Bruckners Dank an den Vermieter
Es ist ein Genuss, den 80-jährigen Bernhard Haitink so souverän disponierend dirigieren zu sehen. Und zu hören, wie nun im Konzertmitschnitt, den das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in seinem eigenen Label veröffentlicht hat. Bruckners sechste Sinfonie erklingt hier in einer jener Aufnahmen, mit denen sich ein Orchester mit seiner Klangpracht präsentiert.
Das Booklet befeuert die Vorstellung des rundum Gelungenen: Bruckner, 1879 gerade in die Ringstraße, Wiens beste Lage, umgezogen, genehmigt sich eine Reise in die Schweiz. Und die sechste Sinfonie, die hier als musikalisches Alpenpanorama porträtiert wird, widmet er seinem Vermieter, der keine Miete verlangt. Ein Gönner. Auch mit der Sinfonie tut sich Bruckner leicht, er lässt sie, wie sie ist und unterzieht sie keiner weiteren mühseligen Bearbeitung.
Bei näherer Betrachtung bleibt aber von dieser so präsentierten Idee der Sinfonie, wie sie im Konzert aus dem Gasteig 2017 so mus- tergültig umgesetzt ist, wenig übrig. Homogenes Gebilde? Wohlfühlklangbad? Diese Vorstellung hat sich im Laufe der Zeit so herausgebildet.
Neuere Handschriftenfunde deuten in die Gegenrichtung und lassen dieses Werk in den Tempoverhältnissen unsteter, in den Themen disparat und streckenweise geradezu diabolisch erscheinen. Gustav Mahler, der Bruckners Sechste zum ersten Mal, wenn auch stark eingekürzt, aufführte, hat sich selber für seine eigene Sechste von den gespenstischen Scherzo-Klängen inspirieren lassen. Wer sich darauf einlässt, muss die Sinfonie neu einstudieren. So wie es ein anderes Rundfunkorchester, ebenfalls in einer Glanzleistung, vor zehn Jahren getan hat: Es war jenes Orchester mit dem „Stuttgart-Sound“, das es nicht mehr gibt. Am Pult damals: Roger Norrington. (man)
Bruckner 6. Sinfonie, Haitink,
BR- Klassik 900147 ( Vergleich: Norrington bei Hänssler 93219)