Beim Schlaganfall zählt jede Minute
Neue Notaufnahme des RKU bewährt sich - Rasche Therapie kann Schäden minimieren
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ULM - „Time is brain – Zeit bedeutet Gehirnleistung“: Mediziner, die Schlaganfall-Patienten behandeln, wissen: Je schneller ein Patient im Krankenhaus ist, desto größer sind die Chancen, dass er ohne Folgeschäden bleibt. Dieser Maxime trägt die im Oktober 2016 eröffnete neue Notaufnahme im Universitäts- und Rehabilitationskliniken Ulm (RKU) Rechnung. Alle Prozesse sind auf Tempo ausgerichtet. Seitdem sind 1000 Aufnahmen mehr als in dem Jahr zuvor verzeichnet worden.
Seit einem Tag liegt die ältere Patientin auf der Schlaganfall-Spezialstation der RKU: „Ich konnte plötzlich meinen Arm nicht bewegen und hatte Schwierigkeiten mit dem Sprechen“, beschreibt sie die Situation vor ihrem Eintreffen ins Krankenhaus. Dass dies typische Symptome für einen Schlaganfall sind, habe ihr Sohn erkannt, deshalb sei sie in die Klinik gebracht worden.
Die Patientin aus Biberach, die ihren Namen nicht nennen will, gehört zu den 270 000 Menschen in Deutschland, die pro Jahr einen Schlaganfall erleiden. 200 000 von ihnen zum ersten Mal. Meistens trifft es nach Angaben der Deutschen Schlaganfall-Hilfe ältere Menschen. Nur – je nach Datenquelle – 4 bis 15 Prozent der Patienten sind unter 50 Jahre alt.
Treten die typischen Schlaganfall-Symptome auf, zählt jede Minute: Der plötzliche Verschluss von Gefäßen im Gehirn muss innerhalb kürzester Zeit geöffnet werden, um die Sauerstoffzufuhr wieder herzustellen und zu verhindern, dass Zellen absterben.
Die medizinische Behandlung muss innerhalb der ersten Stunden einsetzen. Gemeint ist die Spanne vom Auftreten der Symptome über den Notruf 112 bis zur Einlieferung in eine Klinik und den Behandlungsbeginn.
2016 investierte das RKU deshalb in die Modernisierung und Umstrukturierung der Notaufnahme. Eine neue Liegendanfahrt, hochmoderne Behandlungsräume und die zentrale Lage ermöglichen den Pflegefachkräften, medizinisch-technischen Assistenten und Ärzten eine optimale Versorgung der Patienten.
Steigende Zahlen
Die Zahlen begründen die Notwendigkeit der Maßnahmen: Rund 1500 Störungen der Blutversorgung des Gehirns sind im letzten Jahr im RKU behandelt worden. Hinzu kamen etwa 1500 Patienten mit einem epileptischen Anfall, 500 Patienten mit einer Hirnhautentzündung. Weitere 1000 Patienten stellten neurologische Notfälle dar und mussten einer erweiterten Differenzialdiagnose unterzogen werden.
„Seit 20 Jahren findet in der Neurologie ein Paradigmenwechsel statt“, begründet Professor Dr. Albert C. Ludolph, Ärztlicher Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Ulm am RKU: „Wir bewegen uns immer mehr in Richtung Akutmedizin. Neben der Unfallchirurgie und der Kardiologie ist die Neurologie ein wichtiges Notfallfach geworden.“
Durch die Verkürzung der Wege zwischen Aufnahme, Diagnostik und Beginn der Behandlung ist die neue Infrastruktur nach Angaben des RKU beispielgebend: „Im Rahmen der Aufnahmestation kann an sieben Tagen und 24 Stunden in der Woche ein EEG abgeleitet werden, es steht ein Liquorlabor zur Verfügung und es besteht rund um die Uhr Zugang zu einem eigenen Kernspintomographie und einer Computertomographie, die sich in unmittelbarer Nähe befinden“, erklärt Pressesprecherin Julia Laun
„Unter diesen Bedingungen hat es bei einem der wichtigsten Parametern, dem Anteil der Patienten, die eine Lysetherapie erhalten, einen kontinuierlichen Zuwachs gegeben; sie erreicht einen Anteil von 40 Prozent der Schlaganfallpatienten, ein nationaler und internationaler Spitzenwert“, sagt Professor Dr. Jan Kassubek, Leiter der Notfallaufnahme und Leitender Oberarzt der Neurologischen Klinik.
Auch die interventionelle Neuroradiologie ist weniger als 30 Meter von der Aufnahmestation entfernt. Die sogenannte „Door-to-Needle-Time“, also die Zeit zwischen Eintreffen des Patienten und dem Beginn der Lyse-Therapie, liegt dadurch inzwischen bei weniger als 30 Minuten. Entscheidend ist dies vor allem für Schlaganfallpatienten, die nach dem Ereignis so schnell wie möglich behandelt werden sollten. Kassubek wiederholt: „Hier gilt: ,Time is brain.’“
Eine Erleichterung für die Patienten im RKU ist außerdem die direkt an die Akutklinik angebundene Abteilung für Neurologische Rehabilitation. Dieses Konstrukt ist in Deutschland einmalig und bietet den Patienten die Möglichkeit, direkt im Anschluss an die akute Erkrankung, nachdem die Frührehabilitation in der Klinik für Neurologie durchgeführt wurde, eine weitergehende Rehabilitationsbehandlung durchzuführen. Laun: „Dadurch wird es ermöglicht, dass sich Patienten zum einen voll und ganz auf die Rehabilitationsmaßnahmen konzentrieren können und zum anderen wird die Umsetzung der erlernten Fähigkeiten in den Aktivitäten des täglichen Lebens gefördert.“