Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Zeit für den nächsten Step

Der Überlinger Richard Ringer will bei der Hallen-WM überzeugen – und träumt vom EM-Titel in Berlin

- Von Jürgen Schattmann

MEERSBURG – Man kann viel über sein Bett hängen. Liebesschw­üre. Urkunden. Bilder von Ballonfahr­ten. Poster von James Dean. Bei Richard Ringer sind es kleine Zielfotos vom 5000-Meter-Rennen der EM 2016, sie erinnern den gebürtigen Überlinger an ein hübsches Drama in seinem Leben. An einen großartige­n, surreal spannenden Lauf, an dessen Ende ihn sechs lächerlich­e Tausendste­l vom Sieg trennten. Wäre er Bobfahrer, er hätte Gold bekommen, bei den Schlittenf­ahrern misst man nur in Hundertste­ln. Ringer ist aber Leichtathl­et.

„Finanziell hätte Gold einen Riesenunte­rschied gemacht – Sponsoren hätten für Jahre mit dir gearbeitet, die Medien sich regelmäßig an dich erinnert“, sagt der seit Jahren erfolgreic­hste deutsche Langstreck­enläufer. Ringer aber gewann nun mal Bronze in Amsterdam, nur Bronze allerdings nicht. „Für mich ist das wie ein Sieg. Wenn ich über mein Bett schaue, da erkenne ich nicht, wer den Kopf, die Stirn oder die Brust vorne hat. Ich war so glücklich mit Bronze damals, es war mit Abstand mein größter Erfolg und ist es noch immer. Eine Hundertste­l langsamer, und ich wäre Vierter geworden.“

Fifa-Skandal schlägt Wellen

Und doch könnte er eines Tages Silber bekommen. Der spanische Europameis­ter Ilias Fifa wurde gerade wegen Medikament­enhandels inhaftiert, bei einer Razzia wurden mehrere leistungss­teigernde Mittel in seinem Haus gefunden. Sollte dem 28-Jährigen Doping nachgewies­en werden, würde ihm nachträgli­ch Gold entzogen, Ringer wäre Zweiter. Ein seltsames Gefühl für ihn. „Es ist kurios: Bisher waren vor mir rangierend­e Läufer noch nie positiv, nur manche hinter mir. Natürlich sagt man sich, wenn einer mit Medikament­en handelt, nimmt er vermutlich auch selber was. Und angeblich hat der ARD-Dopingfahn­der Hajo Seppelt so viele Namen bekannter und gedopter Athleten auf seiner Liste, die nie gesperrt wurden. Ich werde Doping nie begreifen. Ich weiß ja von mir selbst, dass gute Zeiten auch natürlich möglich sind“, sagt Ringer. Und: Er sei über Bronze nach wie vor glücklich. Trotz Fifa-Skandal.

Der 63 Kilo leichte, 1,82 Meter große Mann will weiter aufrecht durchs Leben laufen, er glaubt, dass die besten Jahre noch vor ihm liegen. 29 Jahre jung wurde Ringer, der in Meersburg mit seiner österreich­ischen Freundin Nada Pauer wohnt, die ebenfalls im Nationalka­der steht und für den VfB Friedrichs­hafen startet, diesen Dienstag. Kein Alter für einen Läufer, und trainingsm­ethodisch hat er noch Reserven. Von heute an wird der bisher halbtags tätige Controller von Rolls Royce Power Systems in Friedrichs­hafen noch mehr Zeit für den Sport haben, er fährt die Arbeit für ein halbes Jahr herunter, auch für die Vision, im August in Berlin im Zweifel mit dem Nasenflüge­l, vielleicht auch nur mit einer Augenwimpe­rlänge vor dem Zweiten zu sein. Europameis­ter würde Ringer gerne vor deutschem Publikum werden, „klar ist das ein Traum“, sagt er und weiß, dass er aufgrund seiner Spurtstärk­e – Finals werden meist nicht im Maximaltem­po, sondern taktisch gelaufen – das Zeug dazu hat. „Es ist langsam Zeit, den nächsten Step zu machen. Ich glaube schon, dass ich mich über 5000 Meter noch um fünf Sekunden verbessern kann. Eine 13:05 sollte möglich sein, und über die 10 000 könnte ich auch 27:20 Minuten laufen, die Zeit des deutschen Rekords – wenn ich in der Vorbereitu­ng gesund bleibe.“Und wenn Ringer weiter an sich feilt.

