Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Weltenwand­erer

Deutsch-tschechisc­her Schriftste­ller Ota Filip gestorben

- Von Barbara Just

MURNAU (KNA) - Eine Woche vor seinem 88. Geburtstag ist der deutsch-tschechisc­he Autor Ota Filip gestorben. Er galt als einer der bekanntest­en Dissidente­n des „Prager Frühlings“. Doch ihm wurde auch Verrat vorgeworfe­n.

Bunte Fantasiege­schichten waren seine Sache nicht. Der Autor und Journalist Ota Filip schöpfte für seine Romane vor allem aus dem eigenen Leben. „Ich schreibe immer über mich selbst“, sagte er einmal. Stoff dazu hatte er genug. Am Wochenende wurde nun bekannt, dass der im mährischen Ostrau geborene Filip am 2. März im Alter von 87 Jahren gestorben ist.

Aufgewachs­en war Filip mit einem deutschnat­ional gesinnten Vater und einem kommunisti­schen Onkel. Erst zu seiner Hochzeit mit der aus Polen stammenden Tschechin Marie ließ er sich als 23-Jähriger katholisch taufen. Später kam Filip immer wieder in Konflikt mit dem kommunisti­schen System, was ihm Berufsverb­ot, Gefängnis und 1974 das Exil in der Bundesrepu­blik Deutschlan­d einbrachte.

Wen wundert’s, dass so einer seine Geschichte in Phasen aufteilte. „Der siebente Lebenslauf“nannte er sein 2001 erschienen­es Buch, das seine Erlebnisse von 1939 bis 1953 schildert. Sieben Lebensläuf­e beanspruch­te Filip: „den wirklichen, den ich lebe, einen gekürzten Lebenslauf, den ich mein Leben lang immer wieder für Behörden, für fremden Gebrauch und für andere sinnlose Zwecke schreibe, und dann vier weitere Lebensläuf­e, die ich mit literarisc­her Dichtung verschlüss­elt in vier Romanen erzählt habe“. Sein siebter Lebenslauf begann am 13. Juli 1951: Der tschechosl­owakische militärisc­he Nachrichte­ndienst legte eine Akte über ihn an.

Vorwürfe des Verrats

Fast 50 Jahre später wurde Filip in einer Pressekamp­agne vorgeworfe­n, 1952 als Soldat ohne Waffe mit fünf Kollegen die Flucht in den Westen vorbereite­t und sie verraten zu haben. Im Archiv des tschechisc­hen Innenminis­teriums sah er im Herbst 1998 den ersten Teil von Aufzeichnu­ngen über sein Leben ein, „von denen ich nicht einmal eine Ahnung hatte“. Seinen Roman, mit dem er zur Aufklärung beitragen wollte, widmete Filip seinem Sohn Pavel. Der Mathematik­er hatte sich aufgrund der Vorwürfe gegen den Vater 1998 das Leben genommen.

Das Buch verfasste Filip zuerst in Tschechisc­h, danach sorgte er für die Übertragun­g ins Deutsche und schrieb die Geschichte quasi neu. So hielt er es öfters. Einfach übersetzen, das wollte er nicht. „Weil die Sprache auch den Stil diktiert.“Das Wechseln von einer zur anderen Sprache fiel ihm nicht schwer. Ganz anders als Kind, als ihn der Vater zwang, in eine deutsche Schule zu gehen, obwohl er fast kein Wort Deutsch verstand. Erst als er später als Mitarbeite­r einer Prager Zeitung im Archiv Kafka und Rilke las, entdeckte er die Schönheit der deutschen Sprache.

Für Aussöhnung

In seiner alten Heimat wurde der Schlüsselr­oman über seine Erlebnisse zu einem Erfolg. In Deutschlan­d warf ihm ein Kritiker Selbstmitl­eid vor, ein anderer meinte, das Urteil bleibe dem Leser überlassen. Doch Filip war keiner, der es sich einfach machte. „Natürlich habe auch ich Fehler gemacht“, räumte er ein.

Um den Kopf frei zu bekommen, nahm er im April 1975 die Strapazen einer langen Wallfahrt auf sich. Auf dem böhmischen Pilgerweg ging er allein zu Fuß von Bayerisch Eisenstein nach Rom. Als er völlig durchnässt bei einem Pfarrhof in den Tauern um ein Nachtquart­ier bat, weil alle Pensionen geschlosse­n hatten, wurde er aber vom Pfarrer schroff abgewiesen und musste in einen Heuschober ausweichen.

Die Aussöhnung zwischen Sudetendeu­tschen und Tschechen lag dem zuletzt im oberbayeri­schen Murnau lebenden Filip am Herzen. So lautete sein Rat: „Wir müssen uns nicht lieben, wir müssen uns im geeinten Europa wieder vertragen lernen.“Der Adelbert-von-ChamissoPr­eisträger war gefragt. Etwa für eine Poetikvorl­esungsreih­e 2010 in Dresden. Damals legte er ein bewegendes Zeugnis seines über 40-jährigen literarisc­hen Schaffens und ein wichtiges Zeitdokume­nt ab.

Dokumentie­rt ist all dies in dem Buch „Verspätete Abrechnung­en“. Darin beschäftig­t sich Filip mit der Frage, wie ein Einzelner das 20. Jahrhunder­t – ein Jahrhunder­t des Verrats und der organisier­ten Gewalt – zu überstehen vermag. Was bleiben möge, formuliert­e er so: „Und dann bleibt mir zuletzt nur die Hoffnung übrig, dass mein geschriebe­nes Wort mich wenigstens um einige Jahrzehnte überlebt.“

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FOTO: DPA
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FOTO:DPA Ota Filip (1930 - 2018)

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