„Ohne Röntgenuntersuchungen geht es nicht“
Der Grünen-Politiker Boris Palmer begrüßt das Urteil gegen Hussein K. mit Blick auf die Sühne für die Opfer
TÜBINGEN - Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) hat sich mehrfach kritisch zur Flüchtlingspolitik geäußert – und sich damit teilweise in der eigenen Partei isoliert. Andreas Herholz hat der Politiker gesagt, warum er Altersbestimmungen für unerlässlich hält.
Lebenslange Haft für den Flüchtling Hussein K. Wie bewerten Sie das Urteil im Prozess um den Mord an einer Studentin in Freiburg?
Die Entscheidung ist absolut angemessen. Sowohl im Hinblick auf die Tat als auch mit Blick auf die Sühne für die Opfer. Das ist ein wichtiges Urteil auch für unsere Gesellschaft in der schwierigen Debatte über Gewalt von Asylbewerbern.
Die Frage des Alters des Täters war in dem Prozess für das Strafmaß entscheidend. Hussein K. hatte sich als minderjähriger Flüchtling ausgegeben, obwohl er älter als 21 Jahre ist. Muss man bei der Altersbestimmung von Flüchtlingen nachbessern?
Ja, hier muss genau geprüft werden. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag bereits die richtigen Schritte vereinbart. In Zukunft soll die Altersfeststellung nicht mehr über die rund 600 Jugendämter laufen, sondern zentral in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder durchgeführt werden. Wenn die nötigen Ausweispapiere fehlen, darf man sich keine Manschetten anlegen, sondern muss das Alter mit medizinischen Untersuchungen zweifelsfrei feststellen. Die Richter haben klar erkannt: Das geht.
Kritiker befürchten Gesundheitsrisiken durch die Untersuchungen…
Ohne Röntgenuntersuchungen geht es nicht. Aber die Strahlenbelastung durch eine Röntgenaufnahme der Hand ist nicht schlimmer als ein Flug nach New York und deswegen zumutbar. Der Anreiz, beim Alter zu täuschen, sich als Jugendlicher auszugeben, ist so groß, dass man es den Menschen nicht einmal verdenken kann, es zu versuchen.
Zuletzt haben Sie vor einem zu laschen Umgang mit Flüchtlingen gewarnt. Was meinen Sie damit konkret?
Leider ist der Freiburger Fall nicht der Einzige, in dem angeblich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge schwere Straftaten begangen haben. Es gibt auch Fälle, in denen die falsche Alterseinstufung eine Voraussetzung für die Straftat war. Die Mischung mit vermeintlich Gleichaltrigen, obwohl der Täter in Wahrheit mehrere Jahre älter war, hat beispielsweise im Fall in Kandel Täter und Opfer erst in Kontakt gebracht. Und dann gibt es Fälle wie den in Tübingen, wo der Täter durchs Raster der Ermittler fiel, weil man auf der Suche nach einem etwa 30-Jährigen war, der Täter aber laut seinen Papieren erst 17 war. Deshalb ist die Altersfeststellung so wichtig. Die Diskussion um diese aufsehenerregenden Fälle wird von zwei Polen dominiert: Die einen sagen, alle Flüchtlinge seien potenzielle Mörder, und die anderen sagen, es gebe bei Flüchtlingen überhaupt keine Besonderheiten, das sei alles nur Rassismus. Beides ist empirisch falsch. Man darf das nicht generalisieren, weil es nur sehr wenige Straftaten sind. Auf der anderen Seite haben die Taten spezifische Gemeinsamkeiten. Deshalb muss man über die Probleme sprechen und nach Wegen zur Vermeidung weiterer Opfer suchen. in die Angelegenheit zu bringen.
Besonders zu schaffen machte dem Gericht die Altersfrage. Als Hussein K. am 12. Dezember 2015 in Freiburg einen Asylantrag stellte, gab er an, minderjährig zu sein und unterwegs ohne Angehörige. Worauf ihn das Jugendamt kurz darauf an eine Pflegefamilie überwies. Nach seiner Verhaftung rund ein Jahr später stand nach ersten Verhören aber rasch die Frage im Raum, ob die Altersangabe stimmen kann.
Der Punkt ist insofern relevant, weil es über die Aburteilung durch das mildere Jugend- oder das härtere Erwachsenenstrafrecht entscheidet. Bis heute kennt das Gericht kein definitives Geburtsjahr. Gutachten inklusive der Untersuchung eines gezogenen Weisheitszahns legen nahe, dass Hussein K. in der ersten Hälfte seines dritten Lebensjahrzehnts steht. Richterin Schenk hält es insofern für erwiesen, dass sein Alter beim Tatzeitpunkt mindestens 18 Jahre betragen hat. Auf eine Festlegung, ob er womöglich bereits 21 Jahre alt gewesen sein könnte, verzichtete sie.
Ab dieser Altersstufe ist das Erwachsenenstrafrecht anzuwenden. Zwischen 18 und 21 Jahren kann es angewendet werden – vorausgesetzt, der Reifegrad eines Angeklagten lässt es zu. „Wir sehen dies bei Herrn K. nach allen Abwägungen als gegeben an“, erläutert Schenk die Haltung des Gerichts. Unter anderem sei er „zielstrebig“, „dominant“und besitze eine ausgeprägte „Ich-Stärke“. Damit war der Weg frei zu lebenslänglich und der im Raum stehenden Sicherungsverwahrung. „Aus heutiger Sicht werden Sie eine erhebliche Gefahr für das Leben anderer bleiben, besonders für Frauen“, sagt Schenk dem Verurteilten ins dauerhaft gesenkte Gesicht. Sie erinnert nebenbei die Prozessbeobachter zu deren Beruhigung daran, dass lebenslänglich nicht automatisch bedeutet, nach den üblichen 15 Jahren auf Bewährung freizukommen. Dies sei nur möglich, wenn der Inhaftierte „nicht mehr gefährlich ist“. Durch die Sicherungsverwahrung unter Vorbehalt bekomme er aber den Anspruch auf eine Therapie.
Schenk selber glaube zwar genauso wenig wie die gesamte Richterbank an der Erfolg einer Therapie. Hussein K. erhalte so aber wenigstens „eine vage Hoffnung“, vielleicht doch irgendwann die Strafe abschwächen zu können. Dies ist nach 24 Verhandlungstagen das Schlusswort. Justizbeamte führen Hussein K. in Fesseln ab. Ob der Fall damit geklärt ist, bleibt ungewiss. Die Verteidigung will in Revision gehen.
Bilder aus dem Gerichtssaal sowie eine Übersicht über die Entwicklung des Falls finden Sie unter: