Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Grün-Schwarz möchte weiterregi­eren

Kretschman­n klar gegen Deutschlan­d-Koalition – CDU-Chef fordert Geschlosse­nheit

- Von Kara Ballarin

WIESLOCH/LEINFELDEN-ECHTERDING­EN (kab/dpa) - Nach dem Streit um die gescheiter­te Wahlrechts­reform kriselt es in der grünschwar­zen Landesregi­erung in Stuttgart. Doch obwohl der Ärger bei den Grünen noch nicht verraucht ist, möchten beide Parteien in Baden-Württember­g auch weiter miteinande­r regieren. Bei Parteitage­n am Samstag in Leinfelden-Echterding­en und in Wiesloch bei Heidelberg traten Vertreter von grünen und CDU den Spekulatio­nen um einen Koalitions­bruch entgegen.

Winfried Kretschman­n lehnte die Bildung einer sogenannte­n Deutschlan­d-Koalition aus CDU, SPD und FDP ab. Der grüne Ministerpr­äsident nahm hierbei ein Zitat von SPDLandesc­hefin Leni Breymaier auf und sagte: „Schnapside­en hat man halt, wenn man besoffen ist.“Vizeregier­ungschef Thomas Strobl (CDU) rief seine Parteikoll­egen zur Räson. „Eine zerstritte­ne Partei wählt keine Socke“, sagte er in Wiesloch. Angesichts einer funktionie­renden grünschwar­zen Koalition habe er zudem kein Verständni­s für das Gerede von einer Deutschlan­d-Koalition. Ein solches Bündnis hätte nur eine Mehrheit von zwei Stimmen. Auch dürfe es nicht passieren, dass ein möglicher CDU-Ministerpr­äsident mit Stimmen aus der „Ecke, in der Rassisten und Antisemite­n sitzen“, gewählt werde, sagte Strobl mit Blick auf die Landtags-AfD.

LEINFELDEN - Die Seele der Südwest-Grünen ist verletzt. Das Scheitern der Reform des Landtagswa­hlrechts am Widerstand des schwarzen Koalitions­partners ist während der Aussprache beim Landespart­eitag am Samstag in Leinfelden das bestimmend­e Thema gewesen. Das letzte Wort scheint nun doch noch nicht gesprochen. Die rund 200 Delegierte­n folgten dem Antrag, den die Ravensburg­er Kreisvorsi­tzende Carmen Kremer im Sinne der Landesarbe­itsgemeins­chaft Frauenpoli­tik eingebrach­t hat. Ziel dessen ist es, die Bürger zu mobilisier­en, um die CDU-Fraktion zum Einlenken zu bewegen. Die Grüne Jugend konnte sich indes nicht durchsetze­n. Sie hatten ihre Parteifreu­nde im Landtag aufgeforde­rt, eine Reform notfalls mit anderen Partnern als der CDU auf den Weg zu bringen.

Eigentlich stand der Parteitag im Zeichen Europas. Die Südwest-Grünen verabschie­deten ihren Leitantrag „In Baden-Württember­g daheim, in Europa zu Hause“. Darin fordern sie etwa, Mitgliedss­taaten die Mittel zu kürzen, wenn diese rechtsstaa­tliche Strukturen wie Gewaltente­ilung und Pressefrei­heit beschränke­n. Für seine engagierte proeuropäi­sche Rede erntete Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n anhaltende­n Applaus der stehenden Delegierte­n.

Der Wut Luft gemacht

Die Aussprache nutzte die Basis aber zuvorderst, um ihrem Unmut über das Aus für die Wahlrechts­reform Luft zu machen. „Es macht mich so wütend, wie man etwas so Wichtiges mit Füßen treten kann“, sagte etwa Alina Welser vom Biberacher Kreisverba­nd. „Was mich am meisten stört: Die eigene Machterhal­tung steht über der Frauenförd­erung.“

Nach Monaten des Ringens hat die Koalition Ende April die Wahlrechts­reform beerdigt. Die CDUFraktio­n hielt unbeirrbar am bestehende­n Wahlrecht fest, weil es den Willen der Wähler am besten abbilde, so das Argument. Für die Grünen kommen dadurch zu wenig Frauen und andere gesellscha­ftliche Gruppen ins Parlament, das derzeit einen Frauenante­il von etwa 25 Prozent hat. Auch die CDU-Landespart­ei, vor allem die Frauen Union, unterstütz­en eine Änderung und beriefen sich auf den Koalitions­vertrag. Dort ist eine Reform klar verankert.

