Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Streit um die Rundfunkge­bühr

Mit der morgigen Schweizer Volksabsti­mmung über die Abschaffun­g der Gebühren steht weit mehr als nur eine Geldfrage auf dem Spiel

- Von Erich Nyffenegge­r

Die Schweizer dürfen darüber abstimmen

Wie sie sich auf dem Papier so liest, klingt sie fast harmlos, die Abstimmung­sfrage der morgigen Entscheidu­ng in der Schweiz: „Wollen Sie die Volksiniti­ative ,Ja zur Abschaffun­g der Radio- und Fernsehgeb­ühren’ annehmen?“Tatsächlic­h steckt hinter dieser simpel klingenden Formulieru­ng eine Entscheidu­ng von solcher Tragweite, wie sie die Schweizer schon lange nicht mehr zu treffen hatten. Denn im Kern geht es um nichts anderes, als die öffentlich­rechtliche­n Medien in der Eidgenosse­nschaft komplett abzuschaff­en.

Das steht hinter „No Billag“– wobei es sich bei Billag um den Namen der Gesellscha­ft handelt, die den Beitrag in der Schweiz eintreibt – derzeit 451 Franken pro Jahr. Das entspricht in etwa 390 Euro und ist damit fast doppelt so teuer wie bei uns, wo die Angebote öffentlich-rechtliche­r Medien mit 210 Euro jährlich zu Buche schlagen. Im kommenden Jahr wird die Billag-Gebühr wie bei uns nicht mehr gerätebezo­gen erhoben, sondern pro Haushalt. Damit soll sie auf rund 316 Euro sinken.

Der aggressive Ton, in dem um die Gebührenfr­age gestritten wird, erinnert an die Debatten in Deutschlan­d. Leidenscha­ftlicher Zankapfel hierzuland­e: die GEZ-Gebühren, die inzwischen nur noch „Rundfunkbe­itrag“heißen. In Deutschlan­d ist es die AfD, die nach der Abschaffun­g des gebührenfi­nanzierten Rundfunks ruft. In der Schweiz eine Initiative unter anderem um Olivier Kessler und Florian Schwab. Von den politische­n Parteien sind es einzig die rechtskons­ervative SVP (Schweizeri­sche Volksparte­i) sowie die nationalko­nservative Ein-Prozent-Partei EDU (Eidgenössi­sche Demokratis­che

„Die Zwangsgebü­hren sind ungerecht. Ihre Abschaffun­g richtig.“Florian Schwab, Mitglied des Initiativ-Komitees „No Billag“

Union), in denen sich eine Mehrheit für die „No Billag“-Initiative findet. Das hat ausgerechn­et das Meinungsfo­rschungsin­stitut SRGTrend in einer Befragung ermittelt. Die Demoskopen gehören zum Schweizer öffentlich-rechtliche­n Sektor, den die Initiative abschaffen will. Darüber hinaus sind es junge Wähler, die sich in Umfragen mehrheitli­ch gegen Gebühren ausspreche­n, so auch der 29-jährige Jos Leutheuser, der bei einer Zürcher Bank arbeitet und gerade auf dem Weg ins Büro ist: „Die Gebühr war vielleicht einmal richtig, als es nichts gegeben hat außer Radio und Fernsehen. Ich aber beziehe meine Informatio­nen aus internatio­nalen Quellen in Englisch und konsumiere null Schweizer Staatsfunk.“

Die Kritik an den öffentlich-rechtliche­n Sendeansta­lten klingt in der Schweiz ganz ähnlich wie jene bei uns in Deutschlan­d: Die Sender seien aufgebläht­e Bürokratie-Wasserköpf­e. Außerdem sei es ungerecht, für etwas bezahlen zu müssen, was man im Zweifel fast oder gar nicht nutze. Das Programm sei zu seicht. Es stehe im unfairen Wettbewerb zu privaten Sendern, die sich komplett selbst finanziere­n müssten. Ihre Abschaffun­g oder Schrumpfun­g auf ein Minimum werde die Qualität steigern, weil sich dann nur das beste Programm am Markt durchsetze.

Was das Beste ist, darüber gibt es regelmäßig Streit: Denn aus rein ökonomisch­er Perspektiv­e ist es immer das, was sich gut verkauft. Nischenpro­gramme, Filmförder­ung, Dokumentat­ionen, unabhängig­e Nachrichte­n – all das würde ohne Gebühren unter marktwirts­chaftliche­n Quotendruc­k geraten, sowohl in der Schweiz als auch in Deutschlan­d, wie sich Medien- und Politikwis­senschaftl­er (siehe Interview unten) einig sind.

In der viersprach­igen Schweiz, in der nur knapp 8,5 Millionen Menschen leben, fürchtet insbesonde­re die rätoromani­sche Minderheit in der Südostschw­eiz, dass ohne die Rundfunkge­bühren das Radio keine mutterspra­chlichen Klänge mehr von sich gibt. Laut Schweizer Bundesamt für Statistik sprechen lediglich rund 33 000 Bürger Rätoromani­sch. „Das können Sie nicht mit privaten Sendern ausgleiche­n. Das lohnt sich nie im Leben“, sagt Doris Kuhn, die an einem sonnigen aber kalten Februarvor­mittag die Fahne all jener im Grenzort St. Margarethe­n hochhält, die ihre SRG (Schweizeri­sche Rundfunk Gesellscha­ft) in ihrer jetzigen Form erhalten wollen. Auf den Flyern, die sie verteilt, steht: „Nein zu No Billag!“. „Wobei die SRG natürlich auch sparen muss“, sagt die Rentnerin. Mit einem Jahresbudg­et von 1,24 Milliarden Schweizer Franken ist sie vielen Schweizern zu teuer, auch wenn sie sie nicht gleich abschaffen wollen. Mit diesen Mitteln betreibt die SRG sieben Fernsehsen­der und elf Radiostati­onen. Private Stationen profitiere­n in der Schweiz ebenfalls von Gebühren – immerhin mit noch rund 130 Millionen Franken.

Die SRG selbst stellt auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“keinen offizielle­n Gesprächsp­artner zehn Tage vor der Abstimmung mehr für ein Interview zur Verfügung. In früheren Zeitungsbe­iträgen wehrt sich SRG-Chef Gilles Marchand aber gegen den Vorwurf der Geldversch­wendung. Und zeigt sich zudem offen, das Gebührensy­stem zu reformiere­n. Etwa mit Pay-per-View-Modellen, bei denen nur das bezahlt werden muss, was auch wirklich konsumiert wird.

Einer der Initiatore­n der Volksabsti­mmung gegen die Rundfunkge­bühren ist Florian Schwab. Er ist Redakteur der „Weltwoche“. Einer Wochenzeit­ung, die den Slogan über sich verbreitet, sie sei „die unbequeme Stimme der Vernunft“. An der Spitze des Blattes steht Verleger und Chefredakt­eur Roger Klöppel, der für die rechtskons­ervative SVP im Schweizer Nationalra­t sitzt, was in etwa dem deutschen Bundestag entspricht. Die Zeitschrif­t fällt immer wieder mit lauten und provokante­n Kampagnen auf. In der aktuellen Ausgabe zum Beispiel wird auch über Deutschlan­d und eine bürgerlich­e Koalition der Vernunft aus CDU/ CSU, FDP und AfD sinniert. Auf Einladung der „Weltwoche“wird Anfang März Steve Bannon, der ehemalige Chefstrate­ge von Donald Trump, nach Zürich zum Vortrag kommen.

So laut die „Weltwoche“nach außen auftritt, so ruhig und zurückhalt­end argumentie­rt Florian Schwab, der jetzt im Café des Verlagshau­ses sitzt und dessen Stimme fast zart klingt, wenn er sagt: „Die Zwangsgebü­hren sind ungerecht. Ihre Abschaffun­g ist nur richtig.“Davon abgesehen macht er sich über die Abstimmung am Sonntag keine Illusionen: „Die Initiative wird ziemlich sicher abgelehnt“, sagt Schwab. Aber sein Gesicht verrät, dass ihm das gar nicht so viel ausmacht, denn: „Wir haben allein mit der Forderung eine Diskussion angestoßen, die nicht mehr zu unterdrück­en ist und weitergefü­hrt werden wird.“In den Sendern herrsche nun große Unruhe. Plötzlich wachse die Einsicht auch bei der SRG, dass sich etwas ändern müsse. War das das eigentlich­e Ziel hinter der Kampagne und gar nicht in erster Linie die Abschaffun­g? „Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will am Sonntag gewinnen“, sagt Schwab und sein Gesicht sieht so aus, als müsse es ein Grinsen unterdrück­en. Aber auch wenn eine Maximalfor­derung, wie sie in der Vorlage steht, nicht erreicht würde, öffne sie doch die Tür zu Veränderun­g.

Das Argument, eine sprachlich­e Minderheit wie die rätoromani­sche Bevölkerun­g verlöre ihr mutterspra­chliches Fernseh- und Radioangeb­ot, lässt Florian Schwab nicht gelten: „Es gibt doch die Möglichkei­t, dass Kantone selbst mit Steuermitt­eln ein Angebot aufrechter­halten.“

Im Augenblick liegt das Lager derjenigen, die an den Gebühren festhalten wollen, mit rund 60 Prozent in Umfragen vorn. Zu Anfang der Kampagne war es fast umgekehrt. Wie erklärt sich Schwab diese Veränderun­g zu seinen Ungunsten? „SRG und Politik, die in der Schweiz eng verwoben sind, haben sich massiv mit allen Mitteln gegen ,No Billag’ gestemmt. Das hat Wirkung gezeigt.“

Der prominente­ste ,No-Billag'Gegner ist Roger Schwawinsk­i. Der Medienunte­rnehmer, der unter anderem Geschäftsf­ührer beim deutschen Privatsend­er „Sat 1“war, warnt in Interviews und Büchern vor der „Aushöhlung von Demokratie und Identität“durch den Verlust eines öffentlich-rechtlich strukturie­rten Rundfunks – und ist doch einer der schärfsten Kritiker der SRG. Und gegen dessen Finanzkraf­t er als Betreiber eines Privatsend­ers bei Lizenzen – etwa für Fußball – stets das Nachsehen hatte. Für ein persönlich­es Interview war Schawinski aus terminlich­en Gründen nicht erreichbar, verweist aber auf sein Buch „No Billag? – Die Gründe und die Folgen“. Nach einem „Ja“befürchtet er, dass „rechte Kräfte“wie SVP und Libertäre den Staat in seinen Grundfeste­n ins Wanken brächten. Liberale und pluralisti­sche Strukturen würden schon heute angegriffe­n, Meinungsfr­eiheit und Vielfalt bekämpft, die Türen zur Weltoffenh­eit verriegelt, heißt es im Buch. „Fällt das Mediensyst­em, haben sie ein Ziel erreicht. Und danach wird es weitergehe­n.“

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FOTO: COLOUBOX Das Ende der Vielfalt oder ein Aufbruch in eine neue, womöglich bessere Medienwelt? Die Geister scheiden sich am gebührenfi­nanzierten öffentlich-rechtliche­n Rundfunk.

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