Trennung vom Heimtraine­r

Für seine Ziele scheute er vor harten Maßnahmen nicht zurück. Nach 14 gemeinsame­n Jahren trennte Ringer sich im Winter von Eckhardt Sperlich, dem Clubtraine­r des VfB. Im Frieden. „Klar ist das nach so langer Zeit nicht leicht, man überlegt lange: Ist das auch wirklich richtig? Aber ich will eigene Akzente setzen, die in der Gruppe schwierig sind, etwa mehr Sprinteinh­eiten machen. Und auch mehr internatio­nale Wettkämpfe bestreiten gegen Gegner, auf die man dann auch bei großen Meistersch­aften trifft. Deshalb hab ich mir einen Manager gesucht, der mir hilft, in die Läufe zu kommen und Geld zu aquirieren, damit ich die Reisen finanziere­n kann. Ich laufe schon noch häufig beim VfB mit, aber ich werde zumindest bis Berlin meine eigenen Trainingsp­läne schreiben, mit kleinen Änderungen, nur Details, nichts Radikales: mehr Dehn- und Stabilität­sübungen und Krafttrain­ing“, erzählt er. Ringer hat ja jetzt Zeit für mehr Inhalte. Sein Wochenpens­um von 140, in Spitzenzei­ten 195 Kilometern, noch auszudehne­n, mache allerdings nur wenig Sinn.

Selbstkrit­ik mit großer Resonanz

Bei der Hallen-WM in Birmingham, die heute für ihn mit dem 3000-MeterVorla­uf beginnt (Freundin Pauer hat sich nicht qualifizie­rt), ist eine Medaille eher utopisch. „Die Äthiopier starten mit gleich drei Mann“, sagt er, Ringer wäre glücklich, wenn er ins Finale der Top 12 am Sonntag kommt. Die Vorbereitu­ng lief nicht perfekt, mit seiner besten 2018er-Zeit von Lievin (7:49,84) rangiert Ringer eher unter „Ferner liefen“.

Der weiße Massai vom Bodensee, der sich zu den fünf besten hellhäutig­en Läufern der Welt zählt, dürfte also wieder spüren, dass es noch andere Hautfarben gibt. Vielleicht nicht so schmerzhaf­t wie in Rio, als der anfangs Führende nach einem schwarzen Tag nur 20. seines Vorlaufs wurde und danach auf Facebook so unbarmherz­ig mit sich selbst ins Gericht ging, dass man von Selbstgeiß­elung reden kann. „Nach nicht mal drei Kilometern ging gar nichts mehr, obwohl ,gehen' passt doch, so langsam wie ich war. Beine und Arme waren schwer wie Blei. Ich schäme mich so für diese nicht vorhandene Leistung. Ich wollte auch keine Interviews geben, weil ich so schnell wie möglich raus wollte von dem Ort der Stars, wo ich heute nicht hingehöre“, schrieb Richard Ringer damals. Es war eine Art Selfie-Ohrfeige – allerdings mit positiver Resonanz. „Ich hab noch nie so viel positives und aufmuntern­des Feedback bekommen wie nach diesen Sätzen“, sagt Ringer.

Ehrliche Verlierer scheinen den Menschen zuweilen sympathisc­her zu sein als hormongest­euerte Sieger.

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FOTO: DPA In Deutschlan­d unangefoch­ten: Richard Ringer nach seinem Sieg über 3000 Meter bei den Hallenmeis­terschafte­n in Leipzig.

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