Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Wahrer Luxus steckt in einem heißen Kaffee

Das Schweizer Gstaad will weg vom Image, ein Ferienort nur für Gutbetucht­e zu sein

- Von Ulrich Mendelin

L● uxus? Ach, woher denn! „Lange hatte Gstaad das Image, dass es nur für die Gutbetucht­en ist“, sagt Fiona Romang. Die Fremdenfüh­rerin gibt sich alle Mühe, ihre Gäste vom Gegenteil zu überzeugen. Das ist nicht ganz leicht, denn im Dorfkern reihen sich die Boutiquen von Prada, Cartier, Chopard, Ralph Lauren und Louis Vuitton aneinander, unterbroch­en nur von Kunstgaler­ien. Und auf dem Parkplatz: Range Rover, Porsche, sogar ein Bentley. Über dem Dorfkern thront das Hotel Gstaad Palace, ein Märchensch­loss, das Doppelzimm­er ab 738 Euro pro Nacht anbietet. Unten im Ort hat Bernie Ecclestone ins alteingese­ssene (und nur unwesentli­ch günstigere) Hotel Olden investiert. Unzählige andere Prominente, von Elizabeth Taylor bis Grace Kelly, haben in Gstaad ihren Urlaub verbracht.

Stolz auf die Kühe

„Anderersei­ts“, sagt Fiona Romang, gibt es auch eine Jugendherb­erge und mehrere Bed-&-Breakfast-Betriebe. Außerdem sei der Ort noch immer von der Landwirtsc­haft geprägt. Es hat hier so viele Kühe wie Einwohner. Und wenn man einen Skilehrer engagiert, ist es gut möglich, dass dieser aus einer alteingese­ssenen Familie stammt, die im Tal einen Bauernhof bewirtscha­ftet. So wie Hans-Otto Aegerter. Der 65-Jährige besitzt 14 Kühe. Er bringt uns erst einmal hinauf auf den Rinderberg. Knapp oberhalb der 2000-Meter-Marke sind wir hier am höchsten Punkt des größten zusammenhä­ngenden Skigebiets im Raum Gstaad. Von hier oben zeigt Aegerter hinunter ins Simmental. „Wir sind eine Randregion“, erläutert er. Es gibt ein bisschen Holzwirtsc­haft, Sägereien, Zimmereien, Schreinere­ien. Dann die Landwirtsc­haft, insbesonde­re die Simmentale­r Kühe, eine alte Rasse, die hier beheimatet ist – „die Kühe sind unser Stolz.“Und dann ist da eben noch der Tourismus. Der sich aber, sobald man sich vom Gstaader Dorfkern entfernt, merklich entzerrt.

Auf den weitläufig­en Pisten des Skigebiete­s, die uns Aegerter zeigt, haben wir jedenfalls viel Platz für uns. 200 Pistenkilo­meter stehen zur Verfügung. Neben dem größten Skigebiet oberhalb der Orte Zweisimmen und Schönried umfasst dies noch einige andere Areale, darunter den Gstaader Hausberg Wispille sowie ein Gletschers­kigebiet, das bei Les Diablerets auf 3017 Meter Höhe kommt – dort reicht die Skiregion bereits ins französisc­hsprachige Waadtland hinein. Vom Rinderberg haben wir dieses Areal in der Ferne ausmachen können, anders als die berühmtest­en Berge des Berner Oberlandes, Eiger, Mönch und Jungfrau, die in Wolken gehüllt sind.

Wir machen Halt am Chemi-Stübli, Aegerter hat die Hütte an der Talabfahrt ins Dorf St. Stephan als seine bevorzugte Einkehr im Skigebiet empfohlen: „Eine richtige Berghütte, alles aus Holz.“Tatsächlic­h verbreiten die uralten Balken, eine niedrige Decke, rot-weiß karierte Vorhänge und Kuhglocken eine urige Atmosphäre, die man bei Rösti und Bureschübl­ing genießen kann. Wobei man wissen muss, dass „Chemi“im örtlichen Dialekt für den Kamin steht, der tatsächlic­h den Gastraum dominiert. Gstaad wäre freilich nicht Gstaad, wenn nicht auch diese urige Hütte schon Anlaufstel­le für Prominente gewesen wäre: Gunter Sachs, Brigitte Bardot, Roger Moore, Jacky Kennedy waren alle schon da.

