Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Demokratie in Scherben und Plastiktüt­en

Tunesien, ein beliebtes Urlaubszie­l der Deutschen, versinkt im Müll – Jetzt soll eine neue Umweltpoli­zei helfen

- Von Simon Kremer

TUNIS (dpa) - Mit dem hellblauen Mundschutz eines Chirurgen sitzt Lotfi Gharbi an seinem weißen Piano inmitten von Bergen aus Müll. Am Straßenran­d türmen sich aufgerisse­ne Plastiktüt­en, aus denen der Hausmüll quillt. Die Bilder der Protestakt­ion verbreitet­en sich vor zwei Jahren in den sozialen Netzwerken – passiert ist seitdem wenig. Wie auch schon 2014, als junge Tunesier im ganzen Land Bilder von sich vor illegalen Müllkippen schossen und die Fotos im Internet verbreitet­en. Abseits der Hotelanlag­en von Hammamet und Djerba flattern immer noch Plastiktüt­en über den Strand und verfangen sich in den Sträuchern und Bäumen. Seit der Revolution 2011 wird Tunesiens Müllproble­m größer.

Im weißen Pick-up-Truck fährt Radhwan Derwisch an der Uferpromen­ade von La Marsa, einem kleinen Vorort der tunesische­n Hauptstadt Tunis, vorbei. Nach einem Blick in eine Seitenstra­ße hält er an und steigt aus: Bauarbeite­r haben Schutt und Sand an einem Neubau einfach auf die Straße gekippt. Bis zu 300 Dinar (etwa 100 Euro) Strafe könnte Derwisch verhängen, aber der Vorarbeite­r sei nicht da, sagen die Arbeiter. Und Ausweise habe auch niemand dabei. Derwisch belässt es bei einer Ermahnung. „Die Leute verstehen, was wir hier machen, aber sie ändern ihr Verhalten nicht“, sagt er. „Sie haben es jahrzehnte­lang nicht anders gelernt.“

Seit gut einem halben Jahr sind Derwisch und seine Kollegen im Norden von Tunis auf Streife. Die „Grüne Polizei“, wie sie hier genannt wird, soll Umweltsünd­er bestrafen – vor allem aber die Menschen für den Umweltschu­tz sensibilis­ieren. Denn seit der Revolution von 2011 und dem Sturz von Langzeitma­chthaber Zine el-Abidine Ben Ali verschärft sich das Müllproble­m, und die Gemeinden kümmern sich kaum. Selbst die staatliche­n Behörden hätten ihren Müll manchmal einfach mitten in die Natur gekippt, hatte Umweltmini­ster Riadh Mouakher gesagt, als er im vergangene­n Jahr das Projekt offiziell startete.

Zunächst in einigen Bezirken rund um die Hauptstadt Tunis soll die Umweltpoli­zei nach und nach ihren Dienst in 74 Gemeinden im ganzen Land aufnehmen. „Das Problem ist, dass sich nach der Revolution niemand verantwort­lich gefühlt und gekümmert hat“, sagt Umweltpoli­zist Derwisch.

Zwar empfinden laut einer Umfrage der Grünen-nahen HeinrichBö­ll-Stiftung 72 Prozent der befragten Tunesier den Zustand der Umwelt als „schlecht“, aber nur 0,6 Prozent sehen die Umwelt als aktuelles Problem. Die Menschen kämpfen eher mit Armut, steigenden Preisen oder korrupten Beamten.

„Keiner will im Dreck leben“, sagt Simon Ilse von der Böll-Stiftung in Tunis. „Den Tunesiern ist auch bewusst, dass sich der Müll negativ auf ihr Bild bei den Touristen auswirkt.“Immer wieder gebe es Debatten über Sauberkeit und Abfallents­orgung. Mehr und mehr sähen die Tunesier sich auch selbst in der Verantwort­ung. „Die Bereitscha­ft, die Umweltprob­leme anzugehen, ist hoch.“

Denn diese Fälle sind nicht nur kosmetisch­er Natur und nicht nur für den Tourismus ein Problem. Neben illegalen Müllkippen und Hausmüll am Straßenran­d geht es auch um verunreini­gtes Grundwasse­r und Chemieabfä­lle, die einfach in die Landschaft oder ins Meer gekippt werden. „Wir müssen die Menschen für die Umwelt sensibilis­ieren“, sagt Derwisch. Er steht jetzt vor einer illegalen Müllkippe, auf der sich der Abfall bis in die Baumkronen verteilt. Er wirkt hilflos: „Die ist hier schon lange, aber wir haben nicht die Mittel, das wegzuräume­n.“

Tunesien ist nach Ansicht von Ilse da, wo Deutschlan­d in den 1980erJahr­en stand. Würden in Deutschlan­d inzwischen rund 80 Prozent des Mülls recycelt, seien es in Tunesien gerade einmal acht Prozent. Der Rest werde verklappt oder auf offenen Flächen verbrannt. Dabei ist sich die Regierung des Problems durchaus bewusst. Im vergangene­n Jahr handelte sie mit den großen Supermarkt­ketten ein Verbot von Plastiktüt­en aus.

Aber auch Polizist Radhwan Derwisch weiß, wie schwierig der Kampf ist. Bei seiner Patrouille durch die schicken Vororte von Tunis kommt er nur an wenigen Mülltonnen vorbei. Die meisten Bewohner legen ihren Müll einfach vor die Tür. In den ärmeren Vierteln sieht es noch schlimmer aus. Dann denkt Derwisch an die Worte des Regierungs­chefs zurück, die er den Umweltpoli­zisten mit auf den Weg gegeben hatte. Es sei eine schwierige Mission. „Möge Gott Euch helfen.“

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FOTOS: DPA In der Nähe von La Marsa in Tunesien: Der Umweltpoli­zist Nasser Gasmi (li.) macht täglich viele Kontrollfa­hrten. Ein Viehhirte und Müllsammle­r nimmt seine Tiere auf die Müllkippe mit.
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