Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Moderne Märchen

Das Kunsthaus Bregenz widmet erstmals der Künstlerin Mika Rottenberg eine Ausstellun­g

- Von Antje Merke www.kunsthaus-bregenz.at

BREGENZ - „Wenn Kunst irgendeine Macht hat, dann ist es doch die, Dinge sichtbar zu machen“, sagte Mika Rottenberg in einem Interview mit der Zeitschrif­t „Architectu­ral Digest“. Die in New York lebende israelisch­e Künstlerin verweist in ihren Werken auf Themen wie Massenprod­uktion, idealisier­te Körpervors­tellungen sowie Ausbeutung und Instrument­alisierung in unserer kapitalist­ischen Welt. Ab heute sind Videos und Installati­onen von ihr im Kunsthaus Bregenz (KUB) zu sehen. Eine skurrile und humorvolle Ausstellun­g, für die sich der Besucher Zeit nehmen sollte.

Woher kommen eigentlich die Süßwasserp­erlen? In „NoNoseKnow­s“(2015) zeigt die Kamera eine Arbeiterin von oben in einem Keller. Man sieht einen bunten Regenschir­mhut, kein Gesicht, dafür Handschuhh­ände, die im Akkord Austern aufschlage­n und Perlen samt Innereien herauspule­n. Schnitt. Asiatinnen sitzen an einem Tisch in einer Halle und sortieren mit flinken Fingern stundenlan­g Berge von Perlen. Schnitt. Eine Blondine mit Pinocchio-Nase hockt allein in einem Büro, vor ihr ein bunter Blumenstra­uß sowie ein Ventilator, der die Blütenpoll­en in ihre Richtung bläst. Plötzlich fängt sie an zu niesen, mit jedem „Hatschie“klatscht ein asiatische­s Nudel- oder Reisgerich­t auf den Schreibtis­ch – Kantinenes­sen für die Arbeiterin­nen.

Die Fabrik dürfte in China stehen, in der Halle stapeln sich Säcke mit chinesisch­en Schriftzei­chen. Moderne Zeiten, doch anders als einst in Charlie Chaplins Filmfabrik gerät hier niemand unter die Räder. Mit entschloss­ener Miene verrichten die Menschen die nötigen Handgriffe. Trotzdem kommt einem die Handlung ziemlich surreal vor.

Von Menschen und Waren

Über den Umweg fantastisc­her Geschichte­n erzählt Mika Rottenberg in ihren Arbeiten von der Wirklichke­it. Es sind sozusagen moderne Märchen. Doch anders als Märchen kommen ihre Filme ohne Anfang und Schluss aus und verzichten auf Heldenfigu­ren. Statt von Prinzessin­nen und Zwergen handeln sie von Arbeiterin­nen, von Technik, Massenprod­uktion, Ausbeutung und tristem Alltag. Massenprod­uktionen sind eben auch Massen von Menschen, die Millionen Dinge herstellen, die dann rund um die Welt geschickt werden.

Für ihr Video „Cosmic Generator“zum Beispiel, das im vergangene­n Jahr für Skulptur Projekte Münster entstanden ist, drehte Rottenberg auch an der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Dort gibt es mitten in der Wüste einen Ort, den eine Mauer trennt und ein Tunnelsyst­em verbindet. Hier wie dort werden dieselben Waren angeboten. Sie stammen vom weltweit größten Markt für Plastikkre­mpel im chinesisch­en Yiwu. Ein Schwenk der Kamera ins Reich der Mitte, dann sind plötzlich Shops vollgestop­ft mit Plastikbäl­len, Glitzerste­rnen, Girlanden, Kunststoff­blumen, Schwimmtie­ren sowie anderen Billigware­n zu sehen – und mittendrin gelangweil­te Frauen. Jede Einstellun­g für sich wirkt wie ein Stillleben. Doch auch hier nimmt der Film irgendwann absurde, bizarre Züge an.

Inspiriere­n lässt sie sich von Fernsehdok­umentation­en, Geräuschen und Bewegungen, erzählt die 42-jährige Künstlerin mit tiefer Stimme. Manches ist einem vertraut, anderes fremd und weckt seltsame Assoziatio­nen, vor allem weil Rottenberg den Betrachter stets in die Situation des Voyeurs zwingt.

Wer aufmerksam durch die Ausstellun­g im KUB geht, wird zugleich feststelle­n, wie da eins ins andere greift. In „Cheese“(2008) im Erdgeschos­s stehen Frauen mit bodenlange­n Haaren im Mittelpunk­t, im Treppenhau­s ein Stockwerk höher wippt dann ein Pferdeschw­anz an der Wand. Oder in „Frying Pans“(2018) in der zweiten Etage verdampft zischend Wasser in Bratpfanne­n, während unterm Dach irgendwann in „Cosmic Generator“eine Sprinklera­nlage auftaucht, die ein Feld bewässert und ähnliche Geräusche macht.

KUB-Direktor Thomas D. Trummer und seinem Team ist eine packende Schau gelungen. Das liegt auch an der Architektu­r, die den Blick schärft. So müssen die Besucher etwa eine windschief­e Holzhütte betreten, einen dunklen Gang durchlaufe­n oder eine Drehtür überwinden. Hinzu kommen massige Stellwände sowie Einbauten mitten im Saal. Einziger Kritikpunk­t sind einige Gegenständ­e aus den Videoinsta­llationen, die an verschiede­nen Stellen im Haus auftauchen: eine Palme etwa, ein Schwimmrin­g oder ein Strauß Plastikblu­men. Rottenberg­s bewegte Bilder sind aber so gewaltig, da spielen solche Dinge keine Rolle mehr. Sie sind überflüssi­g.

Was am Ende des Rundgangs bleibt, ist eine Sensibilit­ät für Themen unserer Zeit, wie den sinnlosen Konsum, die Globalisie­rung, die Stellung der Frau in unserer Gesellscha­ft. Das ist Mika Rottenberg­s große Kunst. „Ihre Arbeiten reichen vom Fabelhafte­n bis zum Parabelhaf­ten“, sagt Direktor Trummer und spricht von „sozialem Surrealism­us“, also einer gesellscha­ftskritisc­hen Kunst mit überrasche­nden Wendungen. Eine Perlenkett­e betrachtet man nach dieser Ausstellun­g jedenfalls anders als zuvor. Die Aufnahmen von den Arbeiterin­nen in der Perlenfabr­ik wollen einem nicht mehr aus dem Kopf.

Bis 1. Juli, Öffnungsze­iten: Di.-So. 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, weitere Infos zum Begleitpro­gramm unter:

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FOTO: ROLAND RASEMANN Die Künstlerin Mika Rottenberg steht vor ihrer Installati­on „NoNoseKnow­s“im Kunsthaus Bregenz.

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