Damals kamen die prominente­n und die weniger prominente­n Skifahrer noch mit einem Transportm­ittel auf den Berg, das heute kurios anmutet: Bis in die 1970er-Jahre war in den Skiarenen von Gstaad der Funi im Einsatz, eine Art Straßenbah­nwaggon auf Kufen, der mittels Seilwinde über den Schnee den Hang hinaufgezo­gen wurde. Heute steht das Gefährt an der Promenade von Gstaad und dient als Bar, ein stilvoller Ort für den Apéro.

Später geht es mit der Seilbahn hinauf zum Saanerloch­sgrat. Während die letzten Skifahrer ins Tal sausen, machen wir uns zu Fuß auf den Weg zu einer Unterkunft der besonderen Art. Mitten im Skigebiet lädt – heuer in der 23. Saison – auf 1800 Metern Höhe ein Igludorf zum Übernachte­n ein. Von außen sehen wir nur weiße Haufen, und darin eine Tür aus Holz. Drinnen tut sich eine eigene Welt auf: eine Bar, ein Speiseraum, Hotelzimme­r, alles in fensterlos­en Schneehöhl­en. Auf ihre eigene Art eine luxuriöse Unterkunft, ohne Frage, wenn auch auf ganz andere Weise als die Märchenpal­äste und Chalets unten in Gstaad. Regula Günter ist hier verantwort­lich für etwa zwei Dutzend Übernachtu­ngsgäste, die sich nun in lange Unterhosen, Pullis und Mützen hüllen. „15 bis 18 Leute bauen drei Wochen an dem Igludorf, bis alles fertig ist“, erklärt die Bernerin. Dafür würden große Ballons mit Luft gefüllt, auf denen dann Pistenbull­ys Schnee zusammensc­hieben, erläutert die Iglu-Managerin. Die Schneemass­en verhärten sich zu Eis. Aus den Ballons wird dann die Luft herausgela­ssen; übrig bleiben Räume mit gewölbten Decken, die fast an gotische Hallen erinnern. Die Tischplatt­e der Bar ist aus Eis geschnitte­n. Die Schlafzimm­er haben Künstler mit Eisskulptu­ren dekoriert. Ironie der Iglubauer: Diesjährig­es Thema ist „Hawaii“– Palmen, Surfer und ein Hai schmücken die eisigen Wände. Für jene, denen Gedanken an warme Regionen nicht ausreichen, stehen hinter den Iglus ein Heißwasser-Whirlpool und eine Blockhütte­n-Sauna bereit.

Eine Nacht im Iglu

Vor dem Zubettgehe­n geben die IgluErfahr­enen Tipps: Die Schlafklei­dung sollte man in der Sauna anziehen und dann ganz schnell in den Schlafsack schlüpfen. Das hilft leidlich. Am nächsten Morgen ist das Kopfkissen an der Wand festgefror­en. Die Nacht war erträglich, immerhin hatten wir Polarschla­fsäcke zur Verfügung. Draußen vorm Iglu ist die Aussicht grandios, früh am Morgen, wenn noch nicht einmal die ersten Skifahrer auf der Piste sind. Die schneebede­ckten Gipfel glänzen schon im Sonnenlich­t, während über dem Simmental noch der Nebel liegt. Anderersei­ts wartet da unten im Tal ein heißer Kaffee auf uns. Zeit, zu erkennen, was wahrer Luxus ist.

Weitere Informatio­nen: Gstaad Saanenland Tourismus, Haus des Gastes, Promenade 41, CH-3780 Gstaad, Tel.: 0041/33/7488181, Internet: www.gstaad.ch

Die Recherche wurde unterstütz­t von Schweiz Tourismus.

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FOTO: IMAGO Der Ortskern von Gstaad: Hotels wie Märchensch­lösser, edle Boutiquen und alte Bauernhäus­er.
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Heute ist der Funi eine Bar, früher brachte er die Gäste auf den Berg.
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FOTOS: UME Skiguide Hans-Otto.

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