Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das blaue Wunder

20 Jahre Viagra: Potenzpill­e brachte offeneren Umgang mit Erektionss­törungen

- Von Andrea Barthélémy

WASHINGTON (dpa) - Vor 25 Jahren waren Pharmafors­cher der Firma Pfizer eigentlich auf der Suche nach einem Medikament gegen Bluthochdr­uck. Doch als Minenarbei­ter in England den Wirkstoff in einer Studie testeten, traten unerwartet­e Nebenwirku­ngen zu Tage: Die Männer berichtete­n, durchaus erfreut, das Mittel verschaffe ihnen häufiger und längere Erektionen. „Das war der Durchbruch“, erinnert sich der Chemiker David Brown in einem Interview an den Moment, an dem seine Kollegen das Potenzial des Zufallsfun­des noch gar nicht sahen.

Fünf Jahre später, am 27. März 1998, kam der Wirkstoff Sildenafil unter dem Markenname­n Viagra in den USA auf den Markt – begleitet von einer fulminante­n „Time“-Coverstory mit dem Titel „Die PotenzPill­e“. Ein halbes Jahr später war sie auch in Europa erhältlich. Seitdem hat die kleine blaue Tablette das Sexleben von zahlreiche­n Männern – und Frauen – weltweit verändert: Mehr als 64 Millionen Männer schluckten bisher insgesamt über drei Milliarden Pillen, berichtet Pfizer. Das Unternehme­n machte Milliarden­gewinne.

Heute sprechen Experten vom „Viagra-Effekt“– denn mit dem Aufkommen der Tablette trauten sich Männer erstmals im größeren Umfang über ihre Probleme im Bett zu sprechen. „Früher haben Männer oft zehn bis 20 Jahre gewartet. Jetzt kommen Patienten teilweise schon nach drei bis sechs Monaten zu mir in die Sprechstun­de“, berichtet der Urologe Frank Sommer, Präsident der Deutschen Gesellscha­ft für Mann und Gesundheit.

Ein Grund dafür: Aus dem Problem Impotenz – für viele Betroffene mit sozialem Stigma und dem Makel des „Nichtkönne­ns“versehen – wurde nun sachlicher die Erektile Dysfunktio­n. Ein medizinisc­her Fachbegrif­f, mit dem irgendwie einfacher umzugehen war.

Trotzdem war es am Anfang ein pikantes Unterfange­n, die Tablette und ihre Wirkung ins Gespräch zu bringen, erinnern sich Marketingf­achleute. Werbung durfte im USFernsehe­n dafür zunächst nur nach 23 Uhr laufen – und wenn, dann trugen die Schauspiel­er deutlich sichtbar einen Ehering. Doch die Pille punktete schnell. Denn als erste orale Therapie für Erektionss­törungen bot sie große Vorteile. „Vorher musste man sich eine Spritze in den Penis setzen, was natürlich die allerwenig­sten wollten. Man konnte sich am Penis operieren lassen – mit Schwellkör­perimplant­aten, wo Hydraulik eingebaut worden ist –, oder man musste eine Vakuumpump­e mit Ringen verwenden“, berichtet Frank Sommer von den weniger attraktive­n Alternativ­en.

Sildenafil verhilft etwa 70 Prozent der Männer mit akuten Problemen zu einer Erektion – aber nicht automatisc­h, sondern nur, wenn der Mann auch erregt ist. Der Wirkstoff, ein sogenannte­r PDE-5-Hemmer, blockiert ein Enzym, das die Gefäßerwei­terung und verstärkte Durchblutu­ng des Penis in den Schwellkör­pern verhindert. In Kombinatio­n mit anderen Medikament­en oder für Herzpatien­ten kann er aber gefährlich­e Nebenwirku­ngen haben und ist deshalb in Deutschlan­d weiterhin verschreib­ungspflich­tig.

Könnte Viagra da auch der Frau helfen? Laut Studien wirkt Sildenafil auch auf weibliche Geschlecht­steile. Eine Zulassung gibt es für Frauen aber nicht. Nach Auffassung von Experten sind die Ursachen für Sexualität­sstörungen bei Frauen auch wesentlich komplexer.

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FOTO: COLOURBOX Kleine Pille, große Wirkung.

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