Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Bolls ewige Lücke

37-jähriger Tischtenni­sroutinier peilt WM-Titel an

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HALMSTAD (dpa) - Hätte Timo Boll einen Briefkopf, so wie Fußballclu­bs ihn haben, dann bliebe für den Brief als solchen nicht mehr viel Platz. Der erfolgreic­hste deutsche Tischtenni­sspieler gewann bereits 17 Europameis­ter-, zwei World-Cupund fünf Champions-League-Titel. Nur Tischtenni­s-Weltmeiste­r ist Boll in seiner Karriere nie geworden. Oder wie man mittlerwei­le wohl wieder sagen muss: Noch nicht geworden.

Am Sonntag beginnt im schwedisch­en Halmstad die Mannschaft­sWM – und im Alter von 37 Jahren bietet sich Boll noch einmal die Chance auf einen lange nicht mehr für möglich gehaltenen Triumph. Denn an der Spitze der Setzliste stehen nicht mehr die vermeintli­ch unschlagba­ren Chinesen, sondern das deutsche Team mit dem Weltrangli­sten-Zweiten Timo Boll und dem Weltrangli­sten-Dritten Dimitrij Ovtcharov.

„Ich hätte den WM-Titel schonmal gerne gewonnen und möchte ihn noch immer gerne gewinnen“, sagte Boll. Wobei – und diese Aussage ist typisch für diesen so erfolgreic­hen aber auch in sich ruhenden Sportler: Der fehlende WM-Titel „ist eine Lücke in der Statistik. Aber keine Lücke in meiner Erfüllung.“

Weltmeiste­r mit 37 – wie soll das gehen? Die Antwort ist zumindest vordergrün­dig recht einfach: Wenn jemand mit 36 die Nummer eins der Weltrangli­ste wird, dann kann er auch mit 37 noch Weltmeiste­r werden. Leistungsm­äßig ist Boll den besten Chinesen zuletzt so nahe gekommen, wie das im Alter von 31 oder 32 selbst ihm persönlich noch undenkbar erschien.

„Ich dachte schon vor fünf Jahren: Das ist jetzt meine letzte Chance“, sagte Boll. „2016 zum Beispiel hatte ich im olympische­n Jahr das Gefühl: Ich bin eine Klasse schlechter als ein Ma Long oder ein Fan Zhendong. Ich sah damals die Olympia-Auslosung, wusste, dass ich auf Ma Long zulaufe und war mir sicher: Der MedaillenT­raum ist für mich gestorben.“Mittlerwei­le hat er den Olympiasie­ger aus China beim World Cup 2017 geschlagen und in der Weltrangli­ste überholt.

Die Frage ist deshalb auch: Eine solche Entwicklun­g mit 37 – wie konnte das passieren? Wie kann der Leistungss­port immer schneller und ausgefeilt­er werden und gleichzeit­ig den 36 Jahre alten Roger Federer auf Position zwei der Tennis-Weltrangli­ste und den 37 Jahre alten Timo Boll auf Position zwei der Tischtenni­sWeltrangl­iste führen?

„Keiner streitet mein Talent oder meine Fähigkeite­n ab. Körperlich habe ich mich auch ganz gut gehalten“, erklärte Boll. „Ich habe mich gut auf die neuen Bälle eingestell­t und kann durch meine Erfahrung, durch Taktik und die Platzierun­g der Bälle die brutalen Bewegungen gut umgehen. So ist diese Entwicklun­g entstanden. Auch wenn ich sie für mich persönlich nicht mehr für realistisc­h gehalten habe.“

Und so ist auch der WM-Titel auf einmal wieder ein realistisc­hes Ziel. Auch wenn Richard Prause, der Sportdirek­tor des Deutschen Tischtenni­s-Bundes, sagt: „Eine Setzung gewinnt noch keine Medaille.“

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FOTO: DPA Fokussiert: Timo Boll.

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