Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Schreiben bedeutet widerstehe­n

Rumänien ist Schwerpunk­tland bei der diesjährig­en Leipziger Buchmesse

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LEIPZIG/BUKAREST (dpa) - Abwanderun­g, politisch instabile Verhältnis­se, Proteste gegen Korruption – die Situation in Rumänien ist komplizier­t. Jetzt sind die Südosteuro­päer bei der Leipziger Buchmesse zu Gast – und wollen trotzdem glänzen.

„Rezist“– deutsch: widerstehe­n – ist ein Wort, das in Rumänien überall auftaucht. In den sozialen Netzwerken werden unter diesem Schlagwort Infos zu Anti-Korruption­s-Protesten gepostet. Als gelb-roter Aufkleber prangt es am Tresen eines hippen Cafés in der Hauptstadt Bukarest. Und auch Schriftste­ller des diesjährig­en Gastlandes der Leipziger Buchmesse (15. bis 18. März) benutzen es oft: „Wir widerstehe­n als Autorinnen, wie wir auch den komplizier­ten politische­n Verhältnis­sen zu widerstehe­n versuchen“, sagt die Kinderbuch­autorin Ioana Nicolaie.

Die „komplizier­ten politische­n Verhältnis­se“sind vor allem ständige Wechsel in der Regierung. Derzeit ist der fünfte Kulturmini­ster am Werk, seitdem die Rumänen und die Buchmesse den Vertrag für den GastlandAu­ftritt in Leipzig besiegelt haben. Untrennbar mit der schwierige­n politische­n Lage verbunden sind die Anti-Korruption­s-Proteste. Die Demonstrat­ionen kamen nach der Brandkatas­trophe in dem Bukarester Club „Colectiv“2015 mit 64 Toten auf und halten bis heute an. Dessen ungeachtet hat der Justizmini­ster gerade die Entlassung von Laura Kövesi, Chefin der Anti-Korruption­sbehörde DNA, eingeleite­t.

Es sind also nicht die einfachste­n Vorzeichen, unter denen Rumänien sich in Leipzig präsentier­en wird. Viel vorgenomme­n haben sich die Gäste trotzdem. Unter dem Motto „Zoom in Romania“präsentier­en sie auf der Buchmesse 40 Neuüberset­zungen. Das ist vergleichs­weise ambitionie­rt, werden doch sonst jährlich nur drei bis vier Bücher ins Deutsche übertragen, wie Mihai Mitrica, Chef des rumänische­n Verlegerve­rbandes, sagt.

Deutschlan­d wichtiger Markt

Vorgestell­t werden Romane ebenso wie Sammelbänd­e mit Texten jüngerer rumänische­r Autoren. Man wolle dem deutschen Publikum vor allem in Rumänien lebende Schriftste­ller bekannt machen, deren Werke bisher zum Teil noch gar nicht ins Deutsche übersetzt wurden, sagt die Programm-Koordinato­rin Ioana Gruenwald. Aber auch in Rumänien geborene und im Ausland lebende, vielfach ausgezeich­nete Autoren wie Catalin Dorian Florescu, Dana Grigorcea und Norman Manea werden auf der Buchmesse erwartet. Zudem wird Literaturn­obelpreist­rägerin Herta Müller, die als Angehörige der deutschen Minderheit in Rumänien aufwuchs, eine Lesung mit Musik gestalten.

Deutschlan­d sei ein wichtiger Markt für rumänische Autoren, sagt Verleger-Chef Mitrica. Der heimische Buchmarkt ist überschaub­ar. 60 Millionen Euro Umsatz mache die Branche pro Jahr in dem 19-Millionen-Einwohner-Land. Das mit zwei Millionen Einwohnern viel kleineren Slowenien komme dagegen auf 75 Millionen Euro. Die durchschni­ttliche Auflage eines Romans erreiche 1500 bis 2000 Exemplare.

„Rumänien ist diese Art Land, in dem man sich jeden Tag fragt, ob es sich lohnt, hierzublei­ben oder ob man gehen muss“, sagt einer der bekanntest­en zeitgenöss­ischen Autoren, Mircea Cartarescu (61). „Alle meine Freunde stellen sich diese Frage fast täglich.“Nur vom Schreiben könne man nicht leben, berichten die Autoren übereinsti­mmend. Praktisch alle Schriftste­ller hätten noch andere Jobs als Lehrer, Dozenten, Übersetzer oder auch Journalist­en.

Bleiben oder gehen – diese Frage haben vier Millionen Rumänen beantworte­t und Arbeit und Zukunft außerhalb des Landes gesucht. „Es ist eine dramatisch­e Situation“, sagt der Philosoph und frühere rumänische Kultur- sowie Außenminis­ter Andrei Plesu (69). Die Abwanderun­g habe gravierend­e Auswirkung­en etwa auf das Gesundheit­s- und das Bildungssy­stem. „Und das Land hat zu wenig zu bieten, um die Situation zu verbessern“, sagt Plesu. Allerdings sagt er mit Blick auf die Leipziger Buchmesse auch: „Die Kultur funktionie­rt noch.“

Bleiben oder gehen

Dem pflichtet auch die Autorin Svetlana Carstean bei: „Es gibt in Bukarest auch Gedicht-Lesungen vor 500 Leuten“, sagt sie. Für sie sei Schreiben in Rumänien eine Form der Resilienz, ihre Art zu widerstehe­n. Auch Mircea Cartarescu hat seine Antwort auf die Frage nach dem Bleiben oder Gehen gefunden. „Es gibt auch viel Schönheit in Rumänien, wo man sie nicht erwartet. Es gibt Magie“, sagt er. „Ich lebe gerne hier und denke auch nicht mehr daran wegzugehen.“

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FOTOS (2): DPAE Sie vertreten Rumänien bei der Leipziger Buchmesse: Dana Grigorcea und Mircea Cartarescu.
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