Streit um die Rundfunkgebühr
Mit der morgigen Schweizer Volksabstimmung über die Abschaffung der Gebühren steht weit mehr als nur eine Geldfrage auf dem Spiel
Die Schweizer dürfen darüber abstimmen
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Wie sie sich auf dem Papier so liest, klingt sie fast harmlos, die Abstimmungsfrage der morgigen Entscheidung in der Schweiz: „Wollen Sie die Volksinitiative ,Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren’ annehmen?“Tatsächlich steckt hinter dieser simpel klingenden Formulierung eine Entscheidung von solcher Tragweite, wie sie die Schweizer schon lange nicht mehr zu treffen hatten. Denn im Kern geht es um nichts anderes, als die öffentlichrechtlichen Medien in der Eidgenossenschaft komplett abzuschaffen.
Das steht hinter „No Billag“– wobei es sich bei Billag um den Namen der Gesellschaft handelt, die den Beitrag in der Schweiz eintreibt – derzeit 451 Franken pro Jahr. Das entspricht in etwa 390 Euro und ist damit fast doppelt so teuer wie bei uns, wo die Angebote öffentlich-rechtlicher Medien mit 210 Euro jährlich zu Buche schlagen. Im kommenden Jahr wird die Billag-Gebühr wie bei uns nicht mehr gerätebezogen erhoben, sondern pro Haushalt. Damit soll sie auf rund 316 Euro sinken.
Der aggressive Ton, in dem um die Gebührenfrage gestritten wird, erinnert an die Debatten in Deutschland. Leidenschaftlicher Zankapfel hierzulande: die GEZ-Gebühren, die inzwischen nur noch „Rundfunkbeitrag“heißen. In Deutschland ist es die AfD, die nach der Abschaffung des gebührenfinanzierten Rundfunks ruft. In der Schweiz eine Initiative unter anderem um Olivier Kessler und Florian Schwab. Von den politischen Parteien sind es einzig die rechtskonservative SVP (Schweizerische Volkspartei) sowie die nationalkonservative Ein-Prozent-Partei EDU (Eidgenössische Demokratische
„Die Zwangsgebühren sind ungerecht. Ihre Abschaffung richtig.“Florian Schwab, Mitglied des Initiativ-Komitees „No Billag“
Union), in denen sich eine Mehrheit für die „No Billag“-Initiative findet. Das hat ausgerechnet das Meinungsforschungsinstitut SRGTrend in einer Befragung ermittelt. Die Demoskopen gehören zum Schweizer öffentlich-rechtlichen Sektor, den die Initiative abschaffen will. Darüber hinaus sind es junge Wähler, die sich in Umfragen mehrheitlich gegen Gebühren aussprechen, so auch der 29-jährige Jos Leutheuser, der bei einer Zürcher Bank arbeitet und gerade auf dem Weg ins Büro ist: „Die Gebühr war vielleicht einmal richtig, als es nichts gegeben hat außer Radio und Fernsehen. Ich aber beziehe meine Informationen aus internationalen Quellen in Englisch und konsumiere null Schweizer Staatsfunk.“
Die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten klingt in der Schweiz ganz ähnlich wie jene bei uns in Deutschland: Die Sender seien aufgeblähte Bürokratie-Wasserköpfe. Außerdem sei es ungerecht, für etwas bezahlen zu müssen, was man im Zweifel fast oder gar nicht nutze. Das Programm sei zu seicht. Es stehe im unfairen Wettbewerb zu privaten Sendern, die sich komplett selbst finanzieren müssten. Ihre Abschaffung oder Schrumpfung auf ein Minimum werde die Qualität steigern, weil sich dann nur das beste Programm am Markt durchsetze.
Was das Beste ist, darüber gibt es regelmäßig Streit: Denn aus rein ökonomischer Perspektive ist es immer das, was sich gut verkauft. Nischenprogramme, Filmförderung, Dokumentationen, unabhängige Nachrichten – all das würde ohne Gebühren unter marktwirtschaftlichen Quotendruck geraten, sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland, wie sich Medien- und Politikwissenschaftler (siehe Interview unten) einig sind.
In der viersprachigen Schweiz, in der nur knapp 8,5 Millionen Menschen leben, fürchtet insbesondere die rätoromanische Minderheit in der Südostschweiz, dass ohne die Rundfunkgebühren das Radio keine muttersprachlichen Klänge mehr von sich gibt. Laut Schweizer Bundesamt für Statistik sprechen lediglich rund 33 000 Bürger Rätoromanisch. „Das können Sie nicht mit privaten Sendern ausgleichen. Das lohnt sich nie im Leben“, sagt Doris Kuhn, die an einem sonnigen aber kalten Februarvormittag die Fahne all jener im Grenzort St. Margarethen hochhält, die ihre SRG (Schweizerische Rundfunk Gesellschaft) in ihrer jetzigen Form erhalten wollen. Auf den Flyern, die sie verteilt, steht: „Nein zu No Billag!“. „Wobei die SRG natürlich auch sparen muss“, sagt die Rentnerin. Mit einem Jahresbudget von 1,24 Milliarden Schweizer Franken ist sie vielen Schweizern zu teuer, auch wenn sie sie nicht gleich abschaffen wollen. Mit diesen Mitteln betreibt die SRG sieben Fernsehsender und elf Radiostationen. Private Stationen profitieren in der Schweiz ebenfalls von Gebühren – immerhin mit noch rund 130 Millionen Franken.
