„In Talkshows hat man den Rechten die Rolle des Krokodils im Kasperltheater zugewiesen“
Politologe Werner J. Patzelt sieht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die einzige Möglichkeit, um den Filterblasen und Echokammern des Internets zu entgehen
Der Politikwissenschaftler Professor Werner J. Patzelt (Foto: TU Dresden) von der Technischen Universität Dresden sieht durchaus Fehler im öffentlich-rechtlichen System. Warum er dennoch überzeugt ist, dass ein Land wie Deutschland ohne nicht auskommt, erklärt er Erich Nyffenegger im Interview.
Die Schweiz stimmt über die Abschaffung der Rundfunkgebühren und faktisch über das Ende öffentlich-rechtlicher Sender ab. Eine gute Idee? Auch für Deutschland?
Fangen wir mit dem Leitgedanken hinter dem öffentlich-rechtlichen Angebot an! Als das Fernsehen aufkam, gab es nur wenige Frequenzen. Journalistischer Außenpluralismus ließ sich damit nicht sichern. Also sollte durch Errichtung eines öffentlich-rechtlichen Funkwesens immerhin Binnenpluralismus gewährleistet werden. Für ihn sollten die Aufsichtsgremien sorgen. Als immer mehr Frequenzen verfügbar wurden und das Privatfernsehen aufkam, hoffte man auf fortan möglichen Außenpluralismus, also dass sich gesellschaftliche Meinungen und Strömungen auf verschiedene Sender verteilen. Das hat aber nicht funktioniert; das Stichwort wäre „Trash-Fernsehen“. Und das Internet samt sozialen Medien veränderte alles noch einmal. Jetzt kann man dafür sorgen, dass man nur noch das sieht und hört, was dem eigenen Weltbild entspricht. So haust man sich in Filterblasen und Echokammern ein. Gerade in dieser Lage braucht es als Korrektiv seriösen Journalismus und leistungsfähige öffentlich-rechtliche Medien.
Nicht nur in der Schweiz ist die Klage laut, mit dem Pluralismus bei den Öffentlich-Rechtlichen sei es nicht besonders weit her.
Das belegen Untersuchungen auch für Deutschland. Die Meinungsverteilung unter Journalisten ist im Vergleich zur Bevölkerung klar nach links verzogen; rund 60 Prozent von ihnen stehen Grünen, der Linken und der SPD nahe. Was also unter Journalisten als objektiv empfunden wird, deckt sich nicht mit dem Objektivitätsempfinden im Bevölkerungsquerschnitt. Gerade auch in den öffentlich-rechtlichen Sendern empfinden viele Leute Schwerpunktsetzungen, die den eigenen Eindrücken nicht so recht entsprechen. Das löst dann Kritik am „Rotfunk“oder Empörung über die „Lügenpresse“ aus. Und vor genau diesem Hintergrund werden Debatten über Rundfunkgebühren geführt.
Was würde ohne Gebührenmittel aus unserer Demokratie?
Leitgedanke unserer pluralistischen Demokratie ist, dass aus offenen, kritischen Debatten die Chance erwächst, zumindest die gröbsten politischen Denk- und Handlungsfehler zu vermeiden. Es braucht also Medien, die zwar Fakten aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten, bei denen man aber darauf vertrauen kann, dass Fakten und keine Fiktionen mitgeteilt werden. Wenn man sich jedoch nicht mehr auf gute Recherchen und sorgfältigen Umgang mit Quellen verlassen kann, dann fehlt dem politischen Streit die Verankerung in der Wirklichkeit. Leicht gewinnt in ihm anschließend ideologisches Faustrecht. Für plurajeweils listischen Meinungsstreit entfällt somit die wichtigste Geschäftsgrundlage, nämlich Wirklichkeitssinn und Rationalität. Diese Grundlage zu liefern, ist aber die politisch wichtigste Aufgabe gebührenfinanzierter Medien. Wird sie wirklich gut erfüllt?
Was können Öffentlich-Rechtliche und Medien und Presse überhaupt besser machen?
Besprechen wir das am Fall des Umgangs mit Rechtspopulisten. In bester Absicht haben sich viele Journalisten ihnen gegenüber als Sachwalter von Freiheit und Liberalität gegeben. Darüber sind sie rasch selbst zur Streitpartei geworden und waren nicht mehr faire „Mediatoren des Zeitgesprächs“. Das hat unserem politischen Diskurs nicht gut getan. Statt etwa in Talkshows die inhaltlichen Positionen von Rechtspopulisten streitig zu erörtern, hat man dem eingeladenen Rechten die Rolle des Krokodils im Kasperltheater zugewiesen: Er war dafür da, im Show-Tribunal zum Gaudium der Guten verprügelt zu werden. Das aber solidarisierte genau jene, deren Positionen man doch kritisch zerlegen wollte. Sozusagen wurden gesinnungsstark Eigentore geschossen. Glücklicherweise haben inzwischen viele Journalisten erkannt, wie kontraproduktiv eine solche an Anwaltsverhalten grenzende Vermischung von Darstellung und Bewertung war – und gar erst eine bevormundendpädagogische Zuwendung zum Mediennutzer. Da hat sich also manches wieder gebessert. Aufgrund journalistischer Rekrutierungsmuster ist es hingegen unwahrscheinlich, dass je die Meinungsverteilung in den öffentlich-rechtlichen Anstalten jener in der Bevölkerung entsprechen wird.