Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Opioid-Epidemie schockt USA

Pro Tag 115 Überdosis-Tote – Trump fordert Todesstraf­e für Dealer

- Von Christina Horsten

AUSTIN (dpa) - Die Wirkung von Opioiden hat Nora Volkow selbst erlebt. Nach einem Autounfall bekam die 61-Jährige im Krankenhau­s solche Schmerzmit­tel verabreich­t. „Ich flog wie auf Wolken, es war wie im Nirwana“, erinnert sich Volkow. Volkow, geboren in Mexiko als Ur-Enkelin des russischen Revolution­ärs Leo Trotzki, ist seit 2003 Chefin der nationalen Anti-Drogenmiss­brauchsbeh­örde (Nida) der USA – und kämpft derzeit an vorderster Front gegen die Opioid-Epidemie.

Die Zahlen sind dramatisch: Durchschni­ttlich 115 Menschen starben in den USA in den vergangene­n Jahren nach Angaben der Nida jeden Tag an einer Überdosis Opioiden, darunter Schmerzmit­tel, Heroin und das synthetisc­he Fentanyl. 2016 gab es einen gewaltigen Anstieg auf rund 62 000 Überdosis-Todesopfer, 22 Prozent mehr als im Vorjahr. „Das hat uns wirklich geschockt, denn wir hatten eine Abnahme der Zahlen erwartet“, sagte Volkow jüngst. „Jetzt erwarten wir aber, dass die Zahlen für 2017 noch schlimmer werden.“

Die US-Gesundheit­sbehörde CDC hat ähnliche Tendenzen ermittelt. Einem neuen Bericht zufolge stieg die Anzahl vermuteter Überdosis-Fälle zwischen Juli 2016 und September 2017 in 45 Bundesstaa­ten um 30 Prozent an. Besonders betroffen sei der Mittlere Westen des Landes, wo ein Anstieg von 70 Prozent vermeldet wurde. Ein weiterer Brennpunkt sind demnach Großstädte.

US-Präsident Donald Trump hat die Opioid-Epidemie im Land schon zum „Gesundheit­s-Notfall“erklärt. Um das Problem zu bekämpfen, will er nach Angaben hochrangig­er Regierungs­beamter einen harten Kurs einschlage­n: Bestimmte Drogendeal­er sollen nach dem Willen des Präsidente­n künftig mit dem Tode bestraft werden können. Demnach soll das Justizmini­sterium in Prozessen die Todesstraf­e beantragen, „wenn es unter dem geltenden Gesetz angemessen ist“. Trump sprach sich schon früher für die Todesstraf­e für Dealer aus. Anfang März sagte er, Länder, in denen Drogenhänd­lern die Todesstraf­e drohe, hätten „viel weniger Drogenprob­leme“als die USA. Dabei meinte Trump wohl asiatische Länder wie Singapur und die Philippine­n – hohe Drogenkrim­inalität gibt es dort trotz drakonisch­er Strafen aber nach wie vor.

Mittel machen extrem abhängig

Die Ursachen der Opioid-Epidemie in den USA liegen schon einige Jahre zurück. In den späten 1990er-Jahren versichert­en Pharma-Firmen den Ärzten, dass Patienten von Opioiden in Schmerzmit­teln, die eine extrem schmerzlin­dernde Wirkung haben, nicht abhängig werden. Daraufhin verschrieb­en die Ärzte mehr und mehr solcher Präparate. Doch das Gegenteil erwies sich als richtig: Die Opioide machen hochgradig abhängig. Viele Menschen hangelten sich weiter zu Heroin und Fentanyl.

Immer noch verschreib­en die Ärzte in den USA deutlich zu viele Opioide, kritisiert Volkow. „Es gab Vorfälle, wo ein Mensch in einem Jahr von vier verschiede­nen Ärzten Opioide verschrieb­en bekommen hat. Da ist etwas fundamenta­l falsch in unserem Verschreib­ungssystem!“Rund 20 Prozent der Überdosis-Todesfälle hängen nach Angaben von Volkow wohl mit Verschreib­ungen von Opioiden zusammen. Die Anzahl der Verschreib­ungen insgesamt nehme aber langsam ab.

70 Prozent der Menschen in den USA, die heroinabhä­ngig werden, haben mit Opioid-Schmerzmit­teln angefangen. „Dann merken sie, dass pures Heroin viel günstiger und in vielen Fällen auch einfacher zu bekommen ist.“Danach geht es für viele weiter zu Fentanyl. „Das ist viel stärker als Heroin, manchmal 500mal so stark. Das heißt, man braucht nur ganz kleine Mengen und die kann man per Post in die USA schicken.“Die Absender sitzen oft in Mexiko. Neben den Ärzten attackiert die Wissenscha­ftlerin, die schon dutzende Preise gewonnen und rund 700 Fachartike­l und Bücher geschriebe­n hat, in ihrem Kampf auch die Pharma-Industrie. „100 Millionen Menschen in den USA leiden pro Jahr unter Schmerzen – aber das Investment der Privatindu­strie in Forschung ist minimal.“

Das Ausmaß der Krise sei atemberaub­end, gibt Volkow zu. „Aber es ist nicht hoffnungsl­os.“Man verstehe die Opioid-Abhängigke­it besser als viele andere Drogen-Probleme. „Und es gibt wirksame Strategien, die umgesetzt werden können, um Leben zu retten.“

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FOTO: DPA Nora Volkow, Chefin der AntiDrogen­missbrauch­sbehörde.

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