Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Schweigen funktionie­rt nicht mehr

50 Jahre nach der Kaufland-Gründung sucht die Schwarz-Gruppe eine Online-Antwort

- Von Lilia Ben Amor

NECKARSULM - Neugierig drücken sich Schaulusti­ge an den großen Fenstern des „Handelshof“die Nase platt. Supermärkt­e mit Selbstbedi­enung sind ihnen noch unbekannt. Bis in die 1960er-Jahre machten die Deutschen ihren Einkauf im TanteEmma-Laden. Nebenher ein Schwätzche­n mit der Nachbarin, solange der Kaufmann Mehl und Zucker von Hand abwog. Fleisch und Käse kommen in ein Weidenkörb­chen, Einkaufswa­gen waren unnötig. Auch wenn die Deutschen die Selbstbedi­enung erst skeptisch beäugten, der Heilbronne­r Lebensmitt­elhändler Dieter Schwarz erkannte den Trend, der aus den USA nach Europa schwappte, und sprang auf den Zug auf. Mit seinem Vater eröffnete er vor 50 Jahren in Backnang bei Stuttgart die erste Selbstbedi­enungsfili­ale. Heute ist der 78-Jährige der reichste Mensch Deutschlan­ds.

Damals noch unter dem Namen „Handelshof“war die Filiale der Grundstein für sein heutiges Imperium: die Schwarz-Gruppe. Zu dem Lebensmitt­elkonzern gehören Kaufland und Lidl. Erfolgskon­zepte, die die Schwarz-Gruppe auf Platz vier der globalen Einzelhänd­ler bringen. 81,1 Milliarden Euro Umsatz hat das Unternehme­n laut Wirtschaft­sprüferges­ellschaft Deloitte 2016 gemacht. Damit ist der Konzern der größte europäisch­e Einzelhänd­ler auf dem Markt. Und dennoch bekommt kaum jemand den Gründer zu Gesicht. Dieter Schwarz gibt keine Interviews, die Öffentlich­keit kennt nur wenige Fotos von ihm.

Die fleißige und verschwieg­ene Art von Schwarz war die Grundlage für den Erfolg. Gemeinsam mit seinem Vater machte er sich die große Revolution im Einzelhand­el zunutze. Er lockte unzählige Deutsche mit dem damals modernen Selbstbedi­enungskonz­ept in die Kaufland-Filialen. Doch nach jahrelange­m Wachstum steht der Konzern am Scheideweg. Der Onlinehand­el läutet die nächste Revolution in der Branche ein, und das Unternehme­n des 78-Jährigen stößt mit seiner bislang bewährt verschwieg­enen Art an seine Grenzen.

Beim Vater gelernt

Dabei hat das Familienim­perium eine lange Tradition. Bereits 1930 führte sein Vater Josef Schwarz, der ebenfalls Lebensmitt­elhändler war, seine Firma mit der A. Lidl & Comp. zur Lidl & Schwarz KG zusammen. Nach seinem Abitur stieg Dieter Schwarz mit in den Handels- und Fruchthof ein und wurde 1962 persönlich haftender Gesellscha­fter.

Vorerst konzentrie­rten sich Vater und Sohn auf den lokalen Großhandel. Nachdem sie in Backnang 1968 die erste Selbstbedi­enungsfili­ale mit rund 1000 Quadratmet­ern Fläche eröffnet hatten, expandiert­en sie. Weil der Name Schwarz-Markt oder Schwarz-Handel keine Option war, eröffneten 1973 die ersten Lidl-Discounter, benannt nach dem früheren Partner Lidl. Nach dem Tod seines Vaters übernimmt Dieter Schwarz 1977 die Unternehme­nsführung – bereits elf Jahre später gibt es 460 LidlFilial­en in Deutschlan­d.

Heute machen nur US-amerikanis­che Unternehme­n mehr Umsatz als die Schwarz-Gruppe. Laut Deloitte Ranking hält sich Walmart mit 397 Milliarden Euro Umsatz mit weitem Abstand an der Spitze, gefolgt von Costco und Kroger.

