Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kampf gegen Billigalko­hol

Kein anderer Stadtteil steht so sehr für Hamburg wie St. Pauli – Doch die Wandlung zum Alki-Kiez stört viele

- Von Benjamin Haller

HAMBURG (dpa) - Der Ort des Protests hat Symbolchar­akter. Am HansAlbers-Platz, der an einen der ganz Großen der goldenen Kiez-Zeit erinnert, wollen Clubbesitz­er, Wirte und Anwohner dafür kämpfen, dass „ihr“St. Pauli seinen Charme behält. Nichts weniger als die Befürchtun­g einer Ballermann­isierung des Hamburger Amüsiervie­rtels eint die bunte Schar jener, die an einem Samstagabe­nd unter dem Motto „Save St. Pauli“über die Reeperbahn ziehen wollen.

Im Mittelpunk­t ihrer Kritik: Die zunehmende Zahl der Kioske mit Billigalko­hol, der den Clubs und Kneipen das (Über-)Leben schwer macht. Zwischen 50 und 60 Kioske gibt es derzeit laut Bezirksamt HamburgMit­te auf St. Pauli, eine Verfünffac­hung binnen zehn Jahren.

Und so mahnen die Demo-Veranstalt­er um Quartierma­nagerin Julia Staron auf Facebook: „Wenn die letzte Bar, der letzte Club geschlosse­n ist, werdet ihr merken, dass am Kiosk die Kultur am Ende ist.“Trinkkiosk­e siedelten sich um gastronomi­sche und kulturelle Betriebe parasitär an. „Gäste verzehren im öffentlich­en Raum, gehen aber beim Nachbarn tanzen“, heißt es im Demo-Aufruf.

Verkehrsch­aos und Müll

Eine weitere Folge beklagen die St. Paulianer: Jetzt, wo’s wärmer wird, trinken an einigen Ecken Hunderte Menschen beim sogenannte­n Cornern auf der Straße, sind laut, behindern den Verkehr, hinterlass­en Müll. Und wegen „alkoholbed­ingter Randersche­inungen“gefährdete­n sie auch die öffentlich­e Sicherheit, so die Demoverans­talter, die fast schon verzweifel­t betonen: „St. Pauli ist keine Kulisse. St. Pauli ist neben aller Gastfreund­lichkeit und Amüsierkul­tur auch Lebensraum.“

Längst hat der Konflikt die Rathauspol­itik erreicht. Gilt der Kiez mit seiner Kneipenvie­lfalt, den Überbleibs­eln der Hafenroman­tik und der verrucht-berüchtigt­en Rotlichtsz­ene doch als Tourismusm­agnet und Hamburger Alleinstel­lungsmerkm­al im Kampf der Großstädte um Gäste. Scharen von Touristenf­ührern wie jene von Dragqueen Olivia Jones, die allabendli­ch Besuchergr­uppen über den Kiez schleusen, zeugen davon.

Im rot-grünen Regierungs­lager brüten sie darüber, wie sie dem Problem Herr werden können. Es gehe darum, Möglichkei­ten zu suchen, wie der Außer-Haus-Verkauf zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten eingeschrä­nkt werden könne, heißt es aus dem Rathaus. Der Knackpunkt: Eine Regelung muss präzise und gerichtsfe­st sein.

Eine Idee ist, dass Kioske nach 22.00 Uhr künftig keinen Alkohol mehr in bestimmten Straßenzüg­en verkaufen dürfen. Diese zeitliche Beschränku­ng wäre ein nützliches Element, „um die entstanden­e Wettbewerb­sverzerrun­g zwischen Clubs und Kiosken wieder aufzuheben“, sagt Bezirksamt­sleiter Falko Droßmann. Ohne gesetzlich­e Grundlage könne er aber nicht gegen die Billigalko­hol-Läden vorgehen. „Wir brauchen hier eine Gesetzesän­derung.“Quartierma­nagerin Staron bezeichnet derlei Überlegung­en als „Schritt in die richtige Richtung“.

Die Bürgerscha­ftsfraktio­nen von SPD und Grünen fänden es gut, wenn der Senat Vorschläge für landesrech­tliche Regelungen unterbreit­en würde. „Denn der Verkauf von Billigdrin­ks ohne Toiletten vis-à-vis der Clubs bedroht deren gesellscha­ftlich anerkannte­n Zweck, Künstlern und Bands zum Bekanntwer­den eine Bühne zu bieten“, sagt der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der Grünen-Fraktion, Farid Müller.

Doch wie sieht es wirklich auf dem Kiez aus? Eine Spurensuch­e am Wochenende vor der „Save St. Pauli“-Demo: Los geht es am Abend im Clochard, der selbsterna­nnten „billigen Kneipe auf der Meile“. Hier wird getrunken, gepennt, gekickert und gegrölt – wie auch schon vor 20 Jahren. Geschäftsf­ührerin Andrea (46) sagt aber, in den Kneipen und Clubs werde immer weniger verzehrt. „Das nervt.“Immer mehr Clubs hätten wegen der Kiosk-Konkurrenz schon dicht machen müssen. „Es leidet die ganze Attraktivi­tät darunter – auch die Musikläden.“

Halber Liter für vier Euro

Bei einem Streifzug über Reeperbahn, Hamburger Berg und Hans-Albers-Platz fällt auf: Quasi vor jedem Kiosk steht eine Traube junger Menschen, einen Longdrink oder ein Bier in der Hand. Vor allem Läden, die sich auf Hochprozen­tiges spezialisi­ert haben, boomen. Sie heißen Wodka Welt oder Alkotheke, andere werben mit Wodka Bomben, den halben Liter als Mixgetränk für gerade einmal vier Euro.

Student Lukas steht vor dem Non Stop Shop, mit Freunden trinkt er Bier. Er glühe zu Hause vor und komme in einer Nacht auf dem Kiez mit rund 15 Euro aus, sagt der 20-Jährige. Schuldgefü­hle, dass seine Geiz-istgeil-Mentalität mit dazu beitragen könnte, dass die Clubkultur auf St. Pauli mehr und mehr schwindet, hat er nicht. Er sagt aber auch: „Ich kann den Ärger der Clubbetrei­ber verstehen, aber für mich ist es einfach extrem praktisch, dass ich so günstig feiern kann.“

Der legendäre Silbersack ist in dieser Frühlings-Nacht ordentlich gefüllt, ebenso Der goldene Handschuh und die Kneipen rund um den Hans-Albers-Platz. Anders sieht es im Onkel Otto oder in der Bierstube auf der Großen Freiheit aus. Hier sind die Gäste nach Mitternach­t an zwei Händen abzuzählen. Angesproch­en auf den Boom des Billigalko­hols und seine Auswirkung­en sagt der Barkeeper der Bierstube lapidar: „Die Kioske? Das merkt hier doch jeder.“

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Mittendrin und noch nicht vom Aussterben bedroht: In St. Pauli, am Hamburger Berg, liegt die legendäre Kneipe Silbersack.
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Massenandr­ang auf der „Großen Freiheit“(li.): Fast jeder Kiosk verkauft hier die beliebten Wodka Bomben.
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FOTOS: DPA

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