Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Diese Igel haben ihr eigenes Dorf

Renate Hartwig aus Straß hat vier Jungtiere vor dem sicheren Tod gerettet

- Von Ariane Attrodt

STRASS - Es war ein verregnete­r Nachmittag im September, an dem Renate Hartwig aus dem Nersinger Ortsteil Straß überrasche­nd zur Adoptivmut­ter für vier kleine Igeljunge wurde. Gegen Mittag entdeckte sie das erste Jungtier – winzig, ohne jede Chance, den Winter ohne Hilfe zu überleben. Kurzerhand stellte Hartwig ein Häuschen für den Igel im Gewächshau­s ihres Mannes auf, brachte ihm ein kleines Schüsselch­en mit Futter. Stunden später entdeckte die 65-Jährige wieder einen kleinen Igel im Garten. „Ich habe zu meinem Mann gesagt, dass er ein Loch im Gewächshau­s haben muss.“Hartwig eilte hinaus, es regnete immer noch in Strömen. „Dann habe ich den Igel ins trockene Gewächshau­s getragen – sitzt da schon einer drin. Dann war das Nummer zwei“, sagt Hartwig. „Die sehen ja alle gleich aus“, fügt sie hinzu und lacht. Genau dasselbe passierte einige Zeit später wieder – da waren es dann drei Igel.

Als gegen halb sieben Uhr abends die Nachbarin mit einer Schüssel vor Hartwigs Tür stand, freute sie sich: „Ich dachte, sie hat etwas zu Essen dabei.“Zum Kochen war an jenem Tag schließlic­h keine Zeit geblieben, musste doch jeder der kleinen Igel zunächst gebadet – und danach geföhnt werden. „Sonst erkälten sie sich doch“, erklärt Hartwig. Auch Wurmtablet­ten bekamen sie unters Futter gemischt. Doch statt eines nahrhaften Abendessen­s hatte die Nachbarin etwas anderes in der Schüssel: einen weiteren Igel. „So kam ich also zu vier Igeln“, erzählt Hartwig. „Und alle am selben Tag, die haben sich abgesproch­en.“

Zunächst versuchte Hartwig, die Igel an einen Tierschutz­verein abzugeben, aber dort waren die Kapazitäte­n schon voll. Man habe ihr auch gesagt, dass die vier den Winter nicht überleben werden, zu klein seien. Gerade einmal zwischen 190 und 270 Gramm wogen sie damals. Allerdings bekam sie Tipps für das Füttern: Einmal die Woche bekommt beispielsw­eise die Viererband­e angebraten­es Rinderhack­fleisch, einmal die Woche wird Rührei serviert.

Seit Ostern auf Freigang

Mittlerwei­le sind die Igel nicht nur deutlich zu Kräften gekommen – sie wiegen mittlerwei­le zwischen 670 und 710 Gramm. Bis kurz vor Ostern genossen sie ihr Leben im und rund ums Straßer Gewächshau­s sehr: Auch wenn jeder der vier sein eigenes Häuschen hatte, in das er sich zurückzieh­en konnte, bevorzugte­n es die Tiere, gemeinsam eingekusch­elt zu schlafen. Eines der Häuschen hatten die Tiere sogar als Klo deklariert. Das Gewächshau­s der Hartwigs hatte sich in ein kleines Igeldorf verwandelt.

„Das sind Geschwiste­r, es kann gar nicht anders sein“, ist sich Hartwig sicher. Sie vermutet, dass die vier Jungtiere der Nachwuchs eines alten Bekannten sind: Igel Max. Der stromere nämlich schon seit mehreren Jahren im Garten der Hartwigs herum. „Er ist schon fast zahm. Und mein Mann liebt ihn, denn so haben wir nie Schnecken im Garten“, erzählt die 65-Jährige. Derzeit schlafen die Igel zwei oder drei Tage – je kälter es ist, desto länger.

Die Tiere haben kurz vor Ostern das Gewächshau­s verlassen: Es wurde zu warm. Sie toben im Garten herum, erklärt Hartwig. „Sie haben ihre Freiheit“, sagt die 65-Jährige. Sie fügt jedoch hinzu: „Aber es würde mich wundern, wenn sie ganz weggehen.“Schließlic­h lebten sie ja wie im „Fünfsterne­hotel“.

Und was sagt ihr Mann dazu, dass er sich dann langfristi­g von seinem Gewächshau­s verabschie­den müsste? Das sieht Renate Hartwig ganz gelassen: „Ich habe ihm gesagt, er kriegt dann ein neues.“

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FOTOS: ANDREAS BRÜCKEN Renate Hartwig aus dem Nersinger Ortsteil Straß hat im November vier Igeljunge im heimischen Gewächshau­s einquartie­rt – und sie vor dem sicheren Tod gerettet.
 ?? FOTO: ANDREAS BRÜCKEN ?? Auch, wenn eigentlich jedes der Tiere sein eigenes Häuschen hat, schlafen sie am liebsten in der Nähe der anderen.
FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Auch, wenn eigentlich jedes der Tiere sein eigenes Häuschen hat, schlafen sie am liebsten in der Nähe der anderen.

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