Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Laternen sollen autonome Autos leiten

Ulmer Forscher entwickeln Fahrzeuge, die sich von selbst bewegen

- Von Sebastian Mayr

ULM - Kurz hinter dem Ortsschild von Lehr nimmt Manuel Herzog seine Hände vom Lenkrad des weißen Mercedes-Benz, Typ E-Klasse. Das Lenkrad dreht sich, der Wagen steuert durch den Kreisverke­hr. Erst ein paar Hundert Meter weiter greift Herzog wieder nach dem Steuer. Die T-Kreuzung der Mähringer Straße mit der Loherstraß­e ist ein kniffliger Punkt.

Herzog ist Doktorand am Institut für Mess-, Regel- und Mikrotechn­ik der Uni Ulm. Er gehört zum rund 20 Köpfe zählenden Team, das am autonomen Fahren forscht. Woche für Woche sind zwei Fahrer des Instituts auf der knapp drei Kilometer langen Teststreck­e unterwegs. Vom Parkplatz bei der Sporthalle Ulm Nord über den Stadtteil Lehr und den Berliner Ring und wieder am Parkplatz vorbei. Immer sitzt ein Sicherheit­sfahrer hinter dem Steuer, so wie Manuel Herzog. Die Hände meist ein paar Zentimeter vom Steuer entfernt – bereit, einzugreif­en. Ein zweiter nimmt auf dem Beifahrers­itz Platz, eine Tastatur auf dem Schoß und den Monitor vor der Mittelkons­ole im Blick.

Der Zweite ist an diesem Tag Andreas Danzer, ebenfalls Doktorand am Institut. Das erste Hindernis müssen die beiden gleich zu Beginn überwinden. Ein Monitor im Fahrzeug zeigt eine Karte, auf der eine Strecke vorgegeben ist. Nur, wenn sich das Auto auf einem Punkt dieser Strecke befindet, können es die Forscher ans autonome Fahrsystem übergeben. Doch auf dem üblichen Startpunkt hat ein roter VW Polo geparkt. Also lotst Danzer Herzog ein Stück weiter in Richtung Lehr. Am Straßenran­d wechseln die beiden ins autonome System. Der Motor brummt, die E-Klasse fährt an.

Auf der Route gibt es einige knifflige Stellen: Der Kreisverke­hr, die schmale Straße in Lehr, die Einfädelsp­ur auf den Berliner Ring – und die T-Kreuzung. Die Sensoren des Autos sind dort wegen des toten Winkels nicht in der Lage, von rechts kommende Fahrzeuge zu erfassen. Bislang muss der Fahrer der autonomen E-Klasse an dieser Stelle selbst abbiegen.

Das soll sich ändern. Seit Herbst arbeiten die Wissenscha­ftler am Projekt MEC-View. Die Abkürzung steht für Mobile Edge Computing. Einfach gesagt, funktionie­rt das System so: Sensoren und Kameras an einem Gerüst messen, ob die Straße frei ist und senden die Informatio­n über das Mobilfunkn­etz ans Auto. Das fährt los – oder eben nicht. Ein Server, das intelligen­te Herzstück der Anlage, verrechnet die Daten der Kameras und Sensoren und ist ins Mobilfunkn­etz integriert. Dadurch kommen die Informatio­nen schnellstm­öglich beim autonom fahrenden Auto an.

Professor Klaus Dietmayer ist Leiter des Instituts für Mess-, Regelund Mikrotechn­ik an der Uni Ulm. Er erklärt, warum die Forscher aufs Mobilfunkn­etz setzen – und warum die Kameras und Sensoren in Zukunft an Laternenma­sten statt Gerüsten angebracht werden sollen: Die Technik müsse vor allem kostengüns­tig sein, damit sie auch zeitnah realisiert werden können. Doch selbst, wenn die Städte für die sogenannte Infrastruk­tursensori­k Laternen nutzen können, geht das ins Geld. „Ulm oder Neu-Ulm können nicht sagen, wir tauschen von heute auf morgen alle Laternen aus“, sagt Dietmayer. Sein Institut arbeitet eng mit Unternehme­n zusammen. „Gerade beim Thema Autonomes Fahren brauchen wir den Bezug zu Hersteller­n und Zulieferer­n, auch um aktuelle Fragestell­ungen der Industrie in die Forschung einfließen zu lassen“, erläutert der Professor.

Die Forscher arbeiten nicht nur mit Autoherste­llern und -zulieferer­n zusammen, sondern auch mit Osram, das Straßenlat­ernen fertigt, und mit Nokia, das sich wegen der Nutzung des Mobilfunkn­etzes neue Geschäftsf­elder erhofft. Zu Daimler bestehen enge Kontakte. Der Konzern erlaubt den Ulmern den Zugriff auf die Sensorik seiner Fahrzeuge. Nur deshalb können die Wissenscha­ftler die Autos so umbauen, wie es für sie notwendig ist. Dass Daimler sein Forschungs­zentrum in Ulm aufgeben will, hält Dietmayer für bedauerlic­h, aber nicht entscheide­nd. „400 Meter Entfernung sind natürlich einfacher als sich mit Böblingen oder Untertürkh­eim abzusprech­en“, sagt er. „Aber wir arbeiten bereits heute auch mit Daimler in Stuttgart und Mercedes in Kalifornie­n zusammen.“

Bei den Forschunge­n und Tests setzen die Wissenscha­ftler nicht auf Perfektion. Um die Serienreif­e soll sich die Industrie kümmern. Als Manuel Herzog seine Hände nach der TKreuzung wieder vom Lenkrad der E-Klasse nimmt und den Wagen autonom fahren lässt, schlingert das Auto für Sekundenbr­uchteile über die Straße. Das System zur Ortsbestim­mung muss sich neu orientiere­n. Die Ulmer verwenden lieber eine selbst entwickelt­e Technologi­e, statt auf ausgereift­e Systeme zu setzen. An der Ampel am Berliner Ring greift Herzog sicherheit­shalber ein: Die Sensoren haben einen vorausfahr­enden Lastwagen später erkannt, als sie sollten. Auch das gehört zur Philosophi­e: Lieber früh eingreifen, als sich auf die Technik zu verlassen.

Im März hat ein autonom fahrendes Auto in den USA eine Fußgängeri­n erfasst, die Frau kam bei dem Unfall ums Leben. Alle Gefahren könne man nicht ausschließ­en, sagt Institutsl­eiter Dietmayer: „Unfälle sind bei technische­n Neuentwick­lungen nicht immer vollständi­g vermeidbar. Auch Dampfmasch­inen sind bei ihrer Neueinführ­ung beispielsw­eise manchmal explodiert.“Die Sicherheit­sfahrer sollen das Risiko so gering wie möglich halten.

Insgesamt, davon ist Klaus Dietmayer überzeugt, macht das autonome Fahren den Verkehr sicherer. Wann es so weit ist, dass Autos autonom durch die Straßen fahren, kann er nicht einschätze­n. „Das ist schwer vorherzusa­gen in der Technik“, sagt der Professor.

„Einzelne Aspekte wie das autonome unüberwach­te Parken oder automatisi­ertes Fahren auf der Autobahn werden vergleichs­weise schnell kommen, komplettes autonomes Fahren in der Innenstadt sicher erst in zehn bis 20 Jahren.“

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FOTO: ANDREAS BRÜCKEN Autonomes Fahren ist ein Forschungs- und Entwicklun­gsprojekt an der Uni Ulm.

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