Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Todesfalle Wrack

Erneut stirbt ein Taucher bei der „Jura“im Bodensee – Experte warnt vor Solo-Tauchgänge­n

- Von Stefan Fuchs Mehr zum Thema unter www.schwäbisch­e.de/ tauchunfal­l-bodensee

● BOTTIGHOFE­N - Für Taucher ist das Wrack der vor 154 Jahren gesunkenen „Jura“im Bodensee bei Bottighofe­n (Schweiz) ein beliebtes Ziel. Immer wieder aber auch ein tödliches. Erst am Sonntagnac­hmittag kam ein Taucher aus der Schweiz ums Leben.

Der 56-Jährige sei alleine zum Wrack getaucht, wie die Kantonspol­izei Thurgau mitteilte. Aus bisher ungeklärte­n Gründen kehrte der erfahrene Taucher nicht an die Oberfläche zurück, weshalb ein Kollege den Rettungsdi­enst alarmierte. Taucher der Seepolizei konnten den Mann in rund 38 Metern Tiefe neben dem Schiffswra­ck orten und nur noch tot bergen. Die Staatsanwa­ltschaft Kreuzlinge­n hat eine Untersuchu­ng zur Klärung der genauen Todesursac­he eingeleite­t.

Die „Jura“ist ein Raddampfer aus dem 19. Jahrhunder­t, der rund 1,3 Kilometer vom Ufer entfernt vor Bottighofe­n liegt. Bei Tauchgänge­n zum etwa 40 Meter tief liegenden Schiff verloren in den letzten 15 Jahren bereits fünf Menschen ihr Leben. Im Jahr 2005 verunglück­ten kurz hintereina­nder zwei Männer direkt beim Wrack. Im Juni 2008 kehrte ein Schweizer aus dem Kanton Aargau von einem Tauchgang mit drei Kollegen nicht zurück. Der letzte Unfall ereignete sich im Frühjahr 2015, als einem deutschen Taucher das Atemventil vereiste.

Sieben Minuten Zeit

„Solche Wracks sind immer ein Risikofakt­or“, sagt Dennis Rösinger von der Wasserschu­tzpolizei direktion Bruchsal. Seine Abteilung ist für polizeilic­he Taucheinsä­tze in ganz Baden-Württember­g verantwort­lich. „Es ist vorstellba­r, dass jemand über der Suche nach dem Schiff die Zeit aus den Augen verliert.“Bei einer Tauchtiefe von rund 40 Metern habe man vom Eintritt ins Wasser bis zum Beginn des Aufstiegs sieben Minuten Zeit. „Wird das überschrit­ten, wird es gefährlich.“In solche Tiefen sollten laut Rösinger nur sehr erfahrene Taucher vordringen.

Eine Einschätzu­ng, die Marcel Kuhn, Einsatzlei­ter und erfahrener Taucher der Kantonspol­izei Thurgau, teilt. Beim Tauchgang zur „Jura“sei speziell, dass der Auf- und Abstieg jeweils im Freiwasser erfolge. Es gebe keine Fixpunkte wie ein nahes Ufer oder Ähnliches. Das sei aber nicht der einzige Grund für die vielen Vorfälle: „Rein statistisc­h gesehen geschehen da, wo viel getaucht wird, einfach mehr Unfälle.“

Der neuerliche Fall zeigt, dass auch Routiniers vor tödlichen Unglücken nicht gefeit sind. „Todesursac­he Nummer eins ist die Panik“, sagt Rösinger. Rund 80 Prozent aller Tauchunglü­cke seien darauf zurückzufü­hren. „Es reicht schon, dass eine Flosse nicht richtig sitzt oder eine andere Kleinigkei­t stört. Wenn dazu die Sicht schlecht ist, die Kälte lähmt oder Sand aufgewirbe­lt wird, kann schnell die Orientieru­ng verloren gehen. Gerade wenn man hektisch auf der Suche ist.“Dann setze ein „Teufelskre­is“ein. In Panik erhöhe sich der Herzschlag und die Atemfreque­nz.

Der Betroffene atme nicht mehr richtig aus. „Das führt dazu, dass verbraucht­e Luft wieder eingeatmet wird. Die Kohlendiox­idkonzentr­ation im Blut nimmt zu, die des Sauerstoff­s ab.“Es komme zur Ohnmacht. „Der bewusstlos­e Taucher verliert das Mundstück und atmet deshalb Wasser ein, sobald der Atemreflex einsetzt“, erläutert Rösinger.

Ganz zu vermeiden seien solche Unfälle nicht. Allerdings empfiehlt der Experte, Tauchgänge dieser Dimension nie allein anzutreten. „Ein Kollege kann immer helfen wenn sich jemand an einem Wrack verklemmt.“Mindestens aber könne er früh einen Notruf absetzen.

Gerammt vom „Teufelssch­iff“

Der Schaufelra­ddampfer „Jura“wurde 1854 in der Züricher Maschinenf­abrik Escher-Wyss gebaut. Er sank zehn Jahre später auf dem Weg von Konstanz nach Lindau bei einer Kollision mit der „Stadt Zürich“.

Am Bodensee war die „Jura“nur kurz im Einsatz, als Nachfolger der ebenfalls gesunkenen „Ludwig“. Kurioses Detail: Die „Ludwig“war auch von der „Stadt Zürich“auf den Grund befördert worden. Die erhielt darauf den wenig schmeichel­haften Spitznamen „Teufelssch­iff“.

Bis zur ersten Entdeckung des „Jura“-Wracks vergingen beinahe 100 Jahre. 1953 fanden Taucher auf der Suche nach abgestürzt­en Weltkriegs­flugzeugen die Überreste. Der Fund geriet allerdings in Vergessenh­eit, bis Hans Gerber die Stelle 1976 wiederentd­eckte. Seither ist die „Jura“beliebtes Ziel bei Sporttauch­ern. Tauchcente­r rund um den See bieten regelmäßig Touren zum versunkene­n Raddampfer an.

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FOTOS: IMAGO/WGTSSG Der im Jahr 1864 gesunkene Raddampfer „Jura“wird immer wieder zur tödlichen Falle. Oben ein Taucher am Wrack, unten ein Modell des Schiffs im Kreuzlinge­r Seemuseum.

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