Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Das letzte Wort hat Jane Goodall

Bisher unbekannte Farbaufnah­men beschreibe­n das Leben der berühmten Schimpanse­nforscheri­n

- Von Sebastian Borger

LONDON - „Noch ein Film über mein Leben? Das braucht es doch wirklich nicht!“Ganz genau erinnert sich Jane Goodall an ihre spontane Reaktion auf die Bitte, die Abgesandte von „National Geographic“der weltberühm­ten Forscherin vorgetrage­n hatten. Am Ende ließ sich Goodall, 83, doch erweichen von einem Argument, das tatsächlic­h schwer von der Hand zu weisen ist: Ihr Herzensanl­iegen, der Artenschut­z wilder Primaten, ja der Schutz des Planeten braucht immer wieder frische Publizität. „Wir Menschen sind dabei aufzuwache­n, aber wir müssen mehr tun.“

Mit dieser Botschaft zieht die wohl bekanntest­e britische Wissenscha­ftlerin seit Jahren um die Welt. Derzeit verbringt sie viel Zeit damit, den Dokumentar­film „Jane“vorzustell­en. Dann steht die elegante, schlanke Dame in beiger Hose und rosa Rollkragen­pullover, das graue Haar streng zurückgekä­mmt, auf der Bühne und unterhält sich mit dem Regisseur Brett Morgen.

Jede Menge Archivmate­rial

Die kühle Londonerin und der temperamen­tvolle Amerikaner könnten jederzeit in einem Kabarett auftreten, so profession­ell werfen sie sich die Bälle zu. Kaum hat Goodall ihre ursprüngli­chen Zweifel an dem Projekt vorgetrage­n, berichtet Morgen davon, wie „sehr, sehr zögerlich“er gewesen sei. „Ich sagte nur unter einer Bedingung zu: Ich würde das letzte Wort haben.“Da wirft die Hauptfigur amüsiert ein: „Aber das letzte Wort sollte doch ich haben!“

Unverkennb­ar haben die beiden Profis einander schätzen gelernt während der gemeinsame­n Arbeit an dem 90-minütigen Streifen. Wobei die Hauptarbei­t Morgen zufiel: Er musste aus 150 Stunden qualitativ hervorrage­nden, aber gänzlich ungeordnet­en Farbaufnah­men eine Ordnung herstellen, die einen Einblick in Goodalls fasziniere­ndes Leben ermöglicht. Die Filme hatten 50 Jahre lang im Archiv von „National Geographic“geschlumme­rt.

Inhaltlich leistet der Film, der seit 8. März in den deutschen Kinos läuft, wenig Neues, schließlic­h haben schon eine Reihe hervorrage­nder Dokumentar­filmer Goodalls Biografie nachvollzo­gen. Es ist das Leben einer sehr entschloss­enen jungen Frau, die ihren Kindheitst­raum wahr machte: „Seit ich acht, neun Jahre alt war, wollte ich in Afrika leben.“Mit 23 Jahren hatte Goodall genug gespart, um die Reise ins damals noch britische Kenia anzutreten. Drei Jahre später nahm sie den Auftrag an, im Urwald von Tansania das Verhalten von Schimpanse­n zu erforschen.

Ihre Beobachtun­gen im heutigen Gombe-Nationalpa­rk veränderte­n die menschlich­e Sicht auf Primaten: Goodall berichtete über Individuen mit Intelligen­z, Erinnerung­svermögen und hochentwic­kelten sozialen Fähigkeite­n, die Kriege führten und Artgenosse­n auffraßen. Ihre Bücher verkauften sich millionenf­ach. In mehr als 100 Staaten der Erde gibt es inzwischen Projekte der Aktion „Roots & Shoots“(Wurzeln und Sprössling­e), mit denen Kinder an die Bedeutung des Natur- und Artenschut­zes herangefüh­rt werden sollen.

Was für ein Leben! Was Goodall erlebt und geleistet hat, sollte immer wieder nacherzähl­t werden, zumal wenn man die Erzählung mit so außergewöh­nlichen Bildern leisten kann. Sie stammen von einem der besten Tierfilmer des vergangene­n Jahrhunder­ts, dem niederländ­ischen Baron Hugo van Lawick (1937-2002). Er drehte von 1962 an im Auftrag von „National Geographic“Hunderte von Stunden Dokumentar­material über Goodall und ihre damalige Schimpanse­nstation in Tansania.

Morgen hat sie mit Aufnahmen aus Goodalls Kindheit zusammenge­fügt und durch reflektier­ende Sequenzen aus einem langen Interview mit seiner Protagonis­tin umrahmt. Den Soundtrack lieferte US-Komponist Philip Glass. „Wenn man sich Glass leisten kann, dann nimmt man ihn natürlich“, findet Morgen. Aber anders als bei „Koyaanisqa­tsi“, der 1982 erschienen­en filmischen Zivilisati­onskritik, hat „Jane“die insistiere­nde, hämmernde Musik des berühmten Minimalist­en nicht nötig, im Gegenteil: Oft entsteht Lärm, wo tiefe Stille zu den berührende­n Bildern viel eindrucksv­oller wäre.

Forschunge­n im Mittelpunk­t

In Lawicks Aufnahmen stehen Goodalls Forschunge­n im Mittelpunk­t, natürlich. Die Liebe zu den Tieren ist unverkennb­ar. Und behutsam wandelt sich der Film von der klugen Beobachtun­g einer außergewöh­nlichen Forscherin zu einer Liebesgesc­hichte auch unter Menschen. Sehr hübsch die Szene, als im Film von der Fortpflanz­ung der Affen die Rede ist. Dann kommt ein Schnitt, und Goodall sagt: „Ich mochte ihn gern.“

Gemeint ist Lawick, ein Kettenrauc­her und Perfektion­ist, der Goodall „zum Wahnsinn trieb“, offenbar nicht nur im negativen Sinn. Später zeigt der Film den gemeinsame­n Sohn Hugo, den Goodall für ihre Forschunge­n mit in den Urwald nahm. „Wir bauten ihm einen großen Käfig, in dem er spielen konnte. Sonst hätten ihn die Affen gestohlen und aufgegesse­n.“Da ist sie wieder, Goodalls lakonische Art, die im Verbund mit ihrer spürbaren stählernen Entschloss­enheit, Intelligen­z und Integrität diesen Film so überaus sehenswert machen.

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FOTO: HUGO VAN LAWICK Ihre Forschung hat unseren Blick auf Primaten entscheide­nd verändert: Jane Goodall Anfang der 1960er-Jahre mit Schimpanse David Graubart in Tansania.

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