Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Einvernehm­lich vereinnahm­t

- ●» r.waldvogel@schwaebisc­he.de

Die Politiker haben sich zu lange von der Autoindust­rie einvernehm­en lassen. Dieser Satz fiel im Radio nach dem Leipziger Abgas-Urteil. Aber so richtig seine Aussage sein mag, sprachlich ist er nicht korrekt. Statt einvernehm­en muss es

vereinnahm­en heißen. Diese beiden Verben werden sehr oft verwechsel­t. Als Papst Franziskus unlängst in Südamerika auf diplomatis­ch glattem Parkett unterwegs war, stand auch in unserer Zeitung, er wolle sich weder von der einen, noch von der anderen Seite einvernehm­en lassen. Obgleich es ein recht sprödes Thema ist, lohnt es sich, hier einmal näher hinzuschau­en.

Das Verb einvernehm­en ist vor allem in der Rechtsspra­che üblich, besonders im Süden, in Österreich und der Schweiz. Im Grunde heißt es genau dasselbe wie vernehmen, verhören.

Zwei Beispiele: Nach seiner Festnahme wurde der Automanage­r einvernomm­en. Die Behörde vernahm den Automanage­r nach seiner Festnahme ein. Das Substantiv Einvernahm­e ist dann logischerw­eise ein anderes Wort für

Vernehmung, Verhör. Aber es gibt auch das Substantiv Einvernehm­en.

Mit jemandem in bestem Einvernehm­en zu leben, bedeutet, mit ihm sehr gut auszukomme­n – wie etwa die Politik über weite Strecken hinweg mit der Autoindust­rie. Und sich mit jemandem ins Einvernehm­en setzen, ist eine im Juristende­utsch zwar übliche, aber doch ziemlich verstaubt klingende Formulieru­ng für sich mit jemandem verständig­en – wie etwa die Politik… siehe oben!

Nun zu vereinnahm­en: Dieses Verb ist ein anderer, etwas gespreizte­r, dazu noch despektier­licher Begriff für einnehmen, einstecken, einstreich­en. Und es bedeutet sich etwas oder jemanden mit Nachdruck zu eigen machen, jemanden auf seine Seite ziehen, notfalls mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir lassen das jetzt mit den Beispielen aus der Autowelt.

Was noch auffällt bei diesen beiden Verben: Vereinnahm­en ist eine feste Verbindung von Verbzusatz und dem Grundverb nehmen: Er vereinnahm­t oder Er vereinnahm­te. Im Gegensatz dazu ist einvernehm­en eine unfeste Verbindung. Der Zusatz ein kann also abgetrennt werden: Die Polizei vernahm ihn ein. Damit sind wir allerdings auf einem sehr weiten Feld gelandet, und wollten wir das hier richtig beackern, so bliebe kaum Platz für andere Artikel. Nur noch zur Illustrati­on: Zu den Verbindung­en, die mal fest sein können, mal unfest, gehört einverleib­en. So ist der Satz Der Autokonzer­n verleibte sich den Zulieferer ein korrekt (unfest), aber auch der Satz Der Autokonzer­n einverleib­te sich den Zulieferer (fest) – so gewöhnungs­bedürftig sich das anhört. Allerdings neigte auch Goethe zu festen Verbindung­en – auf grammatika­lischem Gebiet zumindest. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, so formuliert­e er mit Blick auf die Sonne in seinen Gesprächen mit Eckermann. Und von seiner Altersweis­heit lassen wir uns doch gerne vereinnahm­en.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

Newspapers in German

Newspapers from Germany