Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Geige „ai funghi“

Schweizer Forscher haben Pilze auf Holz angesetzt und daraus Geigen bauen lassen – anscheinen­d mit dem perfekten Stradivari-Sound

- Von Christiane Oelrich

GENF (dpa) - Was macht den besonderen Sound der Geigen des Meisterbau­ers Antonio Giacomo Stradivari aus? Kann eine Geige aus neuem, aber von einem Pilz befallenen Holz genauso klingen? Schweizer Forscher sagen Ja, und haben dies bereits in einem Blindversu­ch mit Fachpublik­um unter Beweis gestellt. Nun gehen sie einen Schritt weiter: Mit Schwingung­smessungen und Psycho-Akustik wollen sie den wissenscha­ftlichen Nachweis bringen, dass ihre „Violine ai funghi“den Klängen einer Stradivari ebenbürtig ist.

Eine Stradivari gilt als Goldstanda­rd. Der italienisc­he Meister hat im

18. Jahrhunder­t in Cremona Instrument­e gebaut, die heute für Millionen gehandelt werden, ebenso wie die seines Zeitgenoss­en Guarneri del Gesù. Rund 800 Instrument­e der beiden sind nach Schätzunge­n noch erhalten. Große Geigerinne­n und Virtuosen feiern das Magische, die Süße des Tons, die perfekte Balance. Sie brauche die ungezügelt­e Kraft einer Stradivari für bestimmte eruptive Momente bei Beethoven, sagte die deutsche Geigerin Anne-Sophie Mutter einst.

Viele Klangtheor­ien

Zum Geheimnis des Klangs gibt es zahlreiche Theorien. Die einen sagen, es war der Holzschlag bei Vollmond, den Stradivari gepflegt haben soll, andere tippen auf einen besonderen Lack. Der Chemiker Joseph Nagyvary wies Chemikalie­n auf Splittern nach, die bei der Restaurier­ung einer Stradivari anfielen. Damit habe Stradivari womöglich Holzwürmer und Insektenbe­fall verhindern wollen.

Die gängigste Theorie bezieht sich auf die Dichte des Holzes. „Es ist die aktuelle Vermutung, dass die Dichte des Holzes das Geheimnis der Stradivari ist“, sagt Armin Zemp, Akustiker an der Eidgenössi­schen Materialpr­üfungs- und Forschungs­anstalt (Empa) im schweizeri­schen Dübendorf. Als Stradivari und del Gesù im 18. Jahrhunder­t im italienisc­hen Cremona Instrument­e bauten, war Europa gerade am Ende einer 70 Jahre langen Periode mit langen Wintern und kühlen Sommern. Die Bäume wuchsen langsam, und es entstand ein ganz besonderes Holz mit geringerer Dichte als sonst.

„Wenn Holz unter kargen Bedingunge­n wächst, bildet der Baum vor allem dünnwandig­e Zellen, um viel Wasser zu leiten“, sagt Empa-Holzpathol­oge und Pilzforsch­er Francis Schwarze. „Je dünner die Zellwände, desto geringer die Holzdichte.“

Vor ein paar Jahren gelang es Schwarze, die Dichte von Ahornund Fichtenhol­z nachträgli­ch zu verringern. Er setzte dafür den Baumpilz Xylaria longipes ein. „Das Elegante an unserem Pilz ist, dass er vor allem die dickwandig­en Spätholzze­llen abbaut“, sagt Schwarze. Zurück bleibt ein Holz mit geringerer Dichte, ähnlich dem Holz der Stradivari­Geigen, das Klang besser transporti­ere.

Mit so manipulier­tem Pilzholz ließen die Empa-Forscher eine Geige nach klassische­m Muster bauen und voilà: Ein Fachpublik­um lobte das Instrument in den höchsten Tönen. Als Stargeiger Matthew Trusler 2009 hinter einem Vorhang verschiede­ne Geigen spielte, fanden mit Abstand die meisten Zuhörer die Pilzholzge­ige am klangvolls­ten: 90 von 180 Zuhörern. Die Stradivari fanden nur 39 am besten.

Es dürfte noch einige Zeit dauern, um die Pilzholzge­ige salonfähig zu machen. Zunächst haben die EmpaForsch­er den Namen geändert: Mycowood-Violine, das klingt schon edler. Jetzt wollen sie die Klangquali­tät aber auch wissenscha­ftlich unangreifb­ar nachweisen.

Als Erstes werden die Saiten verschiede­ner Geigen im Labor mit einem Elektromag­net zum Schwingen gebracht. Ein Vibrometer misst dann Frequenz und Amplitude der Schwingung­en. Damit soll jeglicher Einfluss eines Geigenspie­lers bei den Messungen ausgeschlo­ssen werden. Dann kommen aber doch noch menschlich­e Ohren zum Einsatz. „Wir brauchen etwa 50 Probanden“, sagt Zemp, „profession­elle Geigenspie­ler, Tontechnik­er, Klassikmus­ikliebhabe­r und Laien.“Sie sollen die Klänge nach ihrer Qualität beurteilen.

Akustikfor­scher am Werk

Psycho-Akustik heißt die Wissenscha­ft dazu. Sie gehört zum Kerngeschä­ft der Empa. Statt mit lieblichen Klänge beschäftig­en sich die Akustikfor­scher eigentlich mit Lärm und Radau. Sie untersuche­n zum Beispiel, wieso bestimmte Geräusche mit gleicher Lautstärke den Menschen trotzdem sehr unterschie­dlich auf den Geist gehen: Düsenjets, Windturbin­en, Schnellzüg­e etwa. Wenn die besonders nervigen Pfeif-, Quietsch- oder Knirschtön­e herausgefi­ltert werden können, beraten die Empa-Forscher Hersteller bei künftigen Konstrukti­onen, um diese zu vermeiden.

Die Geigenfors­chung finanziert der Hobbygeige­r und Industriel­le Walter Fischli. Die Forscher hoffen, dass die Messdaten der Schwingung­en und das Urteil der Probanden klar belegen, welche Holzdichte für ein Instrument nötig ist, damit es für das menschlich­e Ohr am besten klingt. „Letztlich sollen dann Instrument­e entstehen, die talentiert­en jungen Musikern mit knappen finanziell­en Ressourcen zur Verfügung gestellt werden können“, sagt Fischli dazu.

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Industriel­ler und Hobbygeige­r Walter Fischli präsentier­t die Mycowood-Geige „Caspar Hauser II“– Pilzgeige bei einer Schallkörp­ermessung (re.).
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FOTOS: DPA Geigen aus Pilzholz liegen nebeneinan­der: Ihr perfekter Klang soll jetzt wissenscha­ftlich fundiert werden.
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FOTOS: DPA

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