Abschied eines Tänzers
Theaterhaus Stuttgart: In der Choreografie „The Gift“von Itzik Galili zeigt Eric Gauthier sein Innerstes
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STUTTGART „Gift“gehört zu jenen Wörtern, die ungewollt eine doppelte Bedeutung haben: Bezeichnet es im Englischen ein Geschenk oder eine Gabe, kann es im Deutschen den Tod bedeuten. Der israelische Choreograf Itzik Galili ist ein Freund des ironischen Spiels und wählte „The Gift“als Titel für sein neues Werk. Sein Auftraggeber: der Künstler Eric Gauthier, einer der interessantesten Kulturmacher in Stuttgart. Der wollte sich mit einem Tanzsoloabend von der Bühne verabschieden.
Was macht zeitgenössisches Tanztheater heute aus? Spartenübergreifende Projekte gehören dazu. Sprache, Film und Dokumentation überblenden, durchdringen oder konterkarieren einander. Oft geht es um Geflüchtete, Kriege, Außenseiter. Im Vergleich dazu tanzt der Soloabend „The Gift“am Theaterhaus Stuttgart aus der Reihe. Gauthiers Vorstellung berührt und begeistert, denn der Tänzer bedient sich der Ansätze im zeitgenössischen Tanztheater in einer locker-gelassenen Art. Es ist eine Freude, ihm zuzusehen. „The Gift“ist ganz vieles: sinnliches Livekonzert, Videoperformance, Balletttheater, aber auch Comedy, Thriller und am Ende ein melancholischer Chanson-Abend. Im Youtube-Blogger-Zeitalter ist diese raffiniert inszenierte Selbstbefragung eines Mannes um die 40 ein seltenes Theaterereignis. Da traut sich einer, seine Momente der Selbstkritik, des Bedauerns, der Ich-Verlorenheit mit dem Publikum zu teilen. Denn dieses bildet seit vielen Jahren das notwendige Gegenüber für Eric Gauthier. Das ist ein spannender Punkt, den Choreograf Itzik Galili, Dramaturgin Esther Dreesen-Schaback und vor allem Gauthier selbst herausgearbeitet haben. Das Publikum gibt Gauthiers Lebensweg Atem und Sinn, und wenn er zum Schluss, vor einem letzten grandiosen Solo auf Claude Debussys „Claire de lune“, Edith Piafs „Ne me quitte pas“singt, dabei die voll besetzten Zuschauerreihen abfilmt und dann zum Ende seines Stückes Platz in der ersten Reihe nimmt, zeigt ein großer Künstler, wie sehr er Mensch ist. Die Angst vor dem Verlust des Publikums ist groß.
Gesegnet mit vielen Talenten
Gauthier legte in den Vorankündigungen zu seinem ersten und letzten Soloabend offen, wie sehr er manchmal Schnappatmung bekommen habe bei alldem, was er in den vergangenen Jahren unter einen Hut bringen musste. Gesegnet mit vielen Talenten, schloss er eine Ballettausbildung ab, kam aus Kanada allein nach Deutschland, wurde Solist beim Stuttgarter Ballett und rief danach Gauthier Dance ins Leben, das inzwischen sehr renommierte Tanzensemble des Theaterhauses Stuttgart. Er gründete „Colours“, heute ein international anerkanntes Tanzfestival. Darüber hinaus besitzt der Vater von drei Kindern eine begnadete Stimme und kann Konzertsäle füllen.
Gauthier ist Tänzer, Musiker und Entertainer – witzig und unterhaltsam. Jetzt tanzt er jene Rollen, die er als Solist im Ensemble nie tanzen durfte. Und er zeigt, wie er auf Menschen zugehen kann. Er bringt ihnen Hochkultur in einer Weise nahe, dass es nicht schlimm ist, wenn man keine Ahnung hat. Und so erheben sich 400 Menschen und tanzen mit ihm die Zubereitung von Spaghetti Carbonara, nur um danach die herrlichsten Kurzsoli in Lichtquadraten zu genießen, getanzt von Gauthier.
„Würde ich mein Leben anders leben? Würde ich sehen, was ich noch nicht gesehen habe?“Solche Fragen bilden den dramaturgischen Faden, den Galili für Gauthier entworfen hat. Am Ende steht der Rat, im Hier und Jetzt zu leben. Komplexer und tiefer kann ein Abschied von einer großen Tänzerlaufbahn kaum gestaltet werden.
Weitere Aufführungen am 23., 24., 25. März, 27., 28., 29.,
30. April und 9. Mai. Telefonische Auskunft und Reservierung unter (0711) 40 20 7-20/ 21/-22/-23