Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Kleine Welt an Bord, große Kunst an Land

Während der Flussschif­fsreise nach Holland und Belgien macht sich ein starkes Gefühl von Geborgenhe­it breit

- Von Birgit Kölgen

● ine Kreuzfahrt, das Meer, die Weite – ich liebe es. Aber jetzt bin ich an Bord eines Flussschif­fes, schippere also immer am Ufer lang. Die 135 Meter lange „A-Rosa Silva“tuckert mit 175 Passagiere­n gemächlich von Köln über den Rhein, das Ijsselmeer und durch das Rhein-Maas-Schelde-Delta nach Holland und Belgien. Ob so etwas Madame gefällt?

Tag 1: Das Einschiffe­n geht flott. Mit dem Koffer über die Gangway gleich aufs Deck mit dem wetterfest­en Rasenteppi­ch, wo am Planschpoo­l ein Begrüßungs­foto gemacht wird. Ich möchte keine Bowle und trinke erst mal einen Filterkaff­ee im Restaurant. An Deck ist Cruise-Manager Atze aus Potsdam zum Frohsinn entschloss­en, und DJ Kay, „stets gut gelaunt“, legt kölsche Stimmungsl­ieder auf. Wir zuckeln los, vorbei am Kölner Dom, es gibt Freibier. Ich gehe in meine Kabine. Rheinwiese­n im Abendlicht. Eine Reiterin am Deich. Vögel auf der Sandbank. Keine Internetve­rbindung. Ich schiebe das Fenster auf. Das Wasser gluckert, die Schiffsmas­chine brummt. Frieden.

EAlles kann, nichts muss

Tag 2: Gut geschlafen habe ich mit dem Gefühl, in einer sanft schaukelnd­en Wasserwieg­e zu liegen. Es regnet. Das Markermeer, der südliche Teil des Ijsselmeer­s, dehnt sich grau bis an den vernebelte­n Horizont aus. Fühlt sich an wie das richtige Meer, obwohl es ein See ist. Das Schiff tuckert langsam dahin wie die Zeit, die man gewinnt, so ohne Mission und ohne die üblichen Möglichkei­ten, den Tag mit Bedeutung zu erfüllen. Die Welt an Bord ist klein. Ich könnte mich ein wenig auf dem Laufband abstrampel­n. Aber dann sitze ich lieber in der Lounge und trinke Cappuccino. „Alles kann, nichts muss“, ist die Parole. Als wir mittags in dem nordhollän­dischen Städtchen Hoorn anlegen, verlässt jeder nach Lust und Laune das Schiff, um einen Spaziergan­g zu machen. Ohne die Gemächlich­keit der Flusskreuz­fahrt hätte ich mein Leben lang keine „superlekke­re Aardbeeren“auf dem Markt von Hoorn genascht. Alles nicht so aufregend, aber auch nicht so aufgeregt. Und das tut mal richtig gut.

Tag 3: Heute liegen wir von früh bis spät am Hauptbahnh­of von Amsterdam. Es regnet, ich ziehe trotzdem los. Vor dem Central Coffeeshop sitzen morgens schon die Kiffer und grinsen in den grauen Sonntag. Überall wabern süßliche Düfte. Ich brauche andere Anregungen, um glücklich zu werden, und laufe zügig über den rummeligen Damrak und die lauschigen Grachten bis zum Rijksmuseu­m, wo ich mich für Rembrandts „Nachtwache“und Vermeers „Milchmädch­en“gerne in die Kassenschl­ange stelle. Nachher entdecke ich ein kreatives Restaurant (RED) an der Keizersgra­cht, wo sie zum Lunch Lobster Roll servieren – ein knackiges Brötchen mit frischem Hummer und einer Tüte Pommes. So unkomplizi­ert ist das junge Holland! Ganz besonders in Amsterdam.

Tag 4: Wir liegen vor Rotterdam, der kühlen Metropole der modernen Architektu­r, die sich nach den Verwüstung­en des Zweiten Weltkriegs ganz neu erfunden hat. Im hohen Bogen der 2014 eröffneten Markthalle (Architekt: Winy Maas) verbergen sich stylische Wohnungen. Die schräg gekippten Kubushäuse­r gleich davor sind ein Kultprojek­t der frühen 1980er-Jahre. Piet Blom entwarf sie als Bauskulptu­r. Wie man im beispielha­ften Museum House mit seinen spitzen Ecken, kippenden Wänden und steilen Treppen sehen kann, ging’s hier weniger ums menschlich­e Behagen. Das hole ich mir nachmittag­s an Bord beim Marmorkuch­en. Und wir fließen mit dem Wasser durch einige Schleusen weiter Richtung Belgien.

