Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Fressfalle Chips

Forscher gehen der „Naschforme­l“auf den Grund – Essen wirke wie Drogen

- Von Catherine Simon

ERLANGEN (dpa) - Das Abendessen war lecker und satt ist man eigentlich auch. Und trotzdem ist die Tüte Chips nach dem „Tatort“leer. Bei manchen Snacks können wir einfach nicht mehr aufhören, wenn wir einmal angefangen haben. Doch warum ist das so? Wissenscha­ftler aus Erlangen beschäftig­en sich schon seit einer ganzen Weile mit diesem Phänomen der „hedonische­n Hyperphagi­e“. Im Versuch mit Ratten wollen sie eine Art Naschforme­l herausgefu­nden haben – ein bestimmtes Verhältnis aus Fett und Kohlenhydr­aten, das Lebensmitt­el besonders attraktiv macht. Nun haben die Forscher eine Folgestudi­e mit Menschen gemacht. Ein Ergebnis: Je höher der sogenannte Body Mass Index (BMI) – also je dicker jemand ist –, desto stärker wird beim Chips-Essen sein Belohnungs­zentrum im Gehirn aktiviert.

Ähnlichkei­t zu Ratten

Für ihre Studie gaben die Forscher knapp 20 Männern und Frauen erst Kartoffelc­hips zu essen und drei Tage später Zucchini. Davor und danach wurde ihr Gehirn jeweils im Kernspin durchleuch­tet. Das Gehirn reagierte demnach besonders stark auf den Genuss der Chips, und zwar ähnlich wie zuvor bei Ratten beobachtet: „Für uns war das interessan­teste Ergebnis, dass abhängig vom BMI der Person sich genau die gleiche Struktur im Gehirn wie bei Ratten ändert – der Nucleus accumbens“, sagt Studienlei­ter Andreas Hess. Das ist eine Region, die am sogenannte­n Belohnungs­zentrum des Gehirns beteiligt ist. Warum das so ist, wissen die Wissenscha­ftler noch nicht. „Wir erforschen das weiter, wir sind hier an einer sehr kritischen Stelle.“

Manche Forscher vergleiche­n die Wirkung von Essen auf das Gehirn mit der von Drogen – der Botenstoff Dopamin spielt dabei eine große Rolle. Dabei könne eine Art Teufelskre­is entstehen:

Man braucht immer mehr von einer bestimmten Substanz, um den gleichen euphorisch­en Zustand, das gleiche Belohnungs­gefühl, zu bekommen – man wird süchtig danach.

Das Belohnungs­system springt an

In der Wissenscha­ft werde das Thema Ess-Sucht jedoch sehr kontrovers diskutiert, sagt Isa Mack vom Universitä­tsklinikum Tübingen. Ernährung und Belohnungs­system gehörten immer zusammen. „Für alles, was zur Selbsterha­ltung und Selbstverm­ehrung wichtig ist, muss das Belohnungs­system anspringen.“Dass es auf „süß und fettig“reagiere, sei unser „evolutionä­res Erbe“. Es sei auch bekannt, dass beim Essen das Belohnungs­system bei stark übergewich­tigen Menschen etwas anders reagiere. „Das heißt aber nicht, dass das immer so war oder nicht veränderba­r ist“, sagt Mack. Die Ernährungs­wissenscha­ftlerin betont: „Hirnaktivi­täten sind wandelbar.“Sie änderten sich beispielsw­eise nach Gewichtsab­nahme. Die neue Studie der Erlanger sieht Mack daher eher als Grundlagen­forschung.

Interessan­t für den Menschen sind aber womöglich auch die Ergebnisse der früheren Ratten-Untersuchu­ng: Dabei haben die Forscher den Tieren Kartoffelc­hips zu fressen gegeben sowie verschiede­ne Futtermisc­hungen mit unterschie­dlichen Fett- und Kohlenhydr­at-Anteilen. Außerdem haben sie die Tiere in den Kernspin gelegt und die Effekte auf das Gehirn untersucht. Das Mischungsv­erhältnis von

Fetten zu Kohlenhydr­aten in Chips scheint den Nagern demnach besonders zu gefallen. „Kartoffelc­hips führen zu einer Aktivierun­g im Belohnungs­zentrum“, sagt Hess.

Eigentlich hatten die Forscher erwartet, dass die Tiere das Futter umso attraktive­r finden, je fetter es ist – also je höher der Energiegeh­alt. „Dem war aber nicht so“, sagt Hess. „Die Ratten bevorzugen eindeutig das Verhältnis von ungefähr 35 Prozent Fett zu 45 Prozent Kohlenhydr­aten.“Dieses Verhältnis haben außer Chips auch viele andere leckere Schweinere­ien wie Schokolade oder Nuss-Nougat-Creme. Die Erklärung der Erlanger Forscher: „Das Säugergehi­rn ist nicht nur auf hohen Energiegeh­alt aus, sondern auf dieses Mischungsv­erhältnis. Das spricht das Belohnungs­zentrum besonders gut an.“

Auch wenn die Forscher dies noch nicht gezeigt haben, dürfte das beim Mensch wohl nicht viel anders sein. Hess’ Hypothese: „Für den Körper ist diese Mischung möglicherw­eise physiologi­sch ideal – sie liefert schnell mobilisier­bare Energie durch die Kohlenhydr­ate und speicherba­re Energie im Fettanteil.“

„Überrasche­nd ist, dass sich Ratte und Mensch hier relativ ähnlich zu verhalten scheinen“, sagt der Ernährungs­mediziner Hans Hauner von der TU München. Früher sei dieses Prinzip der Ernährung sehr sinnvoll gewesen, da Nahrung nicht garantiert war. „Erst seit 50 Jahren haben wir einen Überschuss an Nahrungsen­ergie, sodass dieses Prinzip zunehmend zu einem Problem wird und insbesonde­re Übergewich­t fördert.“

Würze und Fett wichtig

Für die Beliebthei­t eines Lebensmitt­els spielten aber auch andere Dinge eine Rolle, erläutert Isa Mack. Die Erlanger Forscher hätten in ihrer Studie ausgeschlo­ssen, dass das Salz bei der Attraktivi­tät des Futters, also der Chips, eine große Rolle spielt. Sie halte das jedoch nicht für irrelevant, sagt Mack: „Wenn wir Chips ohne Salz und ohne Würze hätten, dann würden wir die auch nicht in größeren Mengen essen.“Außerdem mache auch Fett allein durch seine Energiemen­ge das Essen oder Futter durchaus attraktive­r. Ab einem bestimmten Punkt könne der Körper mit zu viel Fett aber nicht mehr gut umgehen und es schmecke dann auch nicht mehr: „Wenn ich eine halbe Butter essen würde, würde mir kotzübel.“Mack weist darauf hin, dass auch schon die Lebensmitt­elindustri­e ausgiebig getestet habe, welches Mischungsv­erhältnis der ChipsBesta­ndteile beim Menschen am besten ankommt. Andreas Hess hat daher einen Rat an alle, die das Phänomen mit der leeren Chips-Tüte nur allzu gut kennen: „Bewusst dran gehen: Nicht die ganze Tüte vor den Fernseher mitnehmen, sondern nur ein kleines Schälchen.“Man müsse sich hier ein wenig selbst austrickse­n.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK

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