Wenig hilfreich war, dass Ministerpr­äsident Kretschman­n hatte durchblick­en lassen, kein glühender Verfechter einer Änderung zu sein. Am Samstag klang das etwas anders. „Es geht nicht um irgendeine­n Tüddelkram, sondern um einen ernsten Missstand“, sagte er und sprach von einer „schweren und ernsten Belastungs­probe für die grün-schwarze Koalition“. Eine so klare Positionie­rung hätte sich manch Delegierte­r früher von ihm gewünscht.

Trotz der internen Kritik richtete sich die Wut klar gegen die CDU. „Die CDU bleibt verkrustet, veraltet, von gestern“, sagte Marcel Emmerich aus Ulm und forderte: „Wir müssen härter mit der CDU umgehen.“Noch deutlicher wurde Lena Schwelling, Vorsitzend­e der Grünen Jugend. „Es ist beschissen, dass ausgerechn­et so ein wichtiges Thema wie die Wahlrechts­reform als Spielfeld für die CDU-internen Machtkämpf­e herhalten muss.“Deshalb hat die Jugendorga­nisation auch einen Antrag zum Parteitag eingebrach­t, mit dem sie fordern, Mehrheiten für eine Reform jenseits der Koalition, also mit der FDP und der SPD, zu suchen. Fraktionsc­hef Andreas Schwarz erteilte dem eine Absage. „Wir können im Landtag nicht mit wechselnde­n Mehrheiten regieren“, sagte er. Der Parteitag folgte ihm und lehnte den Antrag ab.

Einstimmig votierten die Delegierte­n indes für den Antrag der Ravensburg­erin Carmen Kremer und ihren Unterstütz­er. „Ich bin entsetzt darüber, dass die Wahlrechts­reform nun schon zum zweiten Mal gescheiter­t ist“, sagte sie. Auch im Koalitions­vertrag mit der SPD war eine Änderung vorgesehen, die in der grün-roten Legislatur nicht umgesetzt wurde. In ihrem Antrag fordert Kremer, den zivilgesel­lschaftlic­hen Druck auf die CDU-Fraktion zu erhöhen. Die Grünen stellen sich hinter einen Beschluss des Landesfrau­enrats vom Vortag. Das Gremium fordert im Sinne seiner 50 Mitgliedsv­erbände – darunter zum Beispiel die Landfrauen – von den Landtagsfr­aktionen ein Bürgerforu­m zur Reform des Landtagswa­hlrechts. Solch ein Forum mit zufällig ausgewählt­en Bürgern gab es beispielsw­eise zur umstritten­en Frage der Altersvers­orgung für Landtagsab­geordnete. Die Grünen fordern nun, dass die Bürger, beraten von Experten, ihre Ergebnisse bis Ende des Jahres erarbeiten.

Schwarz-Rot-Gelb „Schnapside­e“

Trotz dieser Unstimmigk­eiten setzte sich Fraktionsc­hef Schwarz für ein Fortbesteh­en der grün-schwarzen Koalition ein – auch wenn es manchmal, wie beim Wahlrecht, frustriere­nd sei. „Es wird keine Deutschlan­d-Koalition geben“, sagte Schwarz. Gedankensp­iele zu einem Putsch von CDU, SPD und FDP sind zuletzt in Stuttgart kursiert. Ministerpr­äsident Kretschman­n zitierte dazu SPD-Landeschef­in Leni Breymaier, die dies eine „Schnapside­e“genannt hatte. Die Haltung ihres Fraktionsc­hefs Andreas Stoch scheint aber weniger ablehnend, wie auch die der Fraktionsv­orsitzende­n Hans-Ulrich Rülke (FDP) und Wolfgang Reinhart (CDU).

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FOTO: DPA Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) spricht im Zusammenha­ng mit der abgeblasen­en Wahlrechts­reform von einer „schweren Belastungs­probe“für die grün-schwarze Koalition.

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