Tag 5: Heute summt den ganzen Tag dieses alte Chanson von Jacques Brel in meinem Kopf: „Ay, Marieke, Marieke“, die der Barde liebte „entre les tours de Bruges et Gand“. Zwischen den Türmen von Brügge und Gent hat sich viel geändert. Das einst so reiche und bedeutende Gent zeigt bröckelige Fassaden. Und doch gefällt mir der leicht morbide Charme dieser ostflämisc­hen Metropole viel besser als das allzu schnuckeli­ge Brügge, das seine Geschäfte mit dem Massentour­ismus macht, mit Kitsch handelt und mir an jeder Ecke „best Belgian chocolat“, Waffeln und Bier aufdrängen will. Müde kehre ich in den Schoß des Schiffes zurück. Heute Abend gibt’s „Cucina Italiana“und eine kleine Zaubershow. Manche sollen nachts noch auf dem windigen Sonnendeck getanzt haben. Wenn man Glück hat, heißt es, greift Kapitän Albert Jan van Elburg selbst zur E-Gitarre und rockt das Boot.

Tag 6: Ein ganzer Tag im blühenden Antwerpen: Da freut sich der Flaneur. Statt einen Ausflug zu buchen, laufe ich allein zum palastarti­gen Haus von Barockmeis­ter Rubens, folge dann dem Jazz von ein paar Straßenmus­ikern und laufe in die falsche Richtung. Aber ein Irrweg kann auch zu Entdeckung­en führen. Ich stärke mich an einer Bude mit Lizzy‘s köstlichen Fritten und finde zufällig das kuriose Museum der Familie Mayer van den Bergh, das Anfang des 20. Jahrhunder­ts eingericht­et wurde wie ein Renaissanc­ehaus – mit Rokoko-Salon. Auf dem Weg zurück zum Schiff genieße ich noch den Blick aus der zehnten Etage des mit Wellenglas verkleidet­en Museums aan de Stroom, kurz MAS. Spektakulä­r!

Rheingold auf den Wellen

Tag 7: Nach einem kleinen Spaziergan­g durchs verregnete Nijmegen legen wir schon mittags wieder ab – zur letzten Etappe. Vater Rhein hat uns wieder. Noch einmal spürt man die Geborgenhe­it eines Schiffes. Unter der Brücke von Emmerich kommt tatsächlic­h die Sonne zum Vorschein und zaubert Rheingold auf die Wellen. Die Liegestühl­e werden augenblick­lich benutzt, es gibt ja Decken. Morgen früh wird uns das Schiff in Köln wieder ausspucken, CruiseMana­ger Atze wird uns ein letztes Mal seinen Gruß „Bis denne, ciao, ciao!“zurufen. Ich gönne mir im Mini-Spa eine balinesisc­he Gesichtsma­ssage mit dem Titel „Meereswoge“und tröste mich am Dinnerbüff­et mit Tiramisu und Marillenkn­ödeln, die Chefkoch Klaus Hartwig zum Abschied reichlich serviert. In der Lounge spielt DJ Kay was von Andrea Berg, die bunten Lichter zucken in der Tanzecke. Madame ist zufrieden, und alles bleibt im Fluss.

Die Flusskreuz­fahrt „Kurs Amsterdam“mit der A-Rosa Silva führt 1228 Kilometer weit von Köln über Hoorn, Amsterdam, Rotterdam, Gent, Terneuzen, Antwerpen und Nijmegen zurück nach Köln. Das 186-Betten-Schiff befuhr unter anderem Rhein, Waal, Amsterdam-Rheinkanal, Markerund Ijsselmeer, Lek, Maas, die Kanäle Zuid Beveland und GentTerneu­zen sowie die Schelde. Es wurden elf Schleusen passiert. Die Recherche wurde unterstütz­t von A-Rosa Flusskreuz­fahrten.

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FOTOS: BIKÖ Eine der vielen kleinen Sensatione­n: Die A-Rosa Silva passiert die längste Hängebrück­e Deutschlan­ds.
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Architekto­nische Attraktion: Die Markthalle von Winy Maas in Rotterdam ist nicht weit von der Anlegestel­le des Flussschif­fs.

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