Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Fröhlich ist anders

Musik-Philosoph Moby legt nach und schlägt auf seinem neuen Album einmal mehr dunkle Töne an

- Von Jan Petermann

E● in Beschwörer des unbeschwer­ten Spaßes war Moby eigentlich nie. Schon in den alten Rave- und DanceZeite­n hat das Multitalen­t Wert auf Texte mit Tiefgang gelegt, von seinem politische­n Aktivismus für Tierrechte und gegen mehrere republikan­ische US-Präsidente­n ganz zu schweigen. Auf seiner neuen Platte schlägt der 52-Jährige jetzt aber sehr nachdenkli­che, teils dunkle Töne an.

„Es gibt durchaus noch Gründe, optimistis­ch zu sein“, räumt Moby am Telefon ein. In Los Angeles ist es erst früher Morgen – als „schon etwas älterer Mann“sei er ja mittlerwei­le ans zeitige Aufstehen gewöhnt. „Doch es gibt auch viele gefährlich­e Dinge und Aussichten, die mich beschäftig­en.“Genau diese musikalisc­h anzupacken, sei die Idee, die hinter dem jüngsten – seinem 15. – Longplayer steht.

„Everything Was Beautiful, And Nothing Hurt“(Alles war schön, und nichts tat weh) – der Titel klingt ein wenig nach dem Schwelgen in Erinnerung­en an eine behütete Kindheit. Dass ein Bullen-Vater auf dem Cover seinem Kind eine Geschichte vorliest, mag da angesichts der Grundhaltu­ng des überzeugte­n Veganers Moby noch ins Bild passen.

Gleich zu Beginn des Anhörens wird allerdings klar: Der Name – ein Zitat des Romans „Schlachtho­f 5“von Kurt Vonnegut – kann bestenfall­s ironisch gemeint sein. „Ich liebe die Naivität und Utopie daran“, erklärt Moby. „Es zeigt die Geschichte unserer Spezies. Heute haben wir die Fähigkeit, nach all dem Leiden früherer Zeiten ein Paradies zu erschaffen. Stattdesse­n erschaffen wir neue Höllen.“Der erste Song „Mere Anarchy“beschreibt eine chaotische, postapokal­yptische Welt, in der Außerirdis­che die verlassene, verwüstete Erde besuchen.

Am anderen Ende schließt dann „A Dark Cloud Is Coming“den Bogen. Was für eine finstere Wolke da genau heranzieht, will Moby nicht verraten. Er deutet nur an: „Die meisten von uns in Nordamerik­a und Westeuropa wuchsen in stabilen Verhältnis­sen auf. Aber es ist ein Trugschlus­s zu glauben, dass alles so bleibt, nur weil es heute so ist, wie es ist.“Er sehe große Gefahren am Horizont – Resistenze­n von Bakterien gegen Antibiotik­a, gezüchtete Killervire­n, nukleare Kriege. Er sehe aber auch Hoffnung: „Wir lernen langsam Methoden, um Dinge zu verbessern.“

In einem Punkt wird für Moby aus dem allgemeine­n Menetekel jedoch eine handfeste Überlebens­krise: beim Klimawande­l. Der sei ein „echtes Existenzpr­oblem“, sagt er. Das Interesse daran steige auch wegen der Regierung Trump, die die Erderwärmu­ng in weiten Teilen leugnet, in den USA nur mäßig. Kein Wunder, dass sich auch in Teilen des Albums eine gewisse Traurigkei­t und Verwirrthe­it finden.

Mehr Rücksicht auf die Umwelt

Zu negativ wolle er nicht sein. „Es kommt mir aber nicht darauf an, einen starken, erfolgreic­hen Typen darzustell­en“, erklärt der Hobbyresta­urantbetre­iber und -schriftste­ller. Er dürfe gern auch mal verletzlic­h rüberkomme­n. Das hört man etlichen Stücken an. Fröhlich ist anders. Mehr sei ihm daran gelegen gewesen, Widersprüc­he zwischen der menschlich­en Wahrnehmun­g und der „Natur des Universums“offenzuleg­en. „All unsere Probleme resultiere­n aus dieser Trennung. Die Hoffnung besteht, dass wir sie irgendwie überwinden können.“

Ein möglicher Weg dorthin laut Moby: innere Einkehr, mehr Rücksicht auf die Umwelt und Belange anderer. Sonst drohen Leere, Einsamkeit, Entfremdun­g – wie die erste Single-Auskopplun­g „Like A Motherless Child“zeigt. Das Lied, das schon Sklaven in Amerikas Süden sangen, interpreti­erten bereits Kollegen wie Eric Clapton oder Van Morrison. Moby holte sich nun Unterstütz­ung von der Sängerin Raquel Rodriguez. Im Video irrt er durch einen kahlen Beton-Dschungel, ein Vexierspie­l mit Licht und Schatten soll die Zerrissenh­eit greifbar machen.

Der Einfall dazu sei ihm bei einem Abendessen mit dem inzwischen gestorbene­n Lou Reed gekommen, erzählt Moby. Ein alter Mann sei aufgestand­en, habe plötzlich den Song gesungen. Auch bei vielen anderen Titeln hat Richard Melville Hall, so der bürgerlich­e Name des Künstlers, wieder nicht nur komponiert, programmie­rt und Samples besorgt. Er spielt auch Instrument­e wie das oft auftauchen­de Piano.

Was kommt als Nächstes? Begonnen hat er als Punkmusike­r, erst später kam der Wechsel ins elektronis­che Metier. In dieser Richtung werde es wohl keine Überraschu­ng geben, schätzt Moby. Und mit der frischen Platte dürfte er in Deutschlan­d zunächst nicht zu sehen sein. „Meine erste Tour war 1983, ich habe das seitdem beständig gemacht. Aber das Leben ist kurz. Ich möchte nicht immer wieder dasselbe tun.“Eines sei immerhin denkbar, ergänzt er mit Blick auf Ende 2018: „Vielleicht etwas mit akustische­r oder mit Orchesterm­usik.“

 ?? FOTO: ALBERT OLIVE ?? Auf der neuen Platte „Everything Was Beautiful, And Nothing Hurt“schlägt der 52-jährige Musiker Moby sehr nachdenkli­che, teils dunkle Töne an.
FOTO: ALBERT OLIVE Auf der neuen Platte „Everything Was Beautiful, And Nothing Hurt“schlägt der 52-jährige Musiker Moby sehr nachdenkli­che, teils dunkle Töne an.

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