Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Da jetzt aus allen Wolken zu fallen, ist ein sehr deutsches Phänomen“

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BERLIN - Die Bundesregi­erung tut zu wenig für den Datenschut­z – und hört nur „auf den Krempel vom Bundesamt für Informatio­nssicherhe­it“. Das sagte der IT-Sicherheit­sexperte Sandro Gaycken, Leiter des Digital Society Instituts an der European School of Management and Technology in Berlin, im Gespräch mit Benjamin Moscovici.

Herr Gaycken, überrascht Sie der Angriff auf das als besonders sicher geltende Regierungs­netz?

Überhaupt nicht. Strategisc­he Spionage in Ministerie­n findet die ganze Zeit statt. Und die Bundesregi­erung tut wenig, um sich vor derartigen Angriffen zu schützen.

Welches Ausmaß hat der Angriff ?

Nach allem was wir wissen, ist das Ausmaß begrenzt gewesen. Es handelt sich wohl nicht um Massenspio­nage, sondern um sehr gezielte Angriffe auf einzelne Abteilunge­n. Die Hacker sind mit chirurgisc­her Präzision vorgegange­n und waren technisch hochversie­rt. Anscheinen­d waren sie auf der Suche nach Material zu Russland.

Konnten die Angreifer denn sensible Daten erbeuten?

Die Frage ist, wie sensibel die gestohlene­n Daten sind. Streng geheime Daten sind nicht an Systeme angeschlos­sen, die über das Internet erreichbar sind. Um an diese Daten zu kommen, müsste man zusätzlich­en Aufwand betreiben. Da müsste man Leute einschleus­en, die Schadsoftw­are vor Ort auf die Hochsicher­heitssyste­me aufspielen. Aber auch in den weniger gut geschützte­n Bereichen finden sich wichtige Informatio­nen. Wenn man sich gut genug auskennt, kann man auch aus Terminkale­ndern strategisc­he Informatio­nen ziehen.

Wer steckt hinter den Angriffen?

Die Russen stehen im Zentrum des Verdachts, aber es könnten genauso gut die Ukrainer oder die Amerikaner gewesen sein, die sich dafür interessie­ren, welche Linie Deutschlan­d gegenüber Moskau verfolgt. Alles, was man derzeit an Zuschreibu­ngen lesen kann, sind hanebüchen­e Spekulatio­nen.

Wie häufig kommt es zu HackerAngr­iffen auf Regierungs­rechner?

Das ist absolut gang und gäbe. Alle Nachrichte­ndienste führen Angriffe auf ausländisc­he Behörden durch. Da jetzt aus allen Wolken zu fallen, ist ein sehr deutsches Phänomen. Andere Staaten sind von dieser naiven Reaktion schon genervt. Ich weiß zwar nicht, ob und in welchem Umfang deutsche Nachrichte­ndienste derartige Aktionen durchführe­n, aber ich hoffe es.

Müssen Behörden mit solchen Angriffen einfach leben?

Man muss sich damit nicht einfach abfinden. Man kann seine IT-Sicherheit­ssysteme auch so bauen, dass so etwas nicht passiert. Aber davon sind die Deutschen noch Lichtjahre entfernt. Bislang ist der deutsche Umgang mit IT-Sicherheit leider ähnlich wie der von anderen Leuten mit Facebook. Man kümmert sich wenig um Datenschut­z, weil man keine Folgen sieht.

Welches Risiko geht von HackerAngr­iffen auf Behörden aus?

In Zeiten des Friedens geht es vor allem um wirtschaft­liche Fragen. Der Außenhande­l ist für die allermeist­en Staaten und ausländisc­hen Dienste viel interessan­ter als die Standorte von Kampfjets.

Was müsste die Bundesregi­erung tun, um Daten besser zu schützen?

Man müsste die einzelnen Systeme viel stärker voneinande­r trennen. In einigen Ländern werden streng geheime Informatio­nen auch nur noch mit Stift auf Papier festgehalt­en. Aber einem Land wie Deutschlan­d würde Hochtechno­logie eigentlich besser zu Gesicht stehen. Stattdesse­n hört die Bundesregi­erung immer nur auf den Krempel vom Bundesamt für Informatio­nssicherhe­it. Dabei helfen deren Ratschläge offensicht­lich nicht.

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FOTO: ESMT BERLIN Sandro Gaycken

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