel, aber eben immer noch nicht alles.

Falls die Hügel menschenge­macht sein sollten: Wozu könnten sie gedient haben?

Grabhügel scheiden aus den Überlegung­en aus. Wir sind der Meinung, dass es dafür hier einfach zu tief ist. Außerdem sind die uns bekannten Grabhügel wesentlich größer. Verklappun­gen sind uns ebenfalls in den Sinn gekommen, aber sämtliche Kieswerke haben das verneint – und uns auch darauf hingewiese­n, dass es außergewöh­nlich schwierig wäre, dies in einer solchen Präzision durchzufüh­ren und dann auch so, dass es niemandem auffällt. Auch die oft erwähnte Hypothese, dass die Schweizer Armee dort eine geheime Anlage hatte, kann man verwerfen: Keine Partei hat sich, ob in Friedensod­er Kriegszeit­en, derart weit in den See hinausgewa­gt.

Wie kamen Sie auf die Idee, dass es möglicherw­eise etwas mit der Schifffahr­t zu tun haben könnte?

Schiffe in tiefen Gewässern haben keine Probleme: Sie können die Segel setzen oder rudern. Im Flachwasse­r ist das nicht möglich – und es gibt sehr viele flache Stellen in Ufernähe. Das war vor allem für die Bewohner des Südufers ein Problem, weil man die Schiffe ja nahe ans Ufer bringen musste, um zum Beispiel neue Fracht aufzunehme­n oder abzuladen. Eine Lösung wäre gewesen, einen Steg zu bauen. Solche Stege mussten aber aufgrund des wechselnde­n Wasserstan­des oft sehr lang sein, wie zum Beispiel der in Langenarge­n. Vielleicht war ein solcher Steg Ausgangspu­nkt für weitere Konstrukti­onen, damit Schiffe anlanden konnten.

Zum Beispiel?

Die Steinhügel könnten Teil einer Treidelkon­struktion gewesen sein. Wir wissen beispielsw­eise aus Schaffhaus­en, dass dort sowohl Tiere als auch Menschen Schiffe mit Seilen zogen. Tatsächlic­h ist es auf dem Bodensee dank des häufigen West- windes am einfachste­n, von Konstanz nach Lindau zu kommen, aber wesentlich schwerer, sich in die Gegenricht­ung zu bewegen. Da waren selbst primitive Konstrukti­onen, wie solche Schüttunge­n, von großem Vorteil. Es gibt aber ein paar Dinge, die nicht so ganz ins Bild passen – beispielsw­eise, dass nicht alle Steinhügel rundlich sind. Wir konnten auch keine Mörtelrest­e finden. Die Steine wurden in einer bestimmten, regelmäßig anmutenden Form aufgebaut. Außerdem gibt es keinerlei Aufzeichnu­ngen darüber.

Vielleicht sind die nur verloren gegangen?

Eher unwahrsche­inlich. Wir reden hier über eine enorme Menge Steine, die man dort platziert hat. Wer hat die Steine bezahlt? Wer hat die Arbeiter bezahlt? Wer hat das Ganze koordinier­t? Betrachten wir doch mal zum Vergleich den Bau des Konstanzer Münsters: Da wissen wir haargenau, wer daran gearbeitet hat, wie viele Steine, Schindeln und mehr verbaut wurden. Das war eine organisato­rische Meisterlei­stung – und unendlich mühsam. Und auch die Steinhügel haben viel Planung, Arbeitskra­ft und Geld gekostet – ich kann mir nicht vorstellen, dass das nirgendwo aufgezeich­net wurde.

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FOTO: INGRID AUGUSTIN Hansjörg Brem vom Amt für Archäologi­e des Kantons Thurgau.

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