Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Ganz schön mutig

So kämpft Miss Albinismus Simbabwe gegen Vorurteile, Hass und Gewalt

- Von Philipp Hedemann in Harare, Simbabwe

D● u bist wunderschö­n. So wie du bist“, sagte ihre Mutter Sithembiso. Aber warum starrten die Menschen sie dann so an? Warum zeigten sie mit dem Finger auf sie? Warum tuschelten sie hinter ihrem Rücken? Warum ließen sie sie immer wieder spüren, was offensicht­lich war: dass Sithembiso ganz weiß und ganz anders ist. Hatte die Mutterlieb­e Sithembiso­s Mama lügen lassen? Sithembiso wollte es wissen. Im März nahm sie an der ersten Miss Albinismus Wahl in Simbabwe teil. Ihre Mutter hatte nicht gelogen. Sithembiso gewann. Das Bild der strahlende­n Siegerin ging um die Welt. Jetzt will die Studentin ihren neu gewonnenen Ruhm nutzen, um gegen Vorurteile, Hass und Gewalt zu kämpfen.

„Als ich klein war, habe ich Gott oft gefragt, warum ich so anders bin. Eine Antwort habe nie erhalten. Trotzdem habe ich mich so akzeptiert, wie ich bin. Ich wollte nie schwarz sein. Meine Familie hat mich dabei immer unterstütz­t“, erzählt Sithembiso Mutukura in Harare, der Hauptstadt Simbabwes.

Die Unterstütz­ung durch die eigene Familie ist in Afrika keine Selbstvers­tändlichke­it. Vor allem auf dem Land gilt ein Kind mit Albinismus oft noch als Fluch. Manche Mütter ertränken oder ersticken ihre weißen Babys oder setzen sie aus. Oft werden die Mütter von hellhäutig­en afrikanisc­hen Jungs und Mädchen von ihren Männern verlassen. Auch einige Mitglieder der Familie von Sithembiso­s Vater unterstell­ten der Mutter der künftigen Schönheits­königin, ihren Mann betrogen und das Kind mit einem „weißen Geist“gezeugt zu haben. „Meine Eltern hatten deshalb große Probleme. Aber sie haben sich nicht auseinande­rtreiben lassen“, berichtet die 22-Jährige, die zwei hellhäutig­e und zwei dunkelhäut­ige Geschwiste­r hat.

Sithembiso fürchtet sich nicht. Für Hunderttau­sende andere Afrikaner, bei denen aufgrund eines Gendefekts die Bildung des Pigments Melanin gestört ist, ist die Angst jedoch auch im Jahr 2018 ihr ständiger Begleiter. Es ist nicht nur die Furcht vor der Sonne. Ihre Strahlen schädigen die Augen der Menschen mit der Pigmentstö­rung, brennen ihnen dunkle Hautkrebsf­lecken in die helle Haut und lassen sie oft deutlich früher sterben. Doch es ist vor allem die Angst vor den Menschen, die viele der hellhäutig­en Afrikaner ein Leben in Dunkelheit und im Verborgene­n führen lässt.

Nach Angaben der Vereinten Nationen kam es in Afrika seit 2006 in 28 Ländern südlich der Sahara zu mehr als 600 Angriffen auf Menschen mit Albinismus. Die Dunkelziff­er dürfte deutlich höher liegen. Nachdem alleine in Malawi zwischen 2014 und 2016 nach Angaben von Amnesty Internatio­nal 18 Menschen mit Albinismus getötet worden sein sollen, erklärte UN-Albinimus-Beauftragt­e Ikponwosa Ero – die selbst unter dem Gendefekt leidet – dass ohne Gegenmaßna­hmen den rund 10 000 Menschen mit Albinismus in Malawi mittelfris­tig die „Auslöschun­g“drohe.

In Tansania wurden nach Schätzunge­n der UNO zwischen 2000 und 2015 mindestens 75 Menschen mit Albinismus getötet. Wunderheil­er hatten verbreitet, dass die Körperteil­e der hellhäutig­en Afrikaner reich machen könnten. Menschenjä­ger hackten ihnen daraufhin Hände, Arme, Zungen, Köpfe, Beine und Geschlecht­steile ab und zogen ihnen die Haut ab. Fischer glaubten, sie würden mit Gold gestopfte Fische fangen, wenn sie Fleisch oder Haare von Menschen mit Albinismus als Köder verwenden würden. Bergleute glaubten, dass das Gold einfach an die Oberfläche steigen würde, wenn sie den Schädel eines Menschen mit Albinismus auf die Mine legten. Bis zu 75 000 Euro wurde nach Schätzunge­n der Vereinten Nationen für eine Leiche gezahlt. Und selbst nach ihrem Tod fanden die hellhäutig­en Afrikaner keine Ruhe. Weil sich das Gerücht hielt, sie hätten Knochen aus Gold, wurden die Leichen aus den Gräbern gezerrt. Und noch immer spielen Menschen mit Albinismus in vielen afrikanisc­hen Filmen die Bösewichte, oft wird vor ihnen ausgespuck­t und sie werden als „Gehäutete“, „Niemand“oder „Geist“verhöhnt. In Simbabwe hat es Pogrome wie in Tansania oder Malawi nie gegeben. Und dennoch leiden vor allem in den ländlichen Gegenden des von Robert Mugabe zugrunde regierten Staates viele Menschen mit Albinismus unter Diskrimini­erung. Schönheits­königin Sithembiso Mutukura kennt die Vorurteile über die weißen Schwarzen. „Manche Männer glauben, dass Frauen mit Albinismus besonders gut im Bett seien. Das kann uns gefährlich werden. Andere glauben, dass der ungeschütz­te Verkehr mit uns HIV heilen kann“, berichtet Mutukura, die Soziale Arbeit in Harare studiert.

Probleme mit den Augen

An ihrer Uni fällt sie besonders auf. Denn viele Menschen mit Albinismus haben Probleme mit den Augen, können schon als Kinder die Buchstaben an der Tafel kaum entziffern, kommen deshalb in der Schule oft schlecht mit. Aus Unwissenhe­it wird das oft als Dummheit ausgelegt.

„Auch wenn es nicht einfach ist: Wir wollen unsere Schönheit zeigen. Wir sind keine Opfer. Wir sind genauso schön, genauso talentiert und genauso intelligen­t wie andere Menschen auch“, berichtet Brenda Mudzimu Chibvongod­ze, die die Misswahl in Harare organisier­t hat. Sie plant bereits eine Miss-Albinismus­Afrikaund eine Miss-Albinismus­World-Wahl.

Sithembiso Mutukura wäre für beide Wettbewerb­e automatisc­h qualifizie­rt. Auf Laufstegen und in Fotostudio­s sieht sie ihre Zukunft trotzdem nicht. „Ich will eines Tages UN-Sonderbots­chafterin gegen die Diskrimini­erung von Menschen mit Albinismus werden“, sagt die Schönheits­königin.

 ?? FOTO: PHILIPP HEDEMANN ?? Eine ungewöhnli­che Erscheinun­g: Sithembiso Mutukura, Miss Albinismus Simbabwe.
FOTO: PHILIPP HEDEMANN Eine ungewöhnli­che Erscheinun­g: Sithembiso Mutukura, Miss Albinismus Simbabwe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany