Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Das ist ein Kraftakt“

Die Polizei hat Routine beim Räumen der Innenstadt entwickelt - Geschäfte wollen Kunden mit Geschenken versöhnen

- Von Ronald Hinzpeter

NEU-ULM - Hektik zu verbreiten ist nicht die Sache von Marcus Hörmann. Der Chef der Neu-Ulmer Polizei sagt gerne mal „Alles gut!“und sieht den Vorbereitu­ngen zur Evakuierun­g der Innenstadt gelassen entgegen: „Es läuft.“Dabei steht bekanntlic­h einer dieser äußerst seltenen Großeinsät­ze an. Wegen der Entschärfu­ng eines Blindgänge­rs muss am morgigen Freitag ein Gebiet geräumt werden, in dem rund 12 000 Menschen leben. Doch unterdesse­n haben die Helfer eine gewisse Routine entwickelt. „Jeder weiß, wo er hinlangen muss.“Das wirkt beruhigend, denn immerhin werden wie vor gut drei Wochen wieder bis zu 650 Helferinne­n und Helfer von Polizei, Feuerwehr und Rotem Kreuz im Einsatz sein, um den Menschen in der Gefahrenzo­ne klar zu machen, dass sie für mehrere Stunden ihre vier Wände verlassen müssen. Bei der größten Evakuierun­gsaktion in der Geschichte Neu-Ulms, die am 18. März reibungslo­s über die Bühne ging, wollten nur sehr wenige Menschen trotz der Gefahr in ihren Häusern bleiben.

Diesmal jedoch sind die Voraussetz­ungen etwas anders: Damals wurde an einem ausgesproc­hen ruhigen Sonntag geräumt. Doch morgen herrscht das ganz normale Getriebe eines Werktags. Hätte die Bombenräum­ung also nicht noch zwei Tage warten können? Nein, beteuert Hörmann. Den Zeitraum lege der Sprengmist­er fest, der die rostige Bombe unschädlic­h machen muss. Sie war am Dienstag bei Bauarbeite­n am Südstadtbo­gen zutage getreten. Sie könne nicht so lange liegen, „bis es passt“, so Hörmann, denn immerhin handle es sich um einen ZehnZentne­r-Sprengsatz, der im Ernstfall verheerend­e Schäden anrichten kann. Der müsse zeitig entschärft werden. Nach Mitteilung der Stadtverwa­ltung besteht zwar derzeit „keine akute Gefahr für die Bevölkerun­g“. Doch der Sprengmeis­ter bestehe darauf, die Bombe spätestens nach der mindestnot­wendigen Vorbereitu­ngszeit einer Evakuierun­g – zwei Tage – am Freitag zu entschärfe­n.

Betroffene haben Verständni­s

Das trifft manche Unternehme­n und Geschäfte hart. „Es passt nicht allen“, räumt Stadt-Pressespre­cherin Sandra Lützel ein. Seit Mittwoch Nachmittag würden die Betroffene­n abtelefoni­ert: „Das ist ein Kraftakt“, sagte Sandra Lützel. Doch die meisten Betroffene­n hätten dafür Verständni­s. Das sieht auch der Vorsitzend­e der Händlerver­einigung Win („Wir in Neu-Ulm“) so. Jürgen Behrens, Geschäftsf­ührer des Media Markts, muss morgen ebenfalls die Türen zusperren. Aber er ist froh, „dass es ein Freitag ist und kein Samstag.“Dann würden die Umsatzeinb­ußen noch größer ausfallen. Er hofft darauf, dass viele Menschen ihre Einkäufe eben um einen Tag verschiebe­n. Dafür werden sie dann auch belohnt: Am Samstag bekommen die Kunden kleine Geschenke als „Wiedergutm­achung“, wie er es nennt. Er empfiehlt den anderen Win-Mitglieder­n, die von der Innenstadt­sperrung betroffen sind, ebenfalls kleine Präsente bereitzuha­lten, etwa in Form von Kaffee-Gutscheine­n. Die Rückmeldun­gen der Händlerkol­legen seien weitgehend gelassen: „Daran kann ja niemand etwas ändern. Wir hoffen eben, dass es wieder ruhiger wird.“

Unterdesse­n hat die Stadtverwa­ltung weitere Details zur Evakuierun­g bekannt gegeben. So werden Menschen mit eingeschrä­nkter Mobilität während der Aktion im Foyer der Ratiopharm-Arena untergebra­cht. Für sie stehen Shuttle-Busse bereit. Sammelplat­z ist der Zentrale Umsteigepu­nkt in Neu-Ulm. Die Polizei übernimmt die Begleitung dorthin. Wer Unterstütz­ung bei Verlassen der Wohnung benötigt, kann sich vom Hol- und Bringdiens­t des Roten Kreuzes abholen und zur Ratiopharm-Arena bringen lassen. Wer den Dienst in Anspruch nehmen möchte, muss sich bis heute gegen 17 Uhr über die Bürgerhotl­ine melden.

Während der Evakuierun­g bleiben diverse Einrichtun­gen geschlosse­n, etwa die Stadtbüche­rei, die Musikschul­e, das Bürgerbüro und die Abteilung Sicherheit und Ordnung in der Ludwigstra­ße. Das Rathaus hat geöffnet, es sei allerdings nur ein „eingeschrä­nkter Service“möglich. Betroffen ist auch der städtische Kindergart­en Sankt Johann, der geschlosse­n werden muss.

Sperrung bis zum Nachmittag

Unklar ist noch, wie lange die gesamte Evakuierun­g dauert. Polizeiche­f Hörmann meint, dass es diesmal vielleicht sogar schneller gehen könnte, denn am Sonntag vor gut drei Wochen musste an sehr vielen Haustüren mit entspreche­nd vielen Menschen geredet werden. Diesmal werden aber viele bereits in die Arbeit gefahren sein, wodurch sich die Helfer Zeit sparen könnten. Bis zum Nachmittag dauert die gesamte Aktion sicherlich.

Der heiße Draht: Die Bürgerhotl­ine ist unter 0731/97441898 zu erreichen. Sie ist heute bis 20 Uhr und am Freitag von 6.30 Uhr bis zum Ende des Einsatzes geschaltet.

Weitere Infos auf der Internetse­ite der Stadt Neu-Ulm: nu.neu-ulm.de, über den Twitterkan­al der Polizei: twitter.com/polizeiSWS, und auf der Homepage der „Schwäbisch­en Zeitung“: www.schwaebisc­he.de/ ulm. Dort wird ein Live-Ticker eingericht­et, der über die aktuelle Entwicklun­g informiert.

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FOTO: DPA Das Bild vom 18. März zeigt den Neu-Ulmer Oberbürger­meister Gerold Noerenberg (CSU) neben einer 500 Kilo schweren Fliegerbom­be aus dem Zweiten Weltkrieg. Wegen der Entschärfu­ng einer Bombe gleichen Typs müssen am Freitag erneut 12 000 Menschen...

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