Der Fall Puigdemont und seine Tücken
Bis zur Auslieferung des katalanischen Ex-Regionalpräsidenten ist es ein weiter Weg
KIEL/BERLIN (dpa) - Und nun? Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein hat am Dienstag einen Auslieferungshaftbefehl für den früheren katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont beantragt. Damit steht das Auslieferungsverfahren aber erst am Anfang. Jetzt muss das Oberlandesgericht in zwei Schritten entscheiden, ob der 55 Jahre alte Seperatistenführer, dem Spanien einen Umsturzversuch vorwirft, in sein Heimatland überstellt wird. Die wichtigsten Fragen zu diesem Verfahren beantworten Matthias Hoenig und Christiane Jacke.
Was prüft das Oberlandesgericht ● (OLG) Schleswig?
Es muss klären, ob Puigdemont, der aufgrund eines Europäischen Haftbefehls bisher in Festhaltegewahrsam in der JVA Neumünster sitzt, in Auslieferungshaft genommen wird. Mit einer Entscheidung hierüber ist in einigen Tagen zu rechnen. Es muss einen Haftgrund geben – wie zum Beispiel Fluchtgefahr – und es muss geklärt werden, ob die Auslieferung nicht „von vornherein unzulässig erscheint“. Die Anordnung der Haft soll erst einmal sicherstellen, dass eine Auslieferung überhaupt ermöglicht wird. Gegen die Anordnung der Auslieferungshaft sind Rechtsmittel nicht möglich.
Wie geht es dann weiter?
●
Sollte Puigdemont mit einer Auslieferung nicht einverstanden sein, muss die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig in einem weiteren Schritt die rechtliche Zulässigkeit seiner Auslieferung beantragen. Das OLG würde diese prüfen. Voraussetzung wäre, dass die Taten, die Puigdemont nach Ansicht der spanischen Justiz begangen hat, auch in Deutschland strafbar wären. In Spanien wird ihm Rebellion und und Veruntreuung öffentlicher Mittel vorgeworfen. Das entspräche in Deutschland den Straftatbeständen Hochverrat und Untreue, meint die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein. Ob Puigdemont die ihm vorgehaltenen Straftaten begangen hat, wird vom OLG nicht geprüft.
Kann das OLG Puigdemont auf ● ● freien Fuß setzen?
Theoretisch ja: Falls es keinen Haftgrund gäbe oder wenn eine Auslieferung rechtlich nicht zulässig wäre. Wer ordnet die Auslieferung an?
●
Sollte das OLG die Auslieferung als rechtlich zulässig betrachten, geht der Fall zurück an die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig-Holstein. Diese müsste die Bewilligung aussprechen, dass Puigdemont tatsächlich ausgeliefert wird. Über die Auslieferung soll laut Gesetz spätestens innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme entschieden werden. Puigdemont war am 25. März auf der Autobahn A7 in SchleswigHolstein festgenommen worden.
Kann die Entscheidung des OLG Auswirkungen auf einen Prozess in Spanien haben?
Ja. Puigdemont dürfte nur für solche Taten in Spanien angeklagt werden, die auch in Deutschland strafbar sind. Sollte also – rein theoretisch – das OLG den Straftatbestand Rebellion als im deutschen Strafrecht für nicht gegeben betrachten und ihn nur wegen Untreue ausliefern, dürfte er in Spanien auch nur deswegen angeklagt werden. ●
Hat die Bundesregierung die Möglichkeit, einzugreifen und eine Auslieferung zu verhindern?
Das fordern zumindest die deutschen Anwälte Puigdemonts. Sie haben die Bundesregierung – konkret Justizministerin Katarina Barley (SPD) – aufgerufen, eine Auslieferung nicht zu bewilligen. Die Option dazu gebe es laut Gesetz. Grundlage ist hier Paragraf 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Bei internationalen Rechtshilfeersuchen gibt es generell durchaus einen politischen Spielraum – jenseits der juristischen Entscheidung über einen Fall. Bei Ersuchen von Nicht-EUStaaten können das Bundesjustizministerium und das Außenamt etwa prüfen, ob möglicherweise außenpolitische Gesichtspunkte einer Auslieferung entgegenstehen.
Und wie ist es bei Ersuchen von ● EU-Staaten?
Hier ist das Prozedere generell anders, unter anderem weil die EUStaaten hier auf die Rechtsstaatlichkeit der Abläufe vertrauen. Fälle, in denen ein europäischer Haftbefehl vorliegt, gehen etwa nicht über das Außenamt ein, sondern über das Bundeskriminalamt. Und: Für solche Fälle hat der Bund seine Entscheidungsbefugnis an die Länder übertragen. Barley betont daher, das Verfahren zu Puigdemont liege in der Hand der Gerichte und Behörden in Schleswig-Holstein – und schweigt ansonsten zu dem Fall. In der Bund-Länder-Vereinbarung zu europäischen Ersuchen heißt es, das jeweils zuständige Land setze sich in Fällen besonderer Bedeutung mit der Bundesregierung „ins Benehmen“. Ob das mehr betrifft als bloßen Informationsaustausch – und ob die Bundesregierung also bei Puigdemont politische Mitsprache hat, dazu gibt es unterschiedliche juristische Auffassungen. Doch, denn für die Menschen in Katalonien ist Deutschland jetzt Partei. Sie nehmen die Lage so wahr, dass Deutschland in ihrem Kampf um die Unabhängigkeit nicht auf ihrer Seite steht. Direkt nach der Inhaftierung Puigdemonts in Deutschland sind dort ja Zehntausende auf die Straße gegangen und haben demonstriert, auch vor dem deutschen Generalkonsulat in Barcelona.
In Spanien drohen Puigdemont 30 Jahre Haft. Könnte die Bundesregierung nicht doch mit einem Veto eingreifen und die Auslieferung verhindern?
Das ist ja genau das Dilemma: Ein Veto der Bundesregierung würde die spanische Regierung in Madrid massiv vor den Kopf stoßen. Das wäre eine direkte Konfrontation mit einem ganz besonders eng befreundeten Land, einem Freund und Partner. Ein Veto wäre also eine ganz schlechte Option, noch schlechter als eine Auslieferung.
Es gibt aber Zweifel daran, dass die Straftatbestände wie Rebellion und Veruntreuung öffentlicher Gelder hier erfüllt sind …
Das Wesen des Europäischen Haftbefehls ist ja, dass er auf dem Vertrauen der EU-Mitglieder zueinander beruht. Das hat sich in vielen Tausend Fällen normaler Strafverfolgung auch bestens bewährt. Die Lage ist in diesem Fall durch die politische Dimension allerdings ganz anders. Ob Hochverrat nach Paragraph 81 unseres Strafgesetzbuches dem Straftatbestand der Rebellion in Spanien ähnelt, muss das Oberlandesgericht beurteilen.