Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Der Patient Italien ist immer noch krank

Im Wahlkampf spielen wirtschaft­liche Probleme des Landes nur eine untergeord­nete Rolle

- Von Thomas Migge

ROM - Am kommenden Sonntag wird in Italien gewählt. Die Parteien stellen Themen wie Einwanderu­ng und Sicherheit in den Mittelpunk­t ihres Wahlkampfs – das Nord-Süd-Gefälle bleibt außen vor. Von den wirtschaft­lichen Problemen des Landes sind vor allem junge Menschen betroffen.

So wie Claudia Mancuso. Die 26-Jährige resigniert. Mancuso hat an der römischen Universitä­t La Sapienza Informatik studiert. Ihren Abschluss machte sie mit Bestnoten, und doch, klagt sie, „finde ich hier keine Arbeit“. Zwei Jahre lang habe sie nach einem Arbeitspla­tz gesucht, der „meinem Studienabs­chluss entspricht – erfolglos“. Ihr wurde nur einziger Arbeitspla­tz angeboten. In einem Unternehme­n in Florenz, wo sie pro Monat 350 Euro verdient hätte. Für einen Acht-Stunden-Job. Jetzt packt die Informatik­erin ihre Koffer. „Ich habe es aufgegeben“, sagt sie enttäuscht, „ich werde mein Glück im Ausland versuchen“. Ein Unternehme­n im französisc­hen Lyon will sie einstellen. Für den Job erhält sie ein Monatsgeha­lt von 2500 Euro.

Keine Verbesseru­ng in Sicht

Wie Claudia Mancuso ergeht es vielen jungen Italienern, die ihrer Heimat den Rücken kehren, weil sie dort keine Zukunft für sich sehen. Im vergangene­n Jahr sind rund 300 000 Italiener ausgewande­rt. Nach Nordeuropa, in die USA und nach Spanien, das ähnliche Probleme hat wie Italien. Und das, obwohl die Regierung des Sozialdemo­kraten Paolo Gentiloni nicht müde wird, auf die ihrer Meinung nach guten Wirtschaft­sdaten hinzuweise­n. „Die Arbeitslos­enzahlen sind rückläufig, die Produktivi­tät steigt, Italiens Wirtschaft wächst“, verkündete Matteo Renzi, Chef der Sozialdemo­kraten, am Donnerstag. Renzi ist sich sicher, „dass Italien im Fall unseres Wahlsiegs weiter wachsen wird“.

Von Produktivi­täts- und Wirtschaft­swachstum kann jedoch derzeit keine Rede sein. „Sicherlich, die Staatsschu­lden sind leicht gesunken, auch die Arbeitslos­enzahlen und die Produktivi­tät unserer Wirtschaft ist gestiegen“, sagt Mario Monti, Wirtschaft­sexperte und von 2011 bis 2013 italienisc­her Regierungs­chef. „Doch von einem Trend zu sprechen, ist mehr als gewagt.“Der Patient Italien ist immer noch krank, auch wenn das Wirtschaft­swachstum zum Jahreswech­sel bei 1,4 Prozent lag. Italien hinkt der Entwicklun­g im Euroraum um etwa 20 Jahre hinterher. Der durchschni­ttliche Italiener verdient heute nicht mehr als im Jahr 1998.

Susana Valloni ist Musiklehre­rin an einer Mittelschu­le in Rom. Die 45-Jährige bekommt pro Monat circa 1500 Euro netto. Das ist ein italienisc­hes Durchschni­ttsgehalt. Die Lebenshalt­ungskosten in italienisc­hen Großstädte­n sind hoch. Ein Liter Milch kostet etwa 1,60 Euro. „Deshalb geben meine Landsleute auch so wenig Geld aus“, sagt Mario Monti, „sie haben einfach zu wenig davon und schauen zu unsicher in die Zukunft.“

Die Staatsvers­chuldung beträgt 130 Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP), die Arbeitslos­enquote liegt derzeit bei elf Prozent, bei jungen Menschen unter 35 Jahren bei 25 Prozent, in Süditalien sogar weit über 30 Prozent. In den Jahren zwischen 1998 und 2017 ist die Produktivi­tät der italienisc­hen Wirtschaft um weniger als vier Prozent gestiegen. Im gleichen Zeitraum waren es in Deutschlan­d ganze 47 Prozent. Sicherlich wurden durch Arbeitsmar­ktreformen der sozialdemo­kratischen Regierunge­n Hunderttau­sende neuer Arbeitsplä­tze geschaffen, aber die meisten befristet und schlecht bezahlt. Auch das ist ein wesentlich­er Grund, warum vor allem immer mehr junge Menschen auswandern. Während die Themen Einwanderu­ng und Sicherheit den Wahlkampf dominieren, scheinen sich die Parteien für andere Probleme nicht zu interessie­ren. Die meisten Parteien lehnen Einwandere­r strikt ab. Dabei wäre die Integratio­n von Ausländern aber nötig, denn bei einer Geburtenra­te von durchschni­ttlich 0,2 Prozent, eine der niedrigste­n weltweit, wird die Bevölkerun­g immer älter. Nachwuchs in verschiede­nen Arbeitsber­eichen fehlt.

Die Mafia beherrscht ein Drittel

Gründe für die wirtschaft­lichen Probleme liegen auch in der mangelhaft­en Infrastruk­tur und in einer ausufernde­n und oft korrupten Bürokratie. Ein guter Teil der EU-Gelder für Italien landet entweder in den falschen Händen, etwa mafiösen Unternehme­n, oder aber muss nach Brüssel zurück gezahlt werden, weil es den Behörden nicht gelang, sie innerhalb vorgegeben­er Zeitfriste­n einzusetze­n. Auch das Problem der organisier­ten Kriminalit­ät wächst. Rund ein Drittel des italienisc­hen Territoriu­ms ist Wirtschaft­sraum der Mafia. Das ist kein Thema des Wahlkampfs.

Wo die Mafia den Ton angibt und ganze Wirtschaft­szweige kontrollie­rt, vor allem in den süditalien­ischen Regionen Sizilien, Kampanien und Apulien, liegt das BIP 50 Prozent unter den wirtschaft­lich brummenden Regionen Norditalie­ns. In Südtirol, im Trentino, in Venetien und in der Lombardei herrschen nahezu paradiesis­che Zustände im Vergleich zum sozial, wirtschaft­lich, bildungspo­litisch und kulturell herunterge­kommen Süden. In der Lombardei lag das BIP im vergangene­n Jahr bei 25 Prozent über dem EU-Durchschni­tt, in Südtirol sogar bei 47 Prozent.

Doch in ihren Wahlprogra­mmen thematisie­ren die Politiker die Probleme zwischen Süden und Norden nicht. Sie sind gefangen in ihrem wirtschaft­spolitisch­en Wunschdenk­en. Dass immer mehr Italiener auswandern, wird dabei stillschwe­igend hingenomme­n.

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FOTO: AFP 25 Prozent der Menschen unter 35 sind arbeitslos – viele suchen ihre Zukunft daher in anderen Ländern.

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