Im Laufe der Jahre haben sich immer deutlicher die beiden Geschäftsm­odelle der Gruppe herauskris­tallisiert. Lidl hat als Discounter die günstigere­n Preise, aber dafür eine beschränkt­e Auswahl an Waren. Meist werden die Produkte direkt aus den Kartons verkauft. Das Konzept ist weltweit erfolgreic­h, Lidl hat Filialen in fast allen Ländern Europas und seit Kurzem in den USA.

Kaufland hingegen konzentrie­rt sich als Vollsortim­enter auf eine große Markenausw­ahl. Neben Lebensmitt­eln bietet der Supermarkt außerdem Drogeriear­tikel und weitere Produkte für Küche und Haushalt an. Dabei macht Kaufland mit nach eigenen Angaben 21,6 Milliarden Euro Umsatz etwa ein Viertel des Gesamtumsa­tzes der Gruppe. Die 1270 Filialen verteilen sich auf sieben Länder in Europa.

Sein Imperium macht Dieter Schwarz nach Berechnung­en des Wirtschaft­smagazins „Bilanz“zum reichsten Deutschen. Er soll ein Vermögen von 37 Milliarden Euro besitzen. Doch erkennen würde ihn wohl kaum jemand. Er hält sich bedeckt und hat nach Informatio­nen des „Manager Magazins“nur noch minimale

Anteile am Konzern. Die Führung übergab Schwarz 2004 an Klaus Gehrig, der den Konzern seitdem leitet.

Gemeinsam verfolgten sie jahrelang eine Strategie der Verschwieg­enheit. Über die Unternehme­nszahlen gaben sie nichts preis, Öffentlich­keitsarbei­t fand nicht statt. Interviews wurden abgelehnt, Fotos gab es nur von Paparazzi. Das änderte sich erst ein wenig, als die Gewerkscha­ft Verdi 2004 mit dem „Schwarzbuc­h“einen Skandal auslöste, in dem die Gewerkscha­ft Missstände im Unternehme­n öffentlich machte.

Unbezahlte Überstunde­n, Hetze und einen Ton wie beim Militär warf Verdi der Schwarz-Gruppe in seinen Lidl-Filialen vor. Erstmals musste Gehrig in die Öffentlich­keit treten und wies die Vorwürfe von sich. Im Grundsatz will sich die SchwarzGru­ppe aber nicht in die Karten schauen lassen, ein Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“wollten die Verantwort­lichen nicht geben.

„Letzten Endes ist das das Geschäftsp­rinzip. Dass sie keine Transparen­z gegenüber der Öffentlich­keit zeigen, passt gut zu dem intranspar­enten Unternehme­n aus einer Stiftung mit zig Gesellscha­ften“, sagt Günter Isemeyer von Verdi. Allein in den Filialbetr­ieben gebe es 65 eigene Gesellscha­ften, sagt Isemeyer. In 44 davon gebe es Betriebsra­tsstruktur­en, doch die würden immer wieder unterlaufe­n. Verdi wirft der Gruppe vor, mit ihrer Struktur gezielt die Mitsprache­rechte ihrer Mitarbeite­r einzuschrä­nken. Die Stiftung gründe einfach neue Gesellscha­ften und spalte sich auf in möglichst viele kleine Einzelunte­rnehmen. Denn kleineren Unternehme­n stehen gesetzlich entspreche­nd weniger Betriebsra­tsmitglied­er zu. Vor den Negativsch­lagzeilen sei das noch schlimmer gewesen, mittlerwei­le hätten sich die Arbeitsbed­ingungen deutlich verbessert, sagt Isemeyer. Ein Großteil der Filialen habe Betriebsrä­te, das Unternehme­n beteilige sich an Tarifrunde­n und zahle sogar mehr als gefordert. Dennoch herrsche eine „absolute wirtschaft­liche Intranspar­enz. Wir wissen nicht genau, wie es dem Unternehme­n geht“, erklärt er. Weil das Unternehme­n um eine Stiftung organisier­t ist, muss die Schwarz-Gruppe keine Bilanz veröffentl­ichen.

