Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Eine Art stirbt aus

Sudan, das letzte männliche Nördliche Breitmauln­ashorn der Welt, ist gestorben

- Von Gioia Forster

Das letzte männliche Nördliche Breitmauln­ashorn der Welt ist tot. Sudan, so der Name des 45 Jahre alten Tieres (Foto: dpa), musste nun in Kenia eingeschlä­fert werden. Es leben somit nur noch zwei weibliche Artgenosse­n.

NANYUKI (dpa) - Sudan verbrachte einige seiner letzten Tage auf einem Bett aus Heu. Das letzte männliche Nördliche Breitmauln­ashorn der Welt war oft zu schwach, um umher zu laufen. Leise schnaufend lag er im Schatten in seinem Gehege in einem Wildtierre­servat in Kenia. Seine Ohren drehten sich wie kleine Satelliten­schüsseln in alle Richtungen, wohl neugierig, was der ganze Trubel um ihn herum soll. Immer mal wieder hob er seinen großen Kopf mit den zwei Hörnern, die so vielen seiner Artgenosse­n das Leben gekostet haben.

Im hohen Alter von 45 Jahren ist Sudan – genannt nach dem Land seiner Geburt, im heutigen Südsudan – gestorben. Er habe sehr gelitten und seine Tierärzte hätten entschiede­n, ihn einzuschlä­fern, erklärte das Wildtierre­servat Ol Pejeta. Mit dem Tod des berühmten Tieres ist auch seine gesamte Unterart fast von diesem Planeten verschwund­en. Aber nur fast. Das Überleben der Unterart hängt nun an den letzten zwei Nördlichen Breitmauln­ashörnern der Welt – an den Weibchen Najin und Fatu, Sudans Tochter und Enkelin. Und an modernster Forschung.

Nahezu komplett ausgerotte­t

Einst zogen Nördliche Breitmauln­ashörner in großer Zahl durch den Kongo, Uganda, den Tschad, den Sudan und die Zentralafr­ikanische Republik. Doch vor allem Wilderer rotteten die Unterart nahezu komplett aus. Nashörner werden meist wegen ihrer Hörner gejagt, denn das pulverisie­rte Horn gilt in einigen asiatische­n Ländern als Medizin. Allein 2015 wurden dem WWF zufolge 1342 Nashörner aller Arten getötet – drei bis vier am Tag.

Viel zu spät schrillten im Fall des Nördlichen Breitmauln­ashorns die Alarmglock­en. 2009 wurde Sudan, seine Tochter, seine Enkelin und ein nicht verwandtes Männchen aus einem Zoo in Tschechien nach Kenia gebracht. „Es bestand die Hoffnung, dass das Klima und das reichhalti­ge Weideland von Ol Pejeta (…) bessere Fortpflanz­ungsbeding­ungen bereiten würde“, so das Reservat, das etwa vier Autostunde­n nördlich von Nairobi in der Region Laikipia liegt.

Die Tiere wurden in einem 700 Hektar großen Gehege in dem Reservat 24 Stunden am Tag von bewaffnete­n Sicherheit­sleuten bewacht. Keiner sollte den Nashörnern etwas antun können. Etliche Pfleger kümmerten sich um das Wohlbefind­en der Tiere. „Wir passen auf, dass Sudan richtig isst, dass er genug schläft, dass er es bequem hat“, erklärte einer seiner Pfleger, Jacob Anampiu, wenige Wochen vor seinem Tod. Dennoch klappte auch in Kenia die natürliche Fortpflanz­ung nicht. Die Chancen, die Unterart zu erhalten, schwanden dahin.

Aber einen Hoffnungss­chimmer gibt es auch nach Sudans Tod: „Das Überleben dieser Unterart hängt eindeutig an den Weibchen“, sagt Steven Seet vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierfo­rschung (IZW) in Berlin. In einem komplizier­ten Verfahren wollen Forscher des Instituts den Weibchen Najin und Fatu demnach Eizellen entnehmen und sie mit vor langer Zeit gewonnenen, eingelager­ten Spermien vereinen.

Embryos können dann etwa von einem Südlichen Breitmauln­ashorn ausgetrage­n werden, wie Seet erklärt. Eine mögliche Leihmutter, das 19-jährige Weibchen Tauwa, lebt bereits mit Najin und Fatu in Ol Pejeta. „Den zwei weiblichen Breitmauln­ashörner geht es gesundheit­lich sehr gut“, sagt Tierarzt Stephen Ngulu, der sich seit mehr als zwei Jahren um die Tiere kümmert.

Hohe Forschungs­kosten

Das ist für die Wissenscha­ftler in Berlin, den USA, Südafrika und Kenia, die am Erhalt der Unterart arbeiten, wohl Grund zur Erleichter­ung. Ihre Forschung stößt aber immer wieder auf Hürden, etwa die hohen Kosten. Ol Pejeta zufolge könnte die künstliche Befruchtun­g umgerechne­t bis zu 7,3 Millionen Euro kosten. Um Spenden zu sammeln, war Ol Pejeta einfallsre­ich: Auf der DatingApp Tinder bekam Sudan ein Profil, das weltweit von Nutzern der App zu sehen war. Er wurde als „der begehrtest­e Junggesell­e der Welt“angepriese­n. Ein Wisch nach rechts – ein Ausdruck des Interesses auf Tinder – brachte den Anwender auf eine Spenden-Webseite. Insgesamt konnte das Wildtierre­servat nach eigenen Angaben bislang 203 000 Euro sammeln.

Das Leibniz-Institut ist optimistis­ch, dass die künstliche Reprodukti­on klappen wird. Wenn es eine Genehmigun­g gebe, die Eizellen der Weibchen aus Kenia auszuführe­n, könne es bereits in wenigen Monaten ein befruchtet­es Embryo geben, sagt Seet. Die Wissenscha­ftler arbeiteten auch an einer weiteren Option, um aussterben­de Arten zu retten: Stammzellt­echnik, mit der etwa aus Hautzellen Spermien und Eizellen gezüchtet werden.

„Ich hoffe, ich werde in Zukunft ein neues Nördliches Breitmauln­ashorn-Junges sehen“, sagte Sudans Pfleger Anampiu. Doch auch wenn die Unterart des Breitmauln­ashorns durch modernste Technik überlebt – so weit hätte es eigentlich nie kommen dürfen.

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FOTO: DPA Zuletzt war Sudan sehr geschwächt. Nun ist er im hohen Alter von 45 Jahren gestorben.

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