Die SRG selbst stellt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“keinen offiziellen Gesprächspartner zehn Tage vor der Abstimmung mehr für ein Interview zur Verfügung. In früheren Zeitungsbeiträgen wehrt sich SRG-Chef Gilles Marchand aber gegen den Vorwurf der Geldverschwendung. Und zeigt sich zudem offen, das Gebührensystem zu reformieren. Etwa mit Pay-per-View-Modellen, bei denen nur das bezahlt werden muss, was auch wirklich konsumiert wird.
Einer der Initiatoren der Volksabstimmung gegen die Rundfunkgebühren ist Florian Schwab. Er ist Redakteur der „Weltwoche“. Einer Wochenzeitung, die den Slogan über sich verbreitet, sie sei „die unbequeme Stimme der Vernunft“. An der Spitze des Blattes steht Verleger und Chefredakteur Roger Klöppel, der für die rechtskonservative SVP im Schweizer Nationalrat sitzt, was in etwa dem deutschen Bundestag entspricht. Die Zeitschrift fällt immer wieder mit lauten und provokanten Kampagnen auf. In der aktuellen Ausgabe zum Beispiel wird auch über Deutschland und eine bürgerliche Koalition der Vernunft aus CDU/ CSU, FDP und AfD sinniert. Auf Einladung der „Weltwoche“wird Anfang März Steve Bannon, der ehemalige Chefstratege von Donald Trump, nach Zürich zum Vortrag kommen.
So laut die „Weltwoche“nach außen auftritt, so ruhig und zurückhaltend argumentiert Florian Schwab, der jetzt im Café des Verlagshauses sitzt und dessen Stimme fast zart klingt, wenn er sagt: „Die Zwangsgebühren sind ungerecht. Ihre Abschaffung ist nur richtig.“Davon abgesehen macht er sich über die Abstimmung am Sonntag keine Illusionen: „Die Initiative wird ziemlich sicher abgelehnt“, sagt Schwab. Aber sein Gesicht verrät, dass ihm das gar nicht so viel ausmacht, denn: „Wir haben allein mit der Forderung eine Diskussion angestoßen, die nicht mehr zu unterdrücken ist und weitergeführt werden wird.“In den Sendern herrsche nun große Unruhe. Plötzlich wachse die Einsicht auch bei der SRG, dass sich etwas ändern müsse. War das das eigentliche Ziel hinter der Kampagne und gar nicht in erster Linie die Abschaffung? „Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will am Sonntag gewinnen“, sagt Schwab und sein Gesicht sieht so aus, als müsse es ein Grinsen unterdrücken. Aber auch wenn eine Maximalforderung, wie sie in der Vorlage steht, nicht erreicht würde, öffne sie doch die Tür zu Veränderung.
Das Argument, eine sprachliche Minderheit wie die rätoromanische Bevölkerung verlöre ihr muttersprachliches Fernseh- und Radioangebot, lässt Florian Schwab nicht gelten: „Es gibt doch die Möglichkeit, dass Kantone selbst mit Steuermitteln ein Angebot aufrechterhalten.“
Im Augenblick liegt das Lager derjenigen, die an den Gebühren festhalten wollen, mit rund 60 Prozent in Umfragen vorn. Zu Anfang der Kampagne war es fast umgekehrt. Wie erklärt sich Schwab diese Veränderung zu seinen Ungunsten? „SRG und Politik, die in der Schweiz eng verwoben sind, haben sich massiv mit allen Mitteln gegen ,No Billag’ gestemmt. Das hat Wirkung gezeigt.“
Der prominenteste ,No-Billag'Gegner ist Roger Schwawinski. Der Medienunternehmer, der unter anderem Geschäftsführer beim deutschen Privatsender „Sat 1“war, warnt in Interviews und Büchern vor der „Aushöhlung von Demokratie und Identität“durch den Verlust eines öffentlich-rechtlich strukturierten Rundfunks – und ist doch einer der schärfsten Kritiker der SRG. Und gegen dessen Finanzkraft er als Betreiber eines Privatsenders bei Lizenzen – etwa für Fußball – stets das Nachsehen hatte. Für ein persönliches Interview war Schawinski aus terminlichen Gründen nicht erreichbar, verweist aber auf sein Buch „No Billag? – Die Gründe und die Folgen“. Nach einem „Ja“befürchtet er, dass „rechte Kräfte“wie SVP und Libertäre den Staat in seinen Grundfesten ins Wanken brächten. Liberale und pluralistische Strukturen würden schon heute angegriffen, Meinungsfreiheit und Vielfalt bekämpft, die Türen zur Weltoffenheit verriegelt, heißt es im Buch. „Fällt das Mediensystem, haben sie ein Ziel erreicht. Und danach wird es weitergehen.“