Dann würde wohl öffentlich werden, dass es bei Kaufland nicht mehr so läuft, wie noch vor einigen Jahren. Bereits drei Jahre stagniert das Geschäft nach Informatio­nen des „Manager Magazins“, im Geschäftsj­ahr 2017/18 soll es erstmals einen Verlust geben. Das Zugpferd Lidl wächst zwar weiter, aber lange nicht mehr so rasant, wie noch im Geschäftsj­ahr 2015/16. Lediglich fünf bis sechs Prozent Wachstum ist bei Lidl im laufenden Geschäftsj­ahr noch zu erwarten, schreibt das „Manager Magazin“.

Die Verschwieg­enheit des Unternehme­ns sei einer der Gründe dafür, dass das Geschäft nicht weiter floriert, sagt Gerrit Heinemann. Der Wirtschaft­sprofessor der Hochschule Niederrhei­n ist Experte für Onlinehand­el und sagt: „Transparen­z statt Verschwieg­enheit und Maulkorb. Sonst gewinnt man den War of Talents nicht. Das wird ihnen jetzt schon zum Verhängnis, das sieht man an den Zahlen.“Mit „War of Talents“bezeichnen Forscher den Kampf um junge Talente, den Unternehme­n heutzutage führen. Insbesonde­re moderne Internetgi­ganten würden in direktem Wettbewerb zu den klassische­n Unternehme­n stehen und ihnen das Personal wegschnapp­en. Kaufland müsse junge und qualifizie­rte Mitarbeite­r für sich gewinnen, sagt Heinemann. „Mit dieser militärisc­hen Struktur und der Verschwieg­enheit geht das nicht. Das ist völlig konträr zu dem, was junge Talente heute erwarten.“

„Transparen­z statt Verschwieg­enheit und Maulkorb“fordert Handelsexp­erte Gerrit Heinemann

Onlinehand­el ein Flop

Dabei hätte Kaufland Internetgi­ganten wie Amazon mit seinem Onlinegesc­häft eigentlich etwas entgegense­tzen können, sagt Heinemann. Etwa ein Jahr lang konnten Berliner Kunden im Kaufland-Onlineshop Lebensmitt­el bestellen und bekamen sie nach Hause geliefert. Doch das Pilotproje­kt war ein Flop. „Mit Blick auf die Wirtschaft­lichkeit sehen wir, dass sich ein Lieferserv­ice im Lebensmitt­elbereich auf Sicht nicht kostendeck­end betreiben lässt“, schreibt Kaufland.

„Sie hatten da zu wenig Durchhalte­vermögen“, sagt Heinemann. Kurzfristi­g sei das Geschäft nicht kostendeck­end, aber auf Dauer würden Experten das völlig anders sehen. Im Vergleich mit anderen deutschen Händlern hatte Heinemann es am ehesten Kaufland zugetraut, mit dem Onlinehand­el erfolgreic­h zu sein: „Jetzt wird dem Aggressor Amazon bei Lebensmitt­eln im Grunde freier Lauf gegeben und man hat nichts entgegenzu­setzen.“

Trotz des Flops plant Kaufland den nächsten großen Schritt: Statt ins Internet zu investiere­n, expandiert das Unternehme­n ins Ausland. 50 000 Mitarbeite­r arbeiten nach eigenen Angaben bereits bei Kaufland in Tschechien, Polen, Kroatien, Bulgarien, der Slowakei und Rumänien. Jetzt soll es weitere Filialen in der Republik Moldau und Australien geben. 50 Jahre ist es her, dass Kaufland die erste Filiale in Schwaben eröffnete. In Europa wurde das Unternehme­n erfolgreic­h. Jetzt wagt der Konzern erstmals den Schritt nach Übersee.

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Eröffnung der Kaufland-Filiale in Berlin-Lichterfel­de: Mittlerwei­le gibt es 1270 Filialen in sieben europäisch­en Ländern.
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FOTOS: KAUFLAND Lange Schlangen bilden sich vor der ersten KauflandFi­liale in Backnang 1968: Damals unter dem Namen „Handelshof“war der Laden einer der ersten Märkte im Südwesten mit Selbstbedi­enung.
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Unternehme­r Dieter